Autoren Schah von Bla
Nur fünf Minuten Vorwarnzeit waren den Angestellten in einer Filiale der Buchhandelskette Waterstone im Nordwesten Londons an ihrem großen Tag vergönnt, dann rauschte die Autokavalkade auch schon heran: Auftrat, mit wehendem Überzieher und umringt von Bodyguards, Salman Rushdie, Dichter, Märtyrer, Medienstar.
Locker plauderte der vom Ajatollah Chomeini mit einem Todesurteil belegte Verfasser der »Satanischen Verse« über Gott, die Welt und die Literatur, schlürfte Champagner und signierte die druckfrischen Exemplare seines neuesten Buchs.
»Harun und das Meer der Geschichten« heißt sein neues Werk, ein orientalisches Märchenbuch für Kinder und Erwachsene, das am vorigen Freitag auf deutsch erschienen ist und in Großbritannien binnen Wochen den Sprung in die Bestsellerlisten geschafft hat*.
Doch der Live-Auftritt Anfang Dezember diente nicht nur der Verkaufsförderung. Nebenher sollte das Happening, kurz nach der Wiederaufnahme der wegen Rushdie abgebrochenen diplomatischen _(* Salman Rushdie: »Harun und das Meer ) _(der Geschichten«. Kindler-Verlag; 256 ) _(Seiten; 34 Mark. ) Beziehungen zwischen Großbritannien und dem Iran, die Rückkehr des verfemten Autors in die Öffentlichkeit sondieren.
Verschämte Telefonkontakte zu den islamischen Gemeinden waren über die britische Islamische Gesellschaft zur Förderung der religiösen Toleranz und deren Londoner Vorsitzenden Hesham el-Essawy gelaufen. Schließlich traf Ketzer Rushdie mit sechs islamischen Schriftgelehrten zusammen, darunter Mohammed Ali Mahgub, dem ägyptischen Minister für Religionsfragen - und schwor ab wie einst Galilei.
Die »Satanischen Verse« seien ein »Spiegel des Konflikts in meinem Inneren«, ihr blasphemischer Erzengel Gibreel »eine Parabel dafür, wie ein Mensch durch den Verlust des Glaubens zerstört werden kann«. Von den »Versen« (Welt-Auflage bislang: über eine Million) werde es weder eine Taschenbuchausgabe noch neue Übersetzungen geben.
Der Kniefall war vergebens, und obendrein vergrätzte er die Freunde. Auch wenn Rushdie »zum frommsten Mann seines Zeitalters« werde, urteilte Chomeini-Nachfolger Ali Chamenei, werde am Todesspruch festgehalten. Britische Islam-Fundamentalisten drohten Rushdie mit Entführung und zogen über dessen »Bande von Ägyptern« her. Von der Gegenseite verkündete Autor Francis Bennion sittenstreng, daß Rushdie »nach der Kapitulation vor potentiellen Mördern« nun einer Verteidigung »nicht mehr wert« sei.
Andere sorgten sich um die Kosten. Rund zwei Millionen Pfund, wurde dem Dichter vorgerechnet, habe sein Schutz den britischen Steuerzahler gekostet. Indigniert ließ Rushdie über seine Anwälte verbreiten, er habe davon rund 100 000 Pfund aus eigener Tasche bezahlt.
An seinen Lebensumständen hat sich seit dem Februar 1989 nichts geändert. TV-Teams, die ihn zum Interview aufsuchten, wurden über den Zweck ihrer Dienstreise bis zur letzten Minute im unklaren gelassen. Rushdies zweite Ehefrau, Marianne Wiggins, hat im Juli 1989 und nach Erscheinen ihres eigenen Romans »John Dollar« ein eigenes Leben, ohne ihren berühmten Mann, begonnen. Den elfjährigen Sohn Zafar hat Rushdie seither nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Diesem Jungen ist Rushdies »Harun und das Meer der Geschichten« gewidmet, und wie noch jedes Buch des »magischen Realisten« ist es autobiographisch eingefärbt. Der Märchenheld ist das Kind Harun, sein Vater Raschid mit dem nur leicht verdrehten Namen spielt eine eher lächerliche Rolle. Zwar ist Papa ein »Genie der Phantasie« und als Märchenerzähler so reich an Geschichten, daß sogar Affen vor Bewunderung schnattern und heilige Kühe innehalten, wenn er zu erzählen anhebt. Neider freilich nennen ihn den »Schah von Bla«.
Doch dann bricht die Katastrophe herein. Erst brennt Gemahlin Soraya durch, dann kommt der GAU: Er merkt, »daß er keine Geschichten mehr erzählen konnte«. Harun und Raschid müssen sich auf die Reise zum Quell aller Stories begeben, damit des Vaters Sprache »wieder fließen kann«. Wie die »Satanischen Verse« steckt »Harun« voll überbordender Anspielungen und rätselhafter Figuren. Es gibt Wasser-Dschinns und Zaubervögel, Entführungen und sprechende Wiedehopfe. Im Land »Kahani« muß Harun einen orientalischen Despoten daran hindern, das Meer zu vergiften.
Wie in den »Satanischen Versen« schlingern Rushdies neue Bilder zwischen den Versatzstücken der östlichen und westlichen Massen- und Müllkultur hin und her, wenn etwa der Quell aller Stories nur mit Hilfe eines Vorgangs aufgedreht werden kann, der auf englisch den schönen Kindercomputernamen P2C2E trägt. Auf deutsch läßt sich dieser »Process Too Complicated To Explain« leider nur auf ein kürzelloses »Zuschwierig-zu-erklären« reduzieren.
Zum guten Schluß türmt Rushdie ein Happy-End aufs andere bis hin zur Wiederherstellung der Heiligen Familie - und beweist, daß auch er überquillt von »nagelneuen Märchen, Märchen mit Hexen, Liebesgeschichten, Prinzessinnen, bösen Onkels, dicken Tanten, schnauzbärtigen Gangstern in gelbkarierten Hosen, Feiglingen, Helden, Kämpfen und einem halben Dutzend melodischer Ohrwürmer«.
So zumindest hat Rushdie sein anderes Ich, Raschid, beschrieben und gefeiert: Salman Rushdie, Medienstar.
* Salman Rushdie: »Harun und das Meer der Geschichten«.Kindler-Verlag; 256 Seiten; 34 Mark.