Schaubühne: Totales Theater in Opas Kino
Es schien wie absurdes Theater. Um Schaden durch Spekulanten von einem Zeugen der zwanziger Jahre zu wenden, kauften die West-Berliner Behörden das verlotterte ungenutzte Haus und gaben ihm neue Bestimmung. Sie gelobten Bewahrung und, wo nötig, Wiederherstellung der alten Gestalt. Sie ließen sich preisen für ihre Umsicht und Weitsicht. Dann rückten Bagger und Rammen an und schlugen das Bauwerk kurz und klein.
Sie hatten wohl keine andere Wahl. Was zur Zeit am oberen Kurfürstendamm gespielt wird, ist ein Lehrstück über das Machbare; und am Ende wird wohl wieder ein Zeugnis stehen, freilich eins der achtziger Jahre.
Denn vor peniblem Denkmalschutz mußte für die Verwalter der Stadt die Nutzung tangieren -- und die war eindeutig gegeben: Es galt, Deutschlands führendes Sprechtheater, Peter Steins Schaubühne, in Berlin zu halten.
Unter diesem Zwang mutiert ein unrentierlich gewordenes Ufa-Kino zu Europas modernstem Raumtheater. Es steht an jenem Teilstück des Kurfürstendamms, das durch Nutten und Nuditäten, Kiffer und Motorradhorden zuletzt reichlich Hautgout bekommen hat.
Erich Mendelsohns Lichtburg »Universum« zeitlich zwischen seinem Einstein-Turm in Potsdam und dem Columbus-Haus am Potsdamer Platz 1927 entstanden soll aber nicht gänzlich verschwinden.
Das alte Kino macht, sozusagen, eine radikale Anpassungskur durch. Der Not gehorchend und im Gefühl einer Pflicht, glauben die Berliner den Stein der Weisen gefunden zu haben: Zwar rissen sie Dach und Seitenwände ein; doch nach Einbau einer komplizierten Bühnen- und Beleuchtungstechnik wollen sie die Klinkermauern nach Mendelsohn-Muster wieder nachmörteln.
In die Zwickmühle, Unvereinbares miteinander vereinbaren zu müssen, hatte der Senat sich vor zweieinhalb Jahren mit dem Beschluß gebracht, die Schaubühne in den Mendelsohn-Bau zu setzen. Dabei erschien die Idee damals durchaus einleuchtend.
Den Stadt-Oberen saß noch der Schreck in den Gliedern, den Peter Stein ihnen mit der Ankündigung eingejagt hatte, die Schaubühne könne als Experiment nicht länger existieren, da wurde der Mendelsohn-Bau als »Abrißhaus« in den Immobilienanzeigen angeboten.
Der Senat kaufte das Ku'damm-Kino -- und hatte, endlich, ein Haus für die Schaubühne. Es würde, so wußte man, sich schon passend machen lassen.
Es war Matthäi am letzten. Das »berühmteste Ensemble des Kontinents« (so Kritiker Friedrich Luft) improvisierte seit Jahren in einem Vortragssaal der Arbeiterwohlfahrt. Bühne, Probebühne, Magazine, Werkstätten lagen verstreut. Die Schaubühne mußte mit großen Inszenierungen wie etwa Botho Straußens »Groß und Klein« ins Filmstudio, mit Hölderlins »Hyperion« gar ins Olympiastadion ausweichen.
Das Ensemble suchte den Schritt vom Experiment zur Institution. Mindestens auf zehn Jahre wollte es sich gesichert etablieren. Die Alternative war deutlich »Wenn sich die Institution nicht herstellen läßt«, so Peter Stein, »wird die Arbeit der Schaubühne schlicht und einfach aufhören.«
Die Theaterleute wünschten sich eine dreifach bespielbare Halle. Sie wollten eine Bühne, die sich in einzelne Schauplätze gliedern, aber auch zu einer Mammutszene öffnen ließ.
In Berlin ging ein fieberhaftes Suchen los; doch die stillgelegte Abfertigungshalle des Tempelhofer Flughafens erwies sich als ebensowenig geeignet wie das Bumslokal »Neue Welt« oder die Blumengroßmarkthalle.
Verworfen wurde schließlich auch der Vorschlag, das Elite-Ensemble im Kreuzberger »Fichte-Bunker« unterzubringen, einem hundertjährigen Gasbehälter, der nach dem Kriege Obdachlosenasyl war und derzeit als Konservenlager dient.
Erst Mendelsohns basilikagleiches Ku'damm-Kino bot sich als brauchbare Hilfe für die Hallenwünsche der Schaubühne an.
Doch alsbald wurden die Berliner nicht nur durch einen Kostensprung von 40 auf 66 Millionen Mark überrascht. Das technische Konzept der Theaterleute sprengte auch den Rahmen des Kinoveteranen.
Der alte Guckkasten vor konventioneller Stuhlreihung wird nur eine von vielen Möglichkeiten sein, unter der Schauspieler und Publikum sich in dieser Arena arrangieren.
Schalldichte und feuerfeste Rollwände können die 33 Meter breite und 66,5 Meter lange dreischiffige Senke für maximal 2000 Zuschauer in zwei Spielflächen für je 600 und ein Halbrund für 300 Zuschauer teilen (siehe Graphik Seite 222), Bühne und Bestuhlung können als Kampfbahn, aber auch fürs japanische Kabuki-Theater oder im Knossos-Winkel hergerichtet werden. »Auf Wunsch«, so Architekt Jürgen Sawade, »haben die Leute im Handumdrehen 60 Meter Bühne.«
In neun Meter Höhe überspannt den gesamten Saal eine Gitterkonstruktion voller Hebe-, Fahr- und Tragevorrichtungen' die an jeder Stelle Beleuchtung und Dekorationen zulassen.
Das Erstaunlichste an diesem totalen Theater ist aber seine Topographie -ein Hubbodensystem, das jeweils eine Fußbodenfläche von drei mal sieben Meter (mit maximal 42 Zuschauern besetzt) stufenlos bis zu 3,60 Meter anheben kann. Damit lassen Bühnen, Rampen und Tribünen sich zu jederlei Gelände gestalten verlockend sicher auch für viele andere Theatergruppen nach der Stein-Zeit.
Zwangsläufig entstand im Mendelsohn-Bau eine bis zu elf Meter tiefe Grube. Die alten Wände gegen diesen Abgrund abzusichern, hätte der Senat Mehraufwendungen von möglicherweise neun Millionen Mark anmelden müssen. So kam es zum kostensparenden Theatercoup, und zur Zeit steht vom Altbau kaum mehr als das Kopfstück am Kurfürstendamm,
Doch nach Einbau der Maschinerie sollen nicht nur die äußeren Klinkermauern rekonstruiert werden -- mit einem Perlmuttschimmer, den die alten schon lange nicht mehr hatten. Rings um die supermoderne Werkstatt aus Stahl und Beton soll ein Foyer voller Marmor und Messing und mit Möbeln im Stil der zwanziger Jahre entstehen.
Theater-Architekt Sawade: »Unsere Reverenz vor dem Meister.«