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KLASSIKER-AUSGABEN Schiller für alle

aus DER SPIEGEL 13/1966

Mit Goethe fing es an, und mit Schiller soll es nicht enden: Auf dem deutschen Büchermarkt, so meldete die »Frankfurter Allgemeine« kurz vor Frühlingsanbruch, »ist ein Klassiker-Frühling angebrochen«.

Schönste Blüte in diesem März: eine dreibändige Schiller - »Volksausgabe« (2423 Seiten) des Münchner Hanser-Verlages, die schnell entschlossene Käufer nur 24 Mark kostet und nach dem 31. Mai für 30 Mark immer noch preiswert zu haben sein wird. Die erste Auflage von 20 000 Dreierkassetten war schon durch Vorausbestellungen vergriffen, weitere 25 000 Volks-Schiller sind im Kommen.

Weitere Schiller-Zehntausende kommen Ende August hinzu - auch der Frankfurter Insel-Verlag wirft einen billigen Schiller auf den Markt: vier Bände mit insgesamt etwa 2800 Seiten für (zunächst) 30 Mark. Damit entbrennt im Klassiker-Frühling gleich auch ein Klassiker-Duell.

Und weitere Schiller-Geschäfte macht derzeit der Deutsche Taschenbuch Verlag (dtv): Er adaptiert die große fünfbändige Hanser-Ausgabe von Schillers »Sämtlichen Werken« (Gesamtpreis: 130 Mark), auf der auch Hansers Volks-Schiller fußt, in 20 Taschenbändchen. Mindest-Gesamtauflage: 330 000.

Ein dtv-Erfolg hatte auch zum erstenmal erkennen lassen, wie die Deutschen ihre alten Meister wieder ehren: 1961 begann das Münchner Unternehmen, die teure Goethe-»Gedenkausgabe« des Stuttgarter Artemis-Verlages (24 Bände für insgesamt 600 Mark) in 45 Taschenbücher umzuwechseln. Bei einem so wohlfeilen Angebot, schrieb Karl Jaspers den dtv-Leuten, liege es jetzt »nur noch an den Deutschen, ob sie sich der heilenden Atmosphäre dieses Mannes (Goethe) anvertrauen wollen ... Möchten Sie doch Erfolg haben!« Sie hatten. Gesamtauflage der 45 weißen dtv-Goethe-Bändchen: 1,3 Millionen.

Dann wurde offenbar, daß Klassiker-Heilkraft nun auch haltbar gewünscht wird: Zur Buchmesse 1965 präsentierte der Insel-Verlag seinen »Insel-Goethe": Sechs weiße Leinenbände, die »all das (enthalten), was man von Goethe unbedingt kennen sollte«, zum Vorzugspreis von 40 Mark - »wirklich geschenkt«, fand die »Neue Zürcher Zeitung«.

Drei Wochen nach Erscheinen waren die 50 000 Kassetten der Erstauflage ausverkauft. Buchhändler flehten den Verlag um Nachschub an. In diesem Frühjahr folgen 20 000 - jetzt à 56 Mark.

Dem Insel-Goethe folgte der Hanser-Schiller. Dem Hanser-Schiller folgt der Insel-Schiller. Es sollen folgen: Hanser -Kleist und Insel-Lessing, Insel-Büchner und Hanser-Nietzsche, Hanser-Fontane und Insel-Heine, Insel-Stifter und Hanser-Keller und Insel-Hölderlin. Und Hanser-Mörike. Und Insel-Mörike.

Die neuen Volksklassiker sind volkstümlich nur im Umfang und im Preis; im übrigen aber stammen sie durchweg von wissenschaftlich anspruchsvollen Groß- und Gesamtausgaben ab, ist ihr editorischer Standard, wie ihre Ausstattung, erstklassig. »Ist ein Verlag«, so meditiert die Hanser-Werbung, »nicht dazu verpflichtet, die ihm anvertrauten Güter so breit wie möglich wirken zu lassen?«

Hanser empfiehlt seinen vom Philologie-Professor Herbert G. Göpfert edierten »Schiller für alle« (Einbandfarbe: hellblau) unter anderem mit dem Hinweis, er biete »den authentischen Wortlaut vom Lautstand bis zu den Feinheiten der Interpunktion«.

Der neuerdings vom Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld gelenkte und beschleunigte Insel-Verlag bietet seinen Schiller (dunkelgrün) im Stil der neuen Zeit als modernsten Schiller, den es je gab: »Ein ,anderer' Schiller wird hier lebendig, ein Korrektiv zu jenem Schiller, den wir aus Lesebüchern kennen.«

Im Konkurrenzkampf Hanser-Schiller kontra Insel-Schiller, der den deutschen Klassiker-Frühling im kommenden Herbst noch erwärmen wird, hat Hanser mindestens den Zeitvorsprung für sich - Unselds Insel dagegen baut nicht nur auf den Namen Schiller: Herausgeber und Kommentatoren des Insel-Schiller (auf den fünf Monate vor Erscheinen auch schon über 18 000 Vorbestellungen vorliegen) sind unter anderen Hans Magnus Enzensberger und die Professoren Hans Mayer und Golo Mann.

Sagt ein Insel-Mann: »Das sind Namen, die vor allem bei den jungen Lesern heute ziehen.«

Einen Test auf den Ausgang des Schiller-Schiller-Duells veranstaltete in diesen Tagen die Buchhandlung Sachse und Heinzelmann in Hannover: Sie verschickte 6000 Werbe-Prospekte mit detaillierten Erläuterungen über die beiden rivalisierenden Ausgaben - von den Kunden, die ihre Bestellung schon aufgaben, wünschten 90 Prozent den Insel-Schiller.

Die Dauerfrage aller Buchmarkt-Beobachter, ob die vielen gekauften Bücher denn auch gelesen werden, muß freilich auch angesichts der Klassiker-Käufermassen weiter offen bleiben. Immerhin, »für Deutschlands Konfirmanden«, so die »FAZ«, »ist gesorgt«.

Insel-Goethe

Noch der Blüte im März ...

Hanser-Schiller

. . . ein Duell im Herbst

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