FERNSEHEN / Telemann SCHIMMEL AUS PARIS
Fünfmal dreißig Montagsminuten lang erblicken nun schon die Geduldigen in ihrem Fenster zur Welt einen frisch geputzten Mercedes 180, der auf merkwürdig stillen Straßen durch die deutsche Heimat rollt. Innen sitzen zwei Personen, eine stellt Fragen aus der höheren Heimatkunde, die andere lenkt und denkt.
Irgendwann, so vermutet der Zuschauer vielleicht, wird's doch wohl nun kommen, irgendwann muß ja das Deutsche Fernsehen mit dem Clou dieser Geschichte herausrücken, damit alle bisher erduldete Beschauer-Mühsal sich auszahle.
Irrtum! Es kommt nichts.
Das Reisespiel »Freie Fahrt« (Bayrischer Rundfunk, Erstes Programm am 16., 30. Juli, 13., 27. August, 10. September) wird frei von gewohnter Quiz-Dramatik und unterhaltsamer Überraschung beim sechsten und letzten Male (24. September) im Sande verlaufen. Denn hier wird der Quiz-Gedanke auf die bisher abstrakteste Höhe gebracht: Der Kandidat ringt nur noch mit sich selbst.
Abwechslung sollten die Fragen schaffen, deren Vertracktheit nach den Kalkulationen der Hauptabteilung Unterhaltung beim Bayrischen Rundfunk dafür bürgte, daß die Solo-Kandidaten sich wenigstens rasch hintereinander verbrauchen.
Da hatte man, wie häufig, das Niveau des intelligenten Deutschen unterschätzt, insbesondere das eines Freiburger Jungphilologen namens Frank Hausdorf. Mit ihm zu beginnen, erschien den Münchner Quiz-Gestaltern deshalb pfiffig, weil er Sieger eines Maegerlein -Spieles und somit lebendiger Beweis dafür war, daß bei ihnen ungern Zusammenhangloses geschaffen wird.
Er aber hielt ihnen und dem Televolk viermal dreißig Minuten sein kluges Knabengesicht und seine Allgemeinbildung vor Augen und war nur aus dem Bild zu schaffen, indem man ihm schweren Herzens den Kleinwagen gab, den einzigen bereitgehaltenen Gewinn.
Was macht man mit einer angebrochenen Quiz-Reihe, wenn man wider Willen vier Folgen lang einen reifegeprüften Solisten zeigte und nun nur noch zwei kärgliche Restabende hat?
Telemann war der Meinung, mit dem Triumph des Philologen hätte die »Freie Fahrt« das ihr gemäße Ende erreicht. Aber der Freimanner Unterhaltungs-Oberst Friedrich Sauer wies ihm den Gedanken, auf den Rest zu verzichten, mit starker Betonung zurück. Selbstverständlich werde weitergemacht.
Und den »Schimmel« - wie bei ihm die Idee von so was heißt-, den finde er gut.
So wurde denn noch einmal ein Gewinn beschafft, kleiner natürlich, denn, so folgerte Sauer, wenn der erste Kandidat auf viermal ein ganzes Auto gewann, so darf der nächste auf zweimal doch höchstens ein halbes haben.
Auf halbe Sachen haben sich die bayrischen Quiz-Neuerer bei dieser Sendung offenbar spezialisiert. Halbierten sie den Gewinn nur finanziell, so schnitten sie ihren Dienst-Mercedes für »Freie Fahrt« buchstäblich auseinander, um die Reise so wirklichkeitsnah wie möglich zu gestalten.
Den Zuschauern soll der Mercedes-Verschnitt erst am Ende gestanden werden. Das brachte sie bisher um die Möglichkeit, die eigentliche Qualität der Sendung zu würdigen, die auf schauspielerischem Gebiet liegt: Kamera und Projektionsapparat hinter sich, mimen Quiz-Meister Dr. Henning von der Osten und sein Prüfling Reiselust in einem Autotorso, während vor ihnen deutsche Landschaften, Gemeinwesen, Fußgänger, Fahrzeuge und anderes nur auf der Filmleinwand daherkommen.
»Fühlen Sie sich mit dem Wagen noch vertraut?«, fragt der Edelmann, und der Geprüfte klammert sich kopfnickend ans Steuer der Limousine ohne Hinterteil. Manchmal - so ließ der Betrachter sich täuschen - ging es auch zügig und rücksichtslos über Mittelstreifen, Zebra-Übergänge und ähnlich Unwichtiges hinweg, und der Quiz -Inspektor rügte es, obwohl dem Kandidaten weder das Steuer noch sonst etwas gehorchte.
Gleichzeitig laufen: ein Film vom Landschaftsbild mit Motorhaube; ein weiterer, der das Fahrzeug in noch unzerschnittenem Zustand auf Fahrt - zur Einblendung - wiedergibt; dazu die Fernsehkamera. Nur die Reisenden bewegen sich nicht voran.
Was sie aus der Konserve genossen, war lange zuvor vom belgischen Regisseur Jacques Kerremans aufgenommen worden und erschloß dem Deutschen Fernsehen nicht nur die Heimat, sondern unter anderem sogar die Ebene der Gespenster: Drei Damen, deren Dialekt es zu enträtseln galt, traten auf, schnatterten ihren Text und blieben unsichtbar.
Aber der Schimmel ist gut, sagt Friedrich Sauer, und jetzt treibt er ihn, hüaho, über die letzten Hürden. War halt auch kein geschenkter Gaul: Die geistige Grundlage für die rätselhafteste Deutschlandreise der Saison mußte von dem Pariser Ideenhändler Jean Paul Blondeau für teures Geld erworben werden.
Merke: »Bei Pferdehandel und
Rinderkauf tu Augen oder Beutel
auf« (Bauernregel).