MODE / PARIS Schlange empor
Sie kreisen wie Krähenscharen über Paris und lassen sich in allen Modesalons nieder: schwarze, nichts als schwarze Kleider.
Am Montag letzter Woche versank auch noch die Hoffnung, daß wenigstens Yves Saint-Laurent der kommenden Wintermode etwas mehr Farbe gönnen möge. In der Rue Spontini huschten seine Mannequins in schwarzen Mänteln, Tunikas und Capes an kalten Wänden vorbei; nicht einmal Blumen waren zum Schmuck aufgeboten, sondern nur die geschwärzten Messingplastiken des Pariser Bildhauers César.
Nur einmal weiteten sich die Pupillen der Premierengäste. Die schöne Vorführerin Isabel glitt, nur in eine enge schwarze Chiffonschicht gehüllt, durch die Stuhlreihen. Unter dem dunklen Gespinst schimmerte auf Isabels nackter Haut ein goldener Gürtel. den eine Schlange schloß. Der Schlangenkopf reckte sich gen Isabeis Busen, der Schwanz in Gegenrichtung, wo -- wiederum schwarze -- Hahnenfedern eine Körperstelle abdeckten, die selbst die »Crazy Horse«-Mädchen nicht öffentlich zeigen dürfen.
Angetan mit einem zimtfarbenen Cordanzug, orangegelbem Hemd und grellblauer Krawatte, erläuterte Yves seinen diesjährigen Schuß ins Schwarze. »Farben«, meint er, »machen Frauen zu Papageien.«
Die Farbe der Saison paßt zur Pariser Stimmung. Brände und Barrikaden der Mai-Tage haben die Couturiers offenbar arg verhärmt, denn nie zuvor wählten sie eine derartig düstere Tweed-, Krepp- und .Samtflut für den modischen Schöpfungsakt.
Am härtesten hat der Mai wohl Marc Bohan vom Haus Dior getroffen. Ihn halte am Montparnasse, im Eingang von Rßegines Nachtklub »New Jimmy's«, eine Tränengasbombe erwischt. Sechs Tage lang mußte er im dunklen Zimmer liegen und noch für Wochen einen Augenspezialisten konsultieren. Von jener Düsternis, bekennt Bohan, habe er sich inspirieren lassen: zu hochgegürteten, schwarzen Kreppkleidern mit schwarzen Babuschka-Kopftüchern, zu grauen Jerseykleidern mit angeschnittenen Kapuzen und engen, grauen Mänteln. Der britische »Daily Telegraph« befand: »Passend für Krankenhaus-Visiten.«
Doch nicht allein Farben-Abstinenz wirft der französische »Figaro« seinen modemachenden Landsleuten vor. »Es fehlt ihnen auch jede Neigung zum Risiko«, klagte das Blatt. »Sie gehen auf Nummer Sicher.«
Die Röcke bleiben kurz, die Jacken sind oft fast so lang wie die Mäntel und die Mäntel etwas enger als zuvor. Nur Hosen, die Frauen bislang eher am Wochenende trugen, sollen sie jetzt immerfort anhaben. Das Haus Ricci offeriert sie als Bermudas unter Wickelröcken oder fußlang unter Tunika-Kleidern. Bei Lanvin hängen sie knielang unter Judomänteln, während sie bei Patou wie Kosakenhosen in Knobelbechern stecken. Die Hosen, besonders die aus dicken Wollstoffen, bewirkten optische Wunder: Die Hinterteile der spindeldürren Mannequins muteten an wie dicke Klopse.
Nur Gold, in Form von vielen Knöpfen, Kettengürteln und Ohrgehängen, darf die Pariser Düsternis beleben. Schimmernde Perlen, permanentes Statussymbol zum kleinen Schwarzen, sind out.
* 2. v. r.: Mannequin Véronique.
Lange Ärmel zieren die Abendkleider, zuweilen auch ein Minimum an Straß und Strauß. »Sie eignen sich«, befand die »Times«, »vorzüglich zum Diskutieren.« Nur gelegentlich könnte der Anblick bloßgelegter Brüste in tiefen V-Ausschnitten den Diskussionspartner beim Reden hemmen.
Der Abstand zwischen Haute Couture und revoltierenden Renault-Arbeitern schien in der Tat auf wenige Denkschritte verkürzt, als Yves Samt-Laurent die modische Tristesse erläuterte. »Galapremieren, Wohltätigkeitsbälle und Jachtpartys«, meditierte er, als hätte er Habermas gelesen, »gehören zu einer Gesellschaft, die keine Bedeutung mehr hat. Ich habe genug von den reichen alten Frauen.«
Ähnlich empfand auch die amerikanische Modejournalistin Eugenia Sheppard »Nein«, meinte sie angesichts all der traurigen Schlichtheit, »es ist in diesem Winter nicht schick. reich zu sein.«
Richtig arm darf man beim Maßschneider Cardin sein. Er bot, Inmitten feiner Roben, ein Kleid für 80 Mark, das nicht genäht, sondern aus Kunststoffmasse nahtlos gegossen wird. Das Kleid wiegt 50 Gramm und läßt sich in fünf Minuten waschen und trocknen. »Im Kino«, so begründete Cardin die ungewöhnliche Nachbarschaft von billigem Guß- und teurem Nähkleid, »sitzen doch auch die Armen neben den Reichen.«
Schwarz wurde selbst dem Geometriker Courrèges vor Augen, der bisher Weiß für alle Jahreszeiten diktiert hatte. Wie sein Konkurrent Saint-Laurent zeigte er schwarze Strümpfe, allerdings auch schwarzen Chiffon mit dem Zweck, die rosigen Brustwarzen seiner -- übrigens recht prallen -- Vorführdamen ans Scheinwerferlicht zu heben.
Den größten Erfolg hatte Cardin mit einer gestrickten Wollhose, denn dazu trugen die Mädchen oben nichts als ein seidenes Halstuch. Die schönsten Rosenknöspchen zeigte so die ehrenwerte blonde Véronique -- Tochter des französischen Staatssekretärs am Quai d'Orsay, Monsieur Yvon Bourges.
Modisch aktuell präsentierte sich auch Maître Cardin selber, als er im Wintergarten seines moosgrünen Appartements für seine reichsten Kunden eine Champagner-Party gab. Der Gastgeber bot ihnen die nackte, unbehaarte Brust. Denn er trug nur einen seidenen Judokittel. Farbe: schwarz.