FORSCHUNG / WETTER Schlüssel gesucht
Auf Bauernregeln und das Reißen des Rheumas haben sich Wetter-Propheten jahrtausendelang berufen. Dann betrieben sie die Wetterkunde wissenschaftlich, sammelten Hunderttausende von Daten, rüsteten Wetterstationen aus, schickten Flugzeuge, Ballons und schließlich auch erdumkreisende Satelliten in die Höhe.
Doch all des technischen Aufwandes wurden sie nicht recht froh: Nur 85 Prozent der kurzfristigen Vorhersagen bewahrheiten sich, während schon die Primitiv-Prophetle, daß morgen wohl das Wetter genauso sein werde wie heute, eine Treffer-Ausbeute von fast 70 Prozent erbrächte. Langfristige Prognosen gar, etwa über einige Wochen, sind derzeit noch das reine Ratespiel -- so wenig wissen die Wetterforscher vom Wetter.
In diesem Sommer wollen sie mehr erfahren. In einer einzigartigen Intensiv-Studie werden von Mai bis Juli US-Meteorologen in und über tropischen Gewässern bislang unerforschte Grundvorgänge der Wetter-Entstehung verfolgen: bei dem meteorologischen Groß-Projekt »Barbados Oceanographic and Meteorological Experiment« (Bomex).
In einem Meeresquadrat von 480 Kilometer Seitenlänge, rund 50 Kilometer östlich der Antillen-Insel Barbados, werden 1500 Wissenschaftler aus einigen Dutzend militärischen und zivilen Forschungs-Instituten der USA alle Details der Wetter-Prozesse registrieren, die sich zwischen fünf Kilometer Meerestiefe und 30 Kilometer Stratosphären-Höhe abspielen. Dazu wird eine Forschungs-Flotte von zehn Schiffen, 24 Flugzeugen, zwölf Bojen und sieben Erdsatelliten unterwegs sein. Kosten des Projekts: über 70 Millionen Mark.
Bomex ist Teil eines weltweiten Wetterforschungs-Programms, das seit 1967 vom International Council of Scientific Unions (einer internationalen Vereinigung von Wissenschaftsgesellschaften) und der World Meteorological Organization ausgerichtet wird. Diese Forschungs-Anstrengungen sollen ein Resultat erbringen, das den Volkswirtschaften der Welt jährlich Milliardengewinne bescheren könnte: die zuverlässige langfristige Wetter-Prognose.
Anhand treffender Vorhersagen von Hitze oder Frost, Regen, Schnee oder Sonnenschein könnten beispielsweise Landwirtschaft, Fremdenverkehr, Kraftwerke oder die Bauwirtschaft exakter planen -- mithin rationeller wirtschaften. Und ungewöhnliche Wetterlagen, wie etwa die »zweimalige Schnee-Katastrophe in Norddeutschland zu Beginn dieses Jahres, ließen sich wochenlang vorher absehen.
Wissenschaftliche und technische Durchbrüche an drei Wetter-Fronten sind nötig, um derartige Prognosen möglich zu machen. Den Meteorologen fehlen
* ein erdumspannendes Wetterbeobachtungsnetz, das die erforderlichen Daten liefert,
* Computer, die groß und schnell genug sind, um diese Datenmengen zu verarbeiten, und
* Grundkenntnisse über die physikalischen Vorgänge in Luft und Wasser, aus denen sich Formeln für die Computer-Auswertung der Wetterdaten ableiten ließen.
Bisher fließen den Wetterkundlern von nur zehn Prozent der Erdoberfläche ausreichende Daten zu. Erst Mitte der siebziger Jahre soll, so die gegenwärtige Planung, ein genügend dichtes weltweites Beobachtungssystem verfügbar sein.
Elektronengehirne, die den dabei anfallenden Informationsstrom bewältigen können, müßten hundert- bis tausendmal leistungsfähiger sein als die jetzigen Maschinen. Der erste dieser Super-Computer wird bereits entwickelt: An der Universität von Illinois und in den Labors der Firma Burroughs entsteht der »Illiac IV«, ein Automaten-Team von 256 Teil-Computern, die gemeinsam die Wettervorgänge auf dem ganzen Globus werden simulieren und vorausberechnen können (SPIEGEL 28/1967).
Der Großangriff der Wetterforschung, der nun mit dem Drei-Monats-Projekt Bomex unternommen wird, soll eine Art Schlüsselerfahrung für solche Wetter-Simulationen erbringen: In dem von ihnen ausgewählten Plan-Geviert (es ist ungefähr so groß wie die Bundesrepublik) wollen die Bomex-Meteorologen gleichsam die Ur-Antriebe irdischen Wettergeschehens -- an der Grenzschicht zwischen tropischem Gewässer und Atmosphäre -- exemplarisch auskundschaften.
Die Weltmeere zwischen 30 Grad nördlicher und südlicher Breite bedecken die Hälfte der Erdoberfläche, speichern aber weit mehr als die Hälfte der auf »die Erde gestrahlten Sonnen-Energie. Der Energie-Überschuß in den tropischen Gewässern wird beständig in Richtung auf die Pole abgetragen, und zwar auf dem Umweg über die Atmosphäre. Dieser fortwährende Energie-Ausgleich hält das irdische Wettergeschehen mit seinen wandernden Hochs und Tiefs, Orkanen am Boden und Strahlströmen in der Stratosphäre In Gang.
Bislang konnten die Meteorologen die Gesetze dieses wetterbestimmenden Energietransports nur bruchstückhaft aufklären. Offenbar geht er in drei Hauptschritten vor sich:
* Zunächst quillt die Wärme-Energie aus dem Wasser in die Luftschichten darüber -- zumeist in Form von Wasserdampf. Diese atmosphärische Grenzschicht reicht etwa zwei Kilometer hoch; es ist der Bereich heftiger Auf- und Ab-Bewegungen, der Gewitter- und Regenwolken.
* Aus dieser Grenzschicht steigen die feuchtwarmen Luftmassen sodann bis an den unteren Rand der Stratosphäre.
* Dort, in zehn bis zwölf Kilometer Höhe, bewegen sie sich, oft mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 600 Stundenkilometer, in nördlicher beziehungsweise südlicher Richtung.
Die Schritte eins und zwei dieses Wärme-Transports soll das Bomex-Unternehmen aufklären. So wollen die Forscher herausfinden, wie Tageszeit und Bewölkung, aber auch die Trübung des Wassers (etwa durch Plankton) oder sogar die Schaumbläschen der Gischt den Energieumsatz beeinflussen. Im Juli hoffen die Forscher, die Geburt tropischer Wirbelstürme miterleben und vermessen zu können.
All diese Daten -- insgesamt sind mehr als 80 Meßserien geplant
werden von einer Armada teils fest verankerter, teils frei schwimmender oder fliegender Beobachtungs-Posten gesammelt. An den vier Ecken und im Zentrum des Bomex-Quadrats werden Forschungsschiffe postiert. Auf Plattformen am Bug der Schiffe können die Wissenschaftler unmittelbar über den Wellen mit ihren Meßgeräten hantieren. Währenddessen kreisen Flugzeuge in verschiedenen Flughöhen und messen Sonneneinstrahlung, Temperatur, Feuchtigkeit und Windstärken. Andere Meßgeräte sind auf Bojen installiert, die fest verankert sind oder frei durch das Bomex-Areal treiben.
Die wunderlichste jener Bojen wurde eigens aus dem kalifornischen Hafen von La Jolla in den Atlantik geschleppt: das 600-Tonnen-Vehikel »Flip« (Floating Instrument Platform -- Treibende Instrumenten-Plattform), 107 Meter lang, geformt wie eine riesige Kaulquappe. Flip besteht aus zwei Abschnitten, einem über 90 Meter langen zylindrischen Ballasttank und einem 17 Meter langen Heckteil mit Laborräumen und Besatzungs-Kabinen.
Sobald Flip seinen Arbeitsplatz im Süden des Bomex-Quadrats erreicht, wird der Tank »geflutet; die vorderen fünf Sechstel des Schiffes sinken ab und heben das Heck senkrecht in die Höhe.
Diese Bojen-Konstruktion verschafft den Meeresforschern einen besonders stabilen Meß-Platz mitten im Ozean: Selbst bei Wellen von über zehn Meter Höhe hebt und senkt sich Flip nur um wenige Zentimeter.
Schließlich werden die Meteorologen ihre in Wasser und Luft gewonnenen Meßwerte mit den Photos von Wetter-Satelliten vergleichen; so können sie nachprüfen, wie aussagekräftig Wolkenbilder für die Wetterprognose sind.
In etwa zehn Jahren, so schätzen Experten, wird das erste Nah-Ziel der jetzt anlaufenden Wetter-Großforschung erreicht sein: die zuverlässige Zwei-Wochen-Prognose -- vorausgesetzt, die Computer-Techniker ziehen mit.
Denn schon jetzt sind eigentlich nur die Computer daran schuld, daß Kurzzeit-Prognosen allenfalls 85prozentige Treffsicherheit erreichen.
Eine verläßliche 24-Stunden-Vorhersage, so behaupten die Meteorologen, wäre schon jetzt möglich, wenn Computer alle verfügbaren Daten von einem Tag auf den anderen verdauen könnten. Aber das derzeit leistungsfähigste Automatengehirn würde dazu immer noch drei Wochen brauchen.