TECHNIK Schmutzig und schwierig
Als Hausväter über die Winterschluß-Rechnung für die Heizung erschraken, als Autofahrer den Schockpreis von einer Mark für den Liter Superbenzin bezahlen mußten, da wurde die Erinnerung an schlechte alte Zeiten wieder wach.
Hatte nicht schon Hitlers Kriegswirtschaft den wundersamen Retortentrick fertiggebracht, aus dem simplen heimischen Heizmaterial Kohle hochwertige Treib-, Brenn- und Rohstoffe zu gewinnen? Wieviel leichter müßte es der in Frieden und Überfluß weiterentwickelten Technologie fallen, die »schwarzen Diamanten« zu veredeln!
Öl allerdings ist noch immer ungleich einfacher zu fördern, bequemer zu transportieren, sauberer zu handhaben und rationeller zu verwerten. Und die Industrienationen haben sich -- trotz riskanter Abhängigkeit von den Lieferländern und der Gefahr, die Quellen in einer Generation zu erschöpfen -- derart darauf eingerichtet, daß eine Rückkehr zur Kohle nur langsam und mit hohem Aufwand möglich sein würde. Immerhin:
Flüssiger Kraftstoff aus Kohle, rechnete dieser Tage EG-Energiekommissar Guido Brunner vor, könne mit den knapper und teurer werdenden Erdölprodukten bald konkurrieren -- wenn der Benzinpreis auf 1,30 Mark steige.
Versorgungssicherheit, so erklärte Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Horst-Ludwig Riemer, könnten sich die Verbraucher mit einer Investitionsabgabe ähnlich dem mit der Stromrechnung erhobenen »Kohlepfennig« erkaufen 1,7 Pfennig Zuschlag pro Kubikmeter Erdgas würden sich auf jährlich 900 Millionen Mark summieren, und damit ließen sich neuartige Verfahren der Kohlevergasung finanzieren.
Letzte Woche schließlich verabschiedeten die 20 Mitgliedsstaaten der internationalen Energieagentur ein Programm zur verstärkten Förderung und besseren Nutzung von Kohle.
Eines der größten Projekte ist der Bau einer Pilotanlage zur Umwandlung von Kohle in flüssige Brennstoffe in den USA; an den Kosten von 700 Millionen Dollar werden sich Japan und -- wie Forschungsminister Volker Hauff bereits letztes Jahr vereinbart hatte -- die Bundesrepublik zu je einem Viertel beteiligen. Die Amerikaner wiederum wollen in ein Projekt der Saarbergwerke AG einsteigen, das die Brauchbarkeit einer neuen Vergasungsmethode erweisen soll.
Es gibt keinen petrochemischen Stoff, ob fest, flüssig oder gasförmig, der nicht auch aus Kohle zu gewinnen wäre. Im Prinzip also könnten die nur mehr für Jahrzehnte reichenden Reserven an Erdöl und Erdgas durch Kohle, den auch in den nächsten Jahrhunderten nicht zu erschöpfenden Bodenschatz, ersetzt und gestreckt werden.
Selbst die modernsten Erzeugnisse der Erdölverarbeitung -- Treib- und Schmierstoffe, Frostschutz-, Wasch- und Schlafmittel, Weich- und Hartplastik ebenso wie Fasern, Folien, Farben, Kunstharze und Lösungsmittel -- gehen auf wenige Ausgangsstoffe zurück: Es sind Verbindungen von Kohlen- und Wasserstoff; und es ist chemisch ganz gleich, ob sie aus Öl oder aus Kohle gewonnen werden.
Die grundlegenden chemischen und industriellen Verfahren hatten deutsche Wissenschaftler bereits im ersten Viertel des Jahrhunderts ersonnen. Daß sich fester Kohlenstoff durch Anlagern von Wasserstoff verflüssigen läßt, fand 1913 der Industriellensohn und Privatdozent Friedrich Bergius; diese Entdeckung trug ihm 1931 den Nobelpreis ein.
Durch Einsatz von Katalysatoren erhöhte der BASF-Chemiker Matthias Pier die Ausbeute des Verfahrens. 1925 fuhren erstmals Kraftwagen mit Synthese-Benzin über Land, von Ludwigshafen nach München. 1926 baute der Konzern I. G. Farben in Leuna eine erste Großanlage für eine Jahresproduktion von 100 000 Tonnen.
Im selben Jahr entwickelten Franz Fischer und Hans Tropsch am Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohlenforschung eine weitere Methode, Erdöl-Derivate aus Kohle aufzubauen: Bei nur mäßigem Druck und schwacher Hitze gelang es ihnen, Kohlen- und Wasserstoff zu jenen Ketten- und Ringmolekülen zu vereinigen, aus denen Verbindungen wie Äthylen und Propylen, Paraffine und eben auch das Benzin bestehen.
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg, der Deutschland dann wie zu erwarten vom Erdöl-Weltmarkt abschnitt, ließ das NS-Regime allein neun Fischer-Tropsch-Anlagen mit einer Jahreskapazität von einer halben Million Tonnen errichten. Auf Wirtschaftlichkeit kam es damals weniger an als auf reichlichen Kraftstoff-Nachschub für Flugzeuge und Panzer. Kritisch getroffen, meinte der damalige Rüstungsminister Albert Speer, wurde das Deutsche Reich erst, als die Alliierten die Hydrierwerke bombardierten.
Nur ein Land hat indes diese Technologie weiter genutzt und entwickelt: Südafrika, das zum einen über extrem billige Kohle verfügt, zum anderen wegen seiner Apartheid-Politik Sanktionen fürchten und auf Energie-Autarkie bedacht sein mußte.
Seit den fünfziger Jahren liefern die Sasol-Werke bei Johannesburg nicht nur Heizgas und Treibstoffe, sondern ein breites Sortiment petrochemischer Produkte, von Düngemitteln und Sprengstoff bis zum Kaugummi-Weichmacher. Derzeit bauen die Südafrikaner einen zweiten, noch größeren Komplex an den Kohlefeldern des Transvaal.
Die übrigen Industrienationen besannen sich auf den vielseitigen Energieträger und Rohstoff Kohle erst wieder in der Erdöl-Krise. Doch gerade die Experten warnten vor euphorischen Vorstellungen. das bis dahin achtlos auf Halden gekippte Antriebsmittel der ersten industriellen Revolution könne noch einmal den Fortschritt befeuern.
»Mit der Kohle«, erklärte im Krisenjahr 1973 sogar Werner Peters, Geschäftsführer der Essener Bergbau-Forschung GmbH, »ist nun einmal alles schwieriger und schmutziger.
Das gilt zumal in der Bundesrepublik, denn kaum irgendwo sonst ist allein schon die Förderung derart mühselig und teuer wie an Ruhr und Saar. Eine rasche Umstellung der Energiewirtschaft und Petrochemie wäre nur um den Preis immenser Kosten, schwerer Umweltschäden und unabsehbarer Strukturprobleme der gesamten Gesellschaft zu bewerkstelligen.
Stetig steigende Ölpreise und die latente Furcht vor leeren Auto- und Heizungstanks. dazu das Debakel der Atomindustrie, haben seither allerdings bei Unternehmen und Politikern neues Interesse an der Kohle geweckt.
So setzt die Bundesregierung für die Entwicklung neuer Kohletechnologien im laufenden Energie-Forschungsprogramm fast eine Viertelmilliarde Mark Fördermittel ein. Verglichen mit den bisher ausgeworfenen 20 Milliarden für die Atomtechnik scheint das zwar ein Bettel, könnte aber doch Stimulans sein:
>Seit Mitte letzten Jahres betreiben etwa die Rheinischen Braunkohlenwerke eine Versuchsanlage, die täglich aus 25 Tonnen Braunkohle unter hohen Temperaturen und Drücken mittels Wasserdampf und Sauerstoff 35 000 Kubikmeter »Synthesegas« erzeugt -- ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, das bei chemischen Prozessen und zur Verhüttung von Eisen gebraucht oder zu einem dem Erdgas gleichwertigen Heizgas aufbereitet werden kann.
* Die Saarbergwerke verfolgen das I. G.-Farben-Prinzip mit einer Batterie chemischer Reaktoren, die demnächst täglich sechs Tonnen Kohle mit Wasserstoff in ein Synthese-Öl verwandeln soll, Ausgangsprodukt für Treibstoffe und chemische Rohstoffe; eine Vergasungsanlage für stündlich zehn Tonnen Kohle ist bereits in Betrieb.
* Auf der Zeche Prosper bei Bottrop ist seit letzter Woche eine 145 Millionen Mark teure Hydrieranlage in Bau, die erstmals 1981 Synthese-Öl aus täglich 200 Tonnen Kohle liefern soll.
* Vorerst Projekt für das nächste Jahrzehnt ist die Koppelung von Kohle und Atomkraft in einer »Prototypanlage nukleare Prozeßwärme. Ein Atommeiler vom Typ Hochtemperaturreaktor, der vom Kernforschungszentrum Jülich entwickelt worden ist und sich in dem 300-Megawatt-Demonstrationskraftwerk Uentrop bewähren soll, könnte mit seiner Hitze von rund 950 Grad besonders wirksam Kohle in Synthese-Gas umwandeln.
Außer auf wirtschaftliche Prozesse kommt es den Wissenschaftlern darauf an, die Synthesen so steuern zu können, daß Art und Menge der verschiedenen Produkte dem Bedarf entsprechen. Beispielsweise liefern die nach dem Verfahren von Fischer und Tropsch arbeitenden Anlagen noch zu wenige jener Kohlenwasserstoffe, die für die Herstellung von Kunststoffen nötig sind.
Einzelne Verfahren, insbesondere die Kohle-Druckvergasung des Frankfurter Ingenieur-Unternehmens Lurgi, gelten freilich schon als technisch ausgereift. Dieses Verfahren wird auch als wichtigster Syntheseschritt von der südafrikanischen Sasol genutzt.
Damit in der Bundesrepublik die Produktion etwa von Ersatz-Erdgas aufzunehmen, erklärt ein Lurgi-Sprecher, »bedarf es nur einer politischen Entscheidung": Weder Subventionen noch Fördermittel für weitere Entwicklungsarbeiten seien nötig, lediglich eine staatliche Abnahmegarantie.
Das Forschungsministerium denkt nun in ähnliche Richtung. Eine ein bis zwei Milliarden Mark teure Demonstrationsanlage zur Kohleveredelung, die erst Mitte der achtziger Jahre gebaut werden sollte, kommt womöglich eher ins Förderprogramm.