TECHNIK / COMPUTER Schnelle Sklaven
Zwei mittelgroße Elektronengehirne tüftelten zwei Jahre lang an der ungewöhnlich kniffligen Aufgabe. Die beiden Computer brüteten extrem komplizierte Schaltpläne aus -- für einen neuen Groß-Computer.
Nur mit Hilfe der beiden älteren Elektronendenker, so bekennen die Ingenieure an der Universität von Illinois, sei es ihnen möglich gewesen, die gigantische Rechenanlage zu entwerfen: »Illiac IV«, Prototyp einer neuen Computer-Generation, soll die Leistungen derzeit existierender Elektronenrechner um ein Vielfaches übertreffen.
Der Super-Computer aus Illinois, der in den nächsten Wochen fertiggestellt werden soll, wird schneller arbeiten als jede frühere Rechenanlage. Rund 200mal rascher als die derzeit größten Computer wird Illiac IV selbst komplexe Aufgaben lösen; bestimmte mathematische Probleme etwa, die gängige Elektronenrechner in sechs oder acht Stunden bewältigen, wird Illiac IV In einem Zeitraum von weniger als zwei Minuten erledigen.
Schon dreimal in der Vergangenheit haben die Elektronik-Spezialisten an der Universität von Illinois bahnbrechende Computer-Typen entworfen: die Elektronenrechner Illiac I bis III. Die drei älteren Illiac-Modelle, inzwischen berühmt gewordene Meisterstücke ausgefeilter Computer-Technik, markierten jeweils einen Durchbruch in der Entwicklungsgeschichte der elektronischen Rechenanlagen.
Auch der jüngste Sproß aus der Illiac-Familie eröffnet eine neue Dimension im Computer-Bau; gleichwohl basiert Illiac IV, anders als seine Vorläufer, nicht auf ingeniösen Neuerungen der Elektronik-Techniker. Das Hirn des neuen Elektronenrechners ist eher von konventioneller Bauart. Seine Fähigkeiten verdankt der superschnelle Illiac IV einem Im Prinzip einfachen Trick der Techniker: Sie lösten den Groß-Computer auf In eine Gruppe von partiell selbständigen Rechenanlagen, die von einem übergeordneten Kontroll-Computer koordiniert und überwacht werden.
Insgesamt 64 sogenannte Sklaven-Computer dirigiert die Kontrolleinheit im Zentrum der Illiac-IV-Anlage; zu jedem dieser Rechen-Sklaven, deren Kapazität jeweils einem Computer der unteren Mittelklasse entspricht, gehört ein besonderer Datenspeicher. Ein Zentral-Speicher, »Archivgedächtnis« genannt, ist zusätzlich mit den Sklaven-Einheiten verbunden.
An dieses Herzstück des weitverzweigten Illiac-IV-Systems sind zahlreiche Hilfseinheiten angeschlossen, darunter ein Mittelklasse-Computer vom Typ »Burroughs B 6500«, dessen Hauptaufgabe es ist, die Informationen für das Zentralsystem in die Computer-Sprache zu übersetzen. Neben dem Archivgedächtnis, das mit einem neuartigen Laser-Gerät arbeitet, verfügt Illiac IV über einen weiteren, konventionellen Magnetband-Datenspeicher.
In dem verzwickten Bauprinzip, das dem Schnellrechner Illiac IV zugrunde liegt, sehen die Elektronik-Fachleute derzeit das wirksamste Mittel, um das Arbeitstempo der Computer noch wesentlich zu erhöhen. Obgleich die erste elektronische Rechenanlage erst vor wenig mehr als zwei Jahrzehnten gebaut wurde, haben die Ingenieure die technischen Möglichkeiten zur Steigerung der Rechengeschwindigkeit schon weitgehend ausgeschöpft.
Theoretisch liegt die obere Grenze des erreichbaren Computer-Rechentempos bei der Geschwindigkeit, mit der ein elektronisches Signal eine Leitung passieren kann -- mit Lichtgeschwindigkeit. In der Praxis freilich hemmen Hunderttausende von schwerfälligen Schaltstellen und extrem lange Leitungswege im Inneren der Rechenanlagen die lichtschnellen Impulse. Beim Bemühen, die Leitungswege zu verkürzen und möglichst flexible Schaltelemente zu entwickeln, sind die Computer-Techniker jetzt an eine Grenze gestoßen.
Mit Illiac IV wird es Ihnen gelingen, diese Grenze zu überschreiten. Zwar arbeitet keiner der 64 Illiac-Roboter rascher als eine gängige Rechenanlage -- doch gemeinsam bewältigen die Illiac-Brüder ein beliebiges Rechenpensum schneller als jeder andere Computer.
Denn während konventionelle Computer eine Aufgabe in einer Serie von aufeinanderfolgenden Rechenschritten lösen, greift die Batterie der Illiac-Sklaven ein Problem an mehreren Stellen gleichzeitig an: Die Aufgabe, in Teilstücke zerlegt, wird von den Illiac-Untercomputern im Parallelverfahren aufgearbeitet; das Ergebnis der einzelnen Rechenoperationen wird im Kontroll-Computer anschließend zusammengesetzt.
Besonders bei verwickelten und datenreichen Aufgaben kann auf diese
* Drawing by Alan Dunn; © 1966 The New Yorker Magazine Inc.
Weise die Rechenzeit drastisch herabgesetzt werden. So soll Illiac IV in Zukunft mithelfen, längerfristige Wettervorhersagen zu errechnen -- ein Problem, dessen Lösung bislang noch überaus zeitraubende Rechenoperationen erfordert.
Mit Hilfe des Schnellrechners Illiac IVkönnen die Meteorologen künftig Wettervorhersagen für fünf Tage erstellen, die ebenso zuverlässig sind wie derzeit 48-Stunden-Prognosen. Für derart präzise Fünf -Tage-Voraussagen arbeiten konventionelle Computer zu langsam: Sie würden das Ergebnis ihrer Berechnungen erst lange nach Ablauf von fünf Tagen ausdrucken.
Weitere Aufgaben für Illiac IV haben die Forscher in Illinois schon vorbereitet, So soll die Rechenanlage Politikern als Entscheidungshelfer dienen. Ein kommunalpolitisches Testprogramm wird gegenwärtig ausgearbeitet -- als Versuchsfeld haben die Forscher die Gemeinde Marengo im US-Staat Illinois ausgewählt.
In das Illiac-Archivgedächtnis sollen alle wichtigen Informationen über die Test-Gemeinde eingegeben werden. Der Computer wird die Daten -- Bevölkerungsziffern, geologische, wirtschaftliche, verkehrstechnische oder klimatologische Angaben -- zueinander in Beziehung setzen können.
Wollen die Gemeindeväter von Marengo beispielsweise ein neues Krankenhaus errichten, so kann ihnen Illiat IV in Minutenfrist einen geeigneten Bauplatz für die Klinik bezeichnen. Der Standort wird aufgrund zuvor festgelegter Bedingungen (Verkehrsverbindungen, ruhige Lage> wunschgemäß ausgewählt.
Illiac IV wird seine Aufgaben nicht nur schneller, sondern auch zuverlässiger als jeder andere Computer bewältigen: Zwei Gehilfen im Rechenzentrum von Illinois sorgen dafür, daß der schnelle Rechner allzeit einsatzbereit sein wird -- sogenannte Diagnose-Computer, die Störfaktoren Ire Illiac-Hirn in Rekordzeit ausfindig machen können.