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FERNSEHEN Schock beim Trampel

»Die Konsequenz«. Spielfilm von Alexander Ziegler und Wolfgang Petersen. ARD. Dienstag, 8. November, 21.15 Uhr.
Von Klaus Umbach
aus DER SPIEGEL 46/1977

Das Fernsehen macht sich gelegentlich zum Anwalt von Minderheiten. Es verschafft ihnen Öffentlichkeit, solange diese das nicht gar zu anstößig findet. Homosexualität ist immer noch ein Tabu und daher fürs Fernsehen kein Thema.

Außer in ein paar Pflichtübungen aus der Zeit, da der Paragraph 175 fiel, außer in jenen ebenso gutgemeinten wie unbeholfenen Werbe-Features für Toleranz gegenüber Schwulen, kam Homosexualität nur einmal massiv auf den Bildschirm und machte gleich TV-Geschichte: Der Bayerische Rundfunk kniff, als die Rest-ARD 1973 den Film »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« ausstrahlte.

Verglichen mit diesem aggressiven Schocker von Rosa von Praunheim ist der für TV und Kino gedrehte Spielfilm »Die Konsequenz« eine Romanze voll heikler Poesie: Ein Mann lieht einen Mann.

Praunheim durchleuchtete damals die schwule Subkultur, zeigte die Stricher vor den Klappen, die Lederkerls in dunklen Parks, die Fummelei in einschlägigen Kneipen. Er gab den Blick frei in die warme Halbwelt, die er den Homosexuellen als ihrer unwürdig vor Augen führte. Praunheim wollte seinesgleichen aus den Pißbuden locken.

»Die Konsequenz« enthüllt nicht, rebelliert eher leise, sie überspielt fast ihr Motiv: eine Beziehung jenseits der sogenannten Norm. Trotz einigermaßen dramatischen Beiwerks (hanebüchene Bräuche in Erziehungs- und Haftanstalten) ist sie vor allem eine natürliche Liebesgeschichte in Schwarzweiß -- eine der privatesten und glaubwürdigsten, die seit langem über den Bildschirm gingen. Sie läßt, ganz nach dem Vorsatz ihres Regisseurs Wolfgang Petersen, vergessen, daß solches als »abartig« gelten könnte. Sie schildert keine nur männliche, sondern eine menschliche Episode und hat authentischen Background.

1967 war der Schweizer Autor Alexander Ziegler, heute 33, wegen »Unzucht« mit einem 15jährigen zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Während und nach der Haft suchte er sich schreibend über die Probleme der Homosexualität, des Strafvollzugs und der Gesellschaft, die beide mitverantwortet, klarzuwerden. Der literarisch unbedeutende, milieu- und sozialkritisch aber aufschlußreiche Roman »Die Konsequenz«. in der Schweiz monatelang Bestseller, war weitgehend Niederschrift von Selbsterlebtem:

Martin Kurath ist wegen Verführung eines Minderjährigen in Haft. Bei den Proben zu einer Theateraufführung im Knast lernt er Thomas, den 16jährigen, gleichfalls homosexuellen Sohn des Gefängnisaufsehers kennen. Die beiden gestehen einander Veranlagung und Zuneigung, Thomas schleicht sich für eine Nacht in Martins Zelle und will auf den Freund »warten«, Geld sparen für eine gemeinsame Zukunft in Freiheit.

Nach Martins Entlassung ziehen beide tatsächlich zusammen. Doch Thomas Eltern hetzen Polizei hinter ihnen her, der Minderjährige wird »wegen körperlicher und seelischer Verwahrlosung auf unbestimmte Zeit in einer Erziehungsanstalt eingewiesen«.

Zwar gelingt ihm mit Martins Hilfe die Flucht, aber Thomas ist schließlich kaputt, säuft, wird mit sich nicht mehr fertig, geschweige denn mit den Hoffnungen, die Martin auf ihn gesetzt hat. Nach einem Selbstmordversuch landet er in einer Nervenklinik, dort bricht er aus -- wohin, bleibt offen.

Das wird nun im Film nicht durchs Schlüsselloch belauert, nichts wird anzüglich zur Show gestellt. Diskret schirmt der Regisseur die beiden Freunde gegen Gaffer ab. Voyeuren wird nichts geboten.

Um so behutsamer kann Petersen, der in diesem (seinem 20.) Film endlich mal wieder von den Knalleffekten seiner »Tatort«-Routine abläßt, die beiden Protagonisten ruhig herausstellen. Der Film berührt da am unmittelbarsten, wo er am peinlichsten hätte entgleisen können: in der Beziehung Mann-Mann. Im ungekünstelten Spiel von Jürgen Prochnow (Martin) und dem 17jährigen Laien Ernst Hannawald (Thomas) erhält die Geschichte sinnliche Intensität ohne Exhibition.

Petersen muß die Gefahr erkannt haben, dieses Freundespaar zu einem Ideal hochzustilisieren: wahre Liebe gegen den Rest einer herzlosen Welt. So läßt er Martin in Schwulenkneipen tanzen und in seiner Zelle auch mal einen anderen Gefangenen tätscheln, Thomas gerät in Paris auf den Strich und hat »nie daran gedacht, dir treu zu sein«. Das aber kann die Sympathie kaum mindern, die die beiden von Anfang an ausstrahlen.

Zu schwarz und böse haben Ziegler und Petersen denn wohl doch die Gesellschaft kurzsichtiger Eltern, hartherziger Richter, brutaler Gefängnisaufseher und hänselnder Anstaltszöglinge gezeichnet: Eines Abends zwingen ein paar Jungen aus dem Erziehungsheim den sich sträubenden Thomas, mit ihnen zu Babette zu schleichen, einem offenbar schizoiden Bauerntrampel, mit dem sie alle regelmäßig bumsen. Im Stall ziehen sie den geschockten Schwulen gemeinsam aus und schmeißen ihn dem Mädchen zwischen die Beine.

Die viehisch-pubertäre Rammelei hat Petersen mit einer exhibitionistischen Derbheit ausgemalt, die er sonst fast prüde vermied. So plakatiert die Szene allzu grell: Die Normalen sind die Perversen.

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