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BÜCHER / NEU IN DEUTSCHLAND Schöne Pistole

Wolf Biermann: »Mit Marx- und Engelszungen«. Wagenbach: 84 Seiten; 5,80 Mark.
aus DER SPIEGEL 45/1968

Vor fünf Jahren verbreiteten sich, dank fieberhafter Überspielerei, seine Lieder im politischen Untergrund der Bundesrepublik. Ein paar privat aufgenommene, halbwegs geschmuggelte Tonbänder mit Gesängen erreichten rasch, daß es in fortschrittlichen Großstadtzirkeln beider deutscher Staaten »keine Party ohne Biermann« gab. Und während der Ost-Berliner in einem gleichbetitelten Lied über seine geheime, nicht ins Volk dringende Popularität in der DDR höhnte und kleinbürgerlichen Dogmatismus, linke Erstarrung glossierte, wuchs sein Ansehen im Westen: Wolf Biermann, 36, wurde zum meistgefragten Gast von drüben, machte herüben kein Hehl aus seiner grundsätzlichen Vorliebe für die DDR und mußte dort dennoch zwangsläufig in Ungnade fallen.

Die Verbannung aus der gesamtdeutschen Öffentlichkeit hat zumindest seinen Versen gutgetan. Zu den pazifistischen Hetzliedern gegen den Krieg, die Biermann schon vor Jahren sang, gesellt sich nun beispielsweise ein dringliches »Aber / die Schönheit der Maschinenpistole / über der Schulter des Guerilla-Kämpfers ...« Und er findet den deprimierend allgemeingültigen »Morgenspruch des General Ky": »Eine Regierung, die nichts weiter fürchten muß / als das Volk, / kann lange dauern, solange / das Volk nichts weiter fürchtet / als die Regierung.«

Biermanns Brillanz ist allerdings höchst selten aphoristisch. Freiheit und Radikalität für poetische und politische Kraftakte bezieht er aus dem Balladenton und seiner handfesten, sinnlichen Metaphorik. Am schönsten sind da die Vergangenheitssplitter und Hoffnungsschimmer in den Liedern über seine Hamburger Oma Meume. Dagegen wirkt die immer noch fröhliche Villon-Attitüde zu glatt: »Da ging ich mit der Dicken / die ersten Kätzchen pflücken / trotz Magistratsverbot / zum Mont-Klamott.«

Die Glanzstücke sind aber nun nicht mehr Biermanns traditionsfeste« sangbare Strophen, sondern die Gedichte, etwa das an eine Bronzeskulptur des Ost-Berliner Bildhauers Fritz Cremer« »Der Aufsteigende«, mit der Frage: »Macht er Fortschritte? / Oder macht er Karriere?«

Wolf Biermann, dessen große Karriere als politischer Sänger vor vollen Häusern recht plötzlich -- auch durch ihn selbst -- unterbrochen wurde, macht größere Fortschritte als politischer Dichter; auch wenn ihm zwischendurch immer wieder Liedersänger-Sentimentalitäten unterlaufen.

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