Zur Ausgabe
Artikel 47 / 71

GESCHICHTE / DREISSIGJÄHRIGER KRIEG Schöner, knapper, klüger

aus DER SPIEGEL 45/1967

Die blutigste Katastrophe in der Geschichte der Deutschen scheint ein Frauen-Thema zu sein. Friedrich Schiller veröffentlichte seine »Geschichte des dreißigjährigen Krieges« zuerst im Leipziger »Historischen Calender für Damen« -- 1791, 1792 und 1793.

Eine Frau, Ricarda Huch, schrieb 120 Jahre nach Schiller die bislang volkstümlichste Darstellung des Dreißigjährigen Krieges. Ihre epische Erzählung »Der Große Krieg in Deutschland« erschien zwischen 1912 und 1914.

Wiederum von einer Frau stammt der jüngste Bericht über den Unglücks-Krieg. Cicely Veronica Wedgwood ist ihr Name. Sie ist eine renommierte englische Historikerin. 1938 hat sie ihr Buch veröffentlicht. Jetzt erschien es auf deutsch*.

Wissenschaftlicher als das Huch-Buch, farbiger als alles, was deutsche Historiker über den großen Krieg geschrieben haben -- außer Gustav Freytag, dessen »Bilder aus der deutschen Vergangenheit« einen Vergleich in dieser Hinsicht aushalten -, hat das Wedgwood-Werk, kaum auf dem deutschen Markt eingetroffen, einen gloriosen Empfang erhalten.

»Seit Schiller«, schwärmte Golo Mann, der selber zur Zeit an einer Wallenstein-Biographie arbeitet, »ist eine dramatischere, schönere, knappere, klügere Geschichte dieser Epoche nicht geschrieben worden.«

»Mit Bestürzung« erkannte Sebastian Haffner anhand des Wedgwood-

* C. V. Wedgwood: »Der Dreißigjährige Krieg«. Paul List Verlag, München; 518 Seiten; kartoniert 15 Mark, Ganzleinen 23 Mark,

Buches »in dem Deutschland des Dreißigjährigen Krieges das Deutschland von heute wieder«.

Und Karl-Heinz Janßen seufzte in der »Zeit« gar: »Hätten die Deutschen doch »dieses Buch nur früher gelesen«, womit er offenkundig meinte, dessen Lektüre hätte möglicherweise die Deutschen von 1938 aus ihrer Hitler-Begeisterung gerissen.

Das freilich ist gar nicht sicher. Cicely Veronica Wedgwood vertritt nämlich an markanten, wenn auch nicht allen Stellen ihres Buches die Ansicht, daß den Deutschen des Dreißigjährigen Krieges ein wenig mehr »Despotismus« gar nicht geschadet, ihnen dieser vielmehr möglicherweise die Hälfte des Krieges erspart und sogar einen von der Donau bis zur Ostsee reichenden absolutistischen Nationalstaat beschert hätte: die Verwirklichung also jenes Traumes von nationaler Einheit, der bis zu Hitlers großdeutschem Reich durch die deutsche Geschichte geisterte.

Kaiser Ferdinand II. (Regierungszeit: 1619 bis 1637), der Führer der katholischen Sache, wird von der Engländerin, nicht ohne Sympathie, als der Schöpfer dieses Planes herausgestellt -- und es wäre keineswegs abwegig gewesen, wenn die Deutschen von 1938, hätten sie das Buch der Wedgwood gelesen, in dem Habsburger einen Vorläufer seines Landsmannes Hitler erkannt hätten.

Ferdinand, meint Frau Wedgwood« sei der letzte Kaiser gewesen, der die »Einigung Zentraleuropas« versucht habe, und er verdiene »von den heutigen Deutschen mehr Anerkennung, als ihm scheinbar gezollt wird«.

Den Höhepunkt von Ferdinands Laufbahn placiert Frau Wedgwood in die Jahre 1629/30, als des Kaisers Heer unter Wallenstein an der Ostsee stand, Gustav Adolf und Richelieu noch zögerten, in den deutschen Krieg einzugreifen, und der Kaiser durch das sogenannte Restitutionsedikt (wodurch früherer Kirchenbesitz wiederhergestellt, »restituiert« werden sollte) die deutschen Fürsten zu entmachten trachtete.

Hätten, so meint Frau Wedgwood, sich damals die deutschen Fürsten, zumal die Kurfürsten Johann Georg von Sachsen, Georg Wilhelm von Brandenburg und Maximilian von Bayern, dem Kaiser unterworfen, so hätte dieser Traum in Erfüllung gehen können.

Zwar hätte die Unterwerfung »das Aufgeben der »deutschen Libertät« bedeutet«, aber mit der war es nach Frau Wedgwoods Meinung ohnehin nicht weit her. Sie sei im Grunde nur die Freiheit der Fürsten gewesen, nicht aber die des Volkes. »Ferdinands Sieg hätte die Zentralisierung des Reiches unter österreichischer Oberhoheit bedeutet, die Aufrichtung eines einzigen Despotismusses in der deutschsprachigen Welt an Stelle von mehreren.«

Die Einheit der Deutschen gilt der englischen Historikerin, die damit eine zentrale Frage deutscher Politik beantwortet, mehr als die Freiheit der Deutschen.

Selbst die Gefahr, daß Ferdinands Großdeutschland seinen »Schatten über ganz Europa geworfen« hätte, die Gefahr also, welche die europäischen Mächte im 19. und 20. Jahrhundert ängstigte, als sich 1848 ein demokratisches Deutschland von der Etsch bis zum Belt abzeichnete, oder Hitler 1938 in Österreich einmarschierte, oder gar die Gefahr, die heute Ost und West in den Bonner Wiedervereinigungs-Parolen wittern, erachtet Frau Wedgwood für gering.

Die Habsburger Vorherrschaft in Europa wäre, meint die Britin kühl, nicht bedrohlicher gewesen als die tatsächlich sich dann bildende der Bourbonen, Frankreichs also.

Daß die Kurfürsten, statt mit dem Kaiser den deutschen Nationalstaat zu errichten, 1630 begannen, mit Schweden und Franzosen zu fraternisieren und damit den innerdeutschen Krieg in einen Weltkrieg ausweiteten, findet nicht Frau Wedgwoods Billigung.

Der 4. Juli 1630, der Tag, an dem Gustav Adolf an der pommerschen Küste landete, ist denn auch für sie das Datum, an dem das wirkliche Unglück des Dreißigjährigen Krieges für die Deutschen begann. Die Vernichtung Magdeburgs am 20. Mai 1631 durch Tilly ist Ferdinands letzter großer, doch schon unheilschwangerer Sieg.

Auf jeden Fall wäre, meint Frau Wedgwood, die Unterwerfung der Kurfürsten 1630 »nicht sonderlich schlechter gewesen« als die Regelung, die dann 18 Jahre später der Friede von Münster und Osnabrück brachte.

So wurde der »große Krieg« zu einem »nutzlosen«, wie ihn Egon Friedell genannt hat und ihn auch Golo Mann in der jüngsten Propyläen-Weltgeschichte nennt.

Frau Wedgwoods resolute Urteile über die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges haben in der Forschung nur ein Beispiel: Schiller.

Wie das Wedgwood-Buch ist auch das seinige ein Lehrstück -- freilich mit völlig anderen, zumeist geradewegs entgegengesetzten Urteilen.

Im Westfälischen Frieden sah Schiller das »interessanteste und charaktervollste Werk der menschlichen Weisheit und Leidenschaft«. Dieses Werk, schrieb er, »thürmte einen bleibenden Wall gegen politische Unterdrückung auf": gegen die Unterdrückung Deutschlands und Europas durch Habsburg und Kirche.

In Ferdinand sah Schiller den Repräsentanten jenes »Hauses Österreich«, dessen »Ländersucht Europa aus einem glücklichen Frieden gerissen habe.

Der Krieg war für ihn keineswegs »nutzlos«, sondern ein erfolgreicher Glaubenskrieg, entfacht durch die Reformation und für die Freiheit geführt.

»Europa«, so rühmte der deutsche Nationaldichter, »ging ununterdrückt und frei aus diesem fürchterlichen Krieg« hervor. Und: Im Kriege habe sich eine »Theilnehmung der Staaten aneinander« entwickelt, die allein schon Gewinn genug sei, »den Weltbürger mit seinen Schrecken zu versöhnen«.

»Die Religion«, so fügte er, auf Luthers Reformation hinweisend, hinzu, »bewirkte Dieses alles.«

Cicely Veronica Wedgwoods forcierte Urteile mögen ebensowenig wie Schillers völlig konträre einer am »Realen« orientierten Geschichtsschreibung standhalten.

Doch zeigen beide kräftiger und herzhafter die Perspektiven der deutschen Politik auf, als es zum Beispiel Moriz Ritter vermochte, dessen dreibändige »Deutsche Geschichte der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges«, erschienen zwischen 1889 und 1908, noch heute als die unübertroffen wirklichkeitsgetreue Darstellung des Krieges gilt.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 47 / 71
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren