SCHRIFTSTELLER Ende einer schönen Fiktion
Funktionäre der im Verband deutscher Schriftsteller (VS) organisierten Autoren sind optimistisch. Im nächsten Jahr, so sagt VS-Vorsitzender Lattmann voraus, wird der Aufbruch in die medienpolitische Zukunft vollzogen werden. Als gewerkschaftliche Heimstatt haben die Schriftsteller sich die IG Druck und Papier erkoren, die bereit ist, die schreibenden Einzelgänger aufzunehmen. Die Situation der Autoren vor dem Eintritt in die Gewerkschaft hat das SPIEGEL-Institut für Projektstudien untersucht:
Für den Vorsitzenden beginnt die letzte Etappe des langen Marsches im Taunusdörfchen Springen. Dorthin hat die IG Druck und Papier für das zweite Septemberwochenende zu einer medienpolitischen Arbeitstagung eingeladen.
Dieter Lattmann, Präses des Verbands deutscher Schriftsteller (VS), wird den Kollegen von der Gewerkschaft und den ebenfalls eingeladenen Vertretern der Graphiker und Designer, Bildenden Künstler und Journalisten signalisieren, daß einem Anschluß des VS an die IG Druck und Papier nichts mehr im Wege steht -- es fehlt nur noch das letzte Votum der VS-Mitglieder.
Eigentlich wollten die Autoren schon im November über den Gewerkschaftsbeitritt abstimmen, aber wegen der bevorstehenden Bundestagswahlen verschoben sie ihren Kongreß auf den Januar 1973. Trendabstimmungen in zahlreichen VS-Landesverbänden haben Lattmann inzwischen überzeugt, daß der Gewerkschaftskurs von den meisten Mitgliedern akzeptiert wird.
Sollte sich die Prognose des VS-Funktionärs erfüllen, stünde ein spektakuläres Ereignis deutscher Literaturgeschichte bevor: Zum erstenmal würden sich die Schriftsteller mit denen verbünden, die ihre Produkte erst lebensfähig machen -- mit Setzern und Druckern, Papiermachern und Korrektoren. Endlich könnten die Wortproduzenten den bisher übermächtigen Massenmedien als Tarifpartner entgegentreten, gerüstet, ihre sozialpolitischen Vorstellungen notfalls mit gewerkschaftlichem Druck zu verwirklichen.
Der Aufbruch in das gesellschaftspolitische Neuland begann mit einem Traum. Festredner Heinrich Böll malte ihn auf der Gründungsversammlung des Schriftstellerverbandes aus: den Traum von einem Streik aller Autoren, Übersetzer, Kritiker, Lektoren.
»Träumen Sie diesen Traum einmal international, ·oder wenigstens europäisch«, animierte er die Versammelten, »dann erst wird Ihnen klar, welche Mammutindustrie wir füttern, eine Industrie, die uns ihre Bedingungen diktiert.«
Um diesem Diktat zu entgehen, mußten sie, das war den Autoren von vornherein klar, Gemeinsamkeit praktizieren. Ein Jahr später, 1970, feierten sie auf dem ersten Schriftstellerkongreß des VS die »Einigkeit der Einzelgänger«. Thema eines Referats von Günter Graß: »Schriftsteller und Gewerkschaft«.
»Wir werden also, wenn wir nur wollen«, so Graß, »in absehbarer Zeit tariffähig und als VS entweder innerhalb der Gewerkschaft Kunst oder innerhalb der IG Druck und Papier gewerkschaftlich organisiert sein können. Aber wollen wir auch?«
Zumindest der VS-Vorsitzende Dieter Lattmann wollte. Nachdem er seinen Verband mit prominenten Rednern und noch prominenteren Gästen -- auf dem ersten VS-Kongreß hielt Bundeskanzler Brandt einen Vortrag -- ins Gerede gebracht hatte, warb er bei Gewerkschaftern uni Verständnis für die Nöte der Autoren. Die IG Druck und Papier lud ihn ein zum Gewerkschaftstag in Nürnberg 1971.
Die Delegierten der 150 000-Mann-Gewerkschaft klatschten dem Vertreter der 3000 VS-Mitglieder Beifall, als er »den Schritt der scheinbar unverbesserlichen Eigenbrötler in die Solidarität mit den Arbeitnehmern in verwandten Berufsbereichen« ankündigte.
Es blieb nicht beim Beifall. Die Delegierten gaben ihrem Vorstand Vollmacht, mit dem VS zu verhandeln und einen Aufnahmeantrag der Autoren zu akzeptieren. Im Frühjahr 1972 erarbeiteten Schriftsteller-Vorstand und der Hauptvorstand der IG Druck und Papier eine gemeinsame Geschäftsordnung. Und wenn Lattmann jetzt mit den in Springen versammelten Medienpolitikern zusammentrifft, hat er schon das nächste Ziel im Visier, »das Entstehen der Mediengewerkschaft im Rahnien einer kleinen DGB-Reform«.
Freie Künstler gegen
»festbesoldete Zeilenstreicher«.
Freilich, Lattmann und seine Mitstreiter aus dem VS-Vorstand bilden vorerst nur einen kleinen Spähtrupp, dem viele der weniger engagierten Schriftsteller nur zögernd folgen. Denn nach wie vor ist manchem Kunstier oder Journalisten schon der Name »Gewerkschaft« ein Greuel, und viele Autoren möchten nicht mit minder eingeschätzten Schreibkollegen im gleichen Boot sitzen.
Sie sind stolz darauf, im »Reich der freien Künste« Wohnrecht zu genießen und sich von den »festbesoldeten Zeilenstreichern« (Autor Peter Rühmkorf) zu unterscheiden. Schließlich dürfen sie sich, wie der Kaufmann an der Ecke. Unternehmer nennen und werden zur Mehrwertsteuer veranlagt.
Auch ihr Publikum hält fest am Image der »letzten Freien in der Welt der Zwecke« (Schriftsteller Wolfgang Weyrauch), die durch Verbreitung ihrer Ideen, Gedanken und Erlebnisse vielleicht kärglich verdienen, aber ungebunden leben.
Doch diese riskante Ungebundenheit ist zumeist nur eine »schöne Fiktion« (Günter Graß). In Wirklichkeit leben die sogenannten Freien Autoren, sofern sie nicht zu der kleinen Schicht der ganz prominenten gehören, in einem solchen Geäst von Abhängigkeiten, daß sie kaum weniger frei oder unfrei erscheinen als jene angestellten Wortproduzenten, die als Redakteure oder Lektoren bei Presse, Hörfunk und Fernsehen im Lohn stehen.
Wie frei die freie Autorentätigkeit wirklich ist, das ergab eine Umfrage des SPIEGEL-Instituts für Projektstudien bei fast 1700 hauptberuflich oder nebenher freischaffenden Worturhebern, die sich als Dichter, Belletristen, Publizisten, Übersetzer, Realisatoren oder einfach als Autoren bezeichnen*. Die von der Soziologin Karla Fohrbeck und dem Kommunikationswissenschaftler Andreas Wiesand erarbeitete Enquete zeigt:
* Gerade bei finanziell besonders attraktiven Publikationsmedien wie
* Karla Fohrbeck/Andreas J. Wiesand: »Der Autorenreport«. Rowohlt Taschenbuch Verlag; 448 Seiten; 12 Mark.
Fernsehen, Film oder Illustrierten sind auch Freie Autoren gezwungen, sich in arbeitsteilige Produktionsabläufe einzuordnen.
* Thema und Inhalt schriftstellerischer Arbeit werden mehr und mehr von Auftraggebern beeinflußt, denn: Freie Autorentätigkeit wird im allgemeinen stärker nachgefragt als angeboten, besonders dann, wenn ein Autor über Fachkenntnisse auf bestimmten Spezialgebieten verfügt.
* Nicht einmal ein Drittel aller freiberuflich tätigen Autoren sieht eine Möglichkeit, auf die Gestaltung ihrer Verträge und auf die Höhe ihrer Honorare Einfluß zu nehmen.
* Unter den hauptberuflich Freien Autoren beziehen 57 Prozent der Befragten mehr als die Hälfte ihrer Einkünfte von einem einzigen Auftraggeber und sind damit -- so die arbeitsrechtliche Faustregel -- wirtschaftlich unselbständig ("arbeitnehmerähnlich").
Am deutlichsten wird die Selbständigkeit der Freien Autoren von wirtschaftlichen Bindungen eingeengt. Von denen, die sich bei der Befragung selbst als wirtschaftlich abhängig einstuften, nannten zwei Drittel eine Sendeanstalt, nur zehn Prozent dagegen belletristische oder Sachbuchverlage als die Vertragspartner, von denen sie den überwiegenden Teil ihrer Einkünfte beziehen.
Die hohe Abhängigkeit von den audiovisuellen Medien hat naheliegende Gründe. Für einen Autor, der etwa ein Fernsehspiel anzubieten hat, ist die Auswahl der Abnehmer wegen der begrenzten Zahl westdeutscher Sendeanstalten eingeschränkt- Zudem zahlen die Sender verhältnismäßig fette Honorare.
Bei den Buchverlagen dagegen ist die Zahl der Vertragspartner noch immer hoch, die Honorare jedoch sind im Verhältnis zum Arbeitsaufwand des Autors recht bescheiden. Doch den Nur-Bücherschreiber gibt es ohnehin nicht mehr. Der Autor der siebziger Jahre schreibt für das breite Publikum der Massenmedien.
Der in der Enquete des SPIEGEL Instituts empirisch ermittelte Normalautor verfaßt zwar auch einmal ein Buch. arbeitet aber vor allem für Presse, Funk, Fernsehen, Film und andere öffentliche und private Auftraggeber, Das Buch bleibt zwar in seinem Selbstverständnis und auch im öffentlichen Image des Autors oft die Hauptsache. seine wirtschaftliche Bedeutung aber ist meist gering.
Nur die breite Mischung kann einen Normalautor noch ganz gut am Leben halten, Abzusehen ist jetzt schon, daß mit der technologischen Entwicklung der Medien, außerdem mit der wachsenden Konzentration in der Medienindustrie die Zahl der wirtschaftlich abhängigen unter den Freien Autoren gegenüber den »echten« Freien zunehmen wird.
Von den Freien Autoren, die 1970 mehr als 24 000 Mark verdienten -- das waren in der Gruppe der 30- bis 6Ojährigen knapp die Hälfte -, bezeichneten sich schon 66 Prozent als wirtschaftlich unselbständig. Finanzielle Abhängigkeit macht sich bezahlt.
Der Autor liefert nur noch Ideen.
Zur wirtschaftlichen kommt bei der Arbeit für die audiovisuellen Medien wie für die Presse oft auch eine »berufliche« Abhängigkeit, die darin besteht, daß der Freie Autor sich den Produktionsbedingungen eines Vertragspartners anpassen muß. Zu Hause und als völlig ungebundener Privatunternehmer kann er allenfalls noch Bücher oder Essays schreiben, für die er lediglich Papier und Schreibmaschine benötigt. Heinrich Böll braucht »eigentlich nur einen Tisch, der nicht wackelt, und in der Nähe eine Gelegenheit, die Hände zu waschen«.
Schon bei der Arbeit für die Presse ist auch ein Freier Autor in vielen Fällen auf ein spezielles Archiv angewiesen. vielleicht sogar auf die Mithilfe von Rechercheuren; er muß sich häufig damit abfinden, daß seine unter Termin- und Formvorschriften entstandene Arbeit von Redakteuren gekürzt und mediengerecht aufbereitet wird.
Noch engere Bedingungen werden dem Freien Autor durch die technischen Notwendigkeiten von Funk und Fernsehen gestellt. Bisweilen beschränkt sich seine Leistung darauf. daß er den angestellten Fachleuten der Branchen eine Idee liefert.
So entwirft etwa einer der befragten Autoren für den NDR ein Fernsehfeature über Gastarbeiter: Er liefert auf zwei Seiten ein Exposé, mit Hinweisen auf Personen, die zum Thema interviewt werden könnten. Der zuständige Redakteur begutachtet das Konzept und reicht es weiter an den Realisator, der -- Autor, Redakteur, Medienexperte und Bildspezialist zugleich -- dann erst das eigentliche »Treatment« schreibt. in dem genau mit allen Anweisungen steht, was wie wo und mit wem produziert wird, welcher Rechtsanwalt Stellung nehmen, welche Gastarbeiterfamilie ihre Situation darstellen soll, wen man aus dem Innenministerium dazu befragt. Dann zieht das Aufnahme-Team los, die Aufnahmen werden überarbeitet, geschnitten.
Den Freien Autor ruft man vielleicht noch einmal wegen irgendeiner Nachfrage an, womöglich sitzt er am Sendetag zufällig am TV-Gerät, um sich den Magazinbeitrag anzusehen. Später bekommt er 500 Mark überwiesen, für die Mit-Urheberschaft.
»Ein futterneidischer Lektor macht die Autoren kaputt«
Doch auch bei der Buchproduktion spielen Teamarbeit (etwa beim Schulbuch oder dem wissenschaftlichen Buch), Termin- und Absatzkompromisse (Imagepflege und Werbestrategie), Konkurrenz und regelrechte Auftragsarbeiten eine immer größere Rolle.
Schon in der Auswahl ihrer Themen sind die Freien Autoren nicht ganz so frei, wie ihr Image es eigentlich wissen will. Auf die Frage, wie sie »auf die Themen ihrer letzten Arbeiten gekommen« seien, antworteten zwar 40 Prozent: »Durch aktuelle Ereignisse«, und 47 Prozent nannten das eigene Spezialgebiet als Themenquelle. Doch in vielen Fällen war offenbar Nachhilfe von außen im Spiel, denn zugleich räumten 36 Prozent aller Befragten ein, daß ein Auftraggeber sie auf das Thema gebracht habe.
Auch für den Arbeitsprozeß selber scheinen die Vertragspartner nicht unwichtig zu sein. Rund ein Drittel der wirtschaftlich abhängigen (rund 24 Prozent der »echten« selbständigen) Autoren nannten Redakteure, Lektoren und Verleger als die Personen, die ihnen für die »inhaltliche Diskussion« der jeweiligen Arbeit am wichtigsten waren.
Zumeist haben sich die Freien Autoren nicht mit ihrem eigentlichen Vertragspartner zu arrangieren, sondern mit einem Lektor, Redakteur oder Referenten, der als Mittler zwischen den marktorientierten Interessen des Mediums und den Vorstellungen des Autors fungieren soll. Hat der angestellte Mittelsmann eigene schriftstellerische Ambitionen, bleiben dem Freien Urheber nur wenig Chancen.
»Ein futterneidischer Lektor, der als Autor selbst keinen Erfolg hat«, so klagt einer der befragten Belletristen. »mochte den Kreis der Autoren klein halten, um vielleicht selbst zum Zuge zu kommen. Da werden Leute kaputtgemacht, nur um sie vom Geschäft fernzuhalten.«
Doch selbst wo es sachlicher zugeht. bekommt der Autor persönliche Abhängigkeit zu spüren. Lektoren und Redakteure haben über Programmrichtlinien, über Ressort- oder Verlagsetats zu wachen und achten darauf, Auseinandersetzungen mit ihren Chefs zu ver-
* Aus der »Deutschstunde« von Siegfried Lenz.
meiden -- sei ihnen der anbietende Autor und sein Produkt noch so sympathisch. Für die Autoren sind jene berufsmäßigen Mittler ein zumindest unzuverlässiger Schutz. Um so besser funktionieren sie -- oft unbewußt und ohne es zu wollen -- als Vertreter der Arbeitgeberinteressen.
Allgemein unterliegt auch freie Autorentätigkeit dem harten Gesetz von Angebot und Nachfrage. Zur Zeit der Befragung war die Marktlage für Produkte aus freier Autorentätigkeit günstig. Die Nachfrage überstieg -- vor allem seitens der Massenmedien -- das Angebot. 71 Prozent der Freien Worturheber gaben an, daß die Abnehmer zumeist »an sie herantreten«; nur etwas mehr als die Hälfte bieten ihre Arbeiten gleichzeitig auch von sich aus an.
Die stärkste Nachfrage herrscht außerhalb der Massenmedien, im sogenannten grauen Markt. Hier honorieren Behörden und Wirtschaftsbetriebe. Vereine und Privatpersonen meist pauschal und ohne Vertrag mancherlei Dienstleistungen, die das Publikum kaum mit dem Image des freien Künstlers verbindet.
Da wirbt ein Autor mit Bild und Anekdote in einer Zeitungsanzeige für »typisch irische« Ferien; ein anderer reist samt Ehefrau im Auftrag einer Reederei nach Südamerika, um ein Reisebuch zu schreiben, das sich für PR-Zwecke eignet; ein dritter fährt in Goethes Namen ins Ausland, um durch das Vorlesen aus eigenen Werken deutsche Kultur zu verbreiten. Die meisten Aufträge freilich sind weniger luxuriös: Übersetzungen, Vorträge für Tagungen, Fachaufsätze oder gar Festgedichte.
Wo eine ständige Nachfrage herrscht, geraten die Autoren leicht in ein Dauer-Arbeitsverhältnis zu ihren
* Aufnahme von Leo Lehmans »Ach, so eine nette Person«.
Auftraggebern. Etwa ein Viertel der befragten Freien Autoren verfertigen ihre Arbeiten aufgrund eines längerfristigen -- Vertragsverhältnisses. Wer aber durch einen Kettenvertrag an den Abnehmer gebunden ist, unterscheidet sich nur noch wenig vom echten Arbeitnehmer, etwa dem angestellten Redakteur.
Vor allem die Rundfunkanstalten haben sich an bestimmte »freie« Mitarbeiter schon ziemlich gewöhnt. Die Abhängigkeit von diesen monopolartigen Vertragspartnern ist dann nahezu unausweichlich. So gab ein Funkautor zu Protokoll, die ständigen freien Mitarbeiter würden »teilweise gezwungen. wie angestellte Redakteure innerhalb fester Arbeitszeiten tätig zu sein, ohne daß die Rundfunkanstalten den freien Mitarbeitern auch nur die geringste soziale Sicherung bieten«. »Viele Verlage nutzen die Situation schamlos aus.«
Auch beim Fernsehen, so einer der Befragten, »hat der Auftraggeber ein solches Monopol der Arbeitsvergabe und der Honorarfestlegung, daß der Autor alleine nur akzeptieren oder ablehnen kann -- und das mit erheblichen Folgen für seine zukünftige Tätigkeit«.
Selbst gegenüber den Buchverlagen ist der Freie Autor nicht notwendig auch frei in der Wahl, einen Vertrag anzunehmen oder abzulehnen. Eine Buchautorin gestand, sie sei »mehr oder weniger auf jeden Auftrag angewiesen«; sie könne es sich »nicht leisten, einen mäßigen Vertrag abzulehnen«. »Viele Verlage«, so habe sie erfahren müssen, »nutzen derartige Situationen schamlos aus.«
Spätestens bei der Vertragsunterzeichnung erfahren die Autoren, wie einseitig sie von dem Abnehmer ihrer Hervorbringungen abhängig sind -- es sei denn, sie gehören zur umworbenen Prominenz. Nicht selten bekommen sie erst dann einen Vertrag zu sehen, wenn sie ihre Arbeit bereits geleistet haben; es bleibt ihnen dann gar nichts anderes übrig, als die vom Abnehmer einseitig festgelegten Bedingungen zu unterschreiben.
Eine Vor-Auswertung von 1300 Autoren-Verträgen ergab, daß nur 13 Prozent der für Hörfunk, Film oder Fernsehen tätigen Wortproduzenten Einfluß auf ihre Verträge und auf die Höhe des Honorars ausüben konnten, während es bei der Presse und bei Heftromanverlagen immerhin 33 Prozent waren. Nur wenige Autoren haben Nerven und Mittel genug, einen Verleger zu zwingen, die bestellte Arbeit auch innerhalb einer bestimmten Frist zu drucken oder wenigstens ein angemessenes Ausfallhonorar zu zahlen.
So berichtet eine Autorin von einem Verlag, der ihr Manuskript zwar akzeptierte, es aber dann drei Jahre lang liegenließ, ohne daß die Verfasserin es an einen anderen Verlag weiterreichen konnte.
Freilich scheinen es Schriftsteller auch besonders schwer zu haben, über die materielle Seite ihrer Existenz unbefangen zu reden und gehört zu werden, denn die deutsche Kulturideologie und manches schriftstellerische Ego pflegen die Vorstellung, mit Geld dürfe die Kunst doch eigentlich nichts zu tun haben. Aus Furcht, durch Verletzung dieses Tabus die Sympathie eines Feuilletonredakteurs zu verlieren, scheut mancher Autor davor zurück, die Frage nach der Höhe des Honorars, nach
* Alfred Andersch (mit Pfeife) auf einer Literaturveranstaltung des Goethe-Instituts in London.
Rechten und Nebenrechten früh und deutlich genug zu stellen.
Steuer- und kartellrechtlich gelten Freie Autoren heute noch als Unternehmer oder Unternehmen. In Wirklichkeit trifft diese Definition nur auf eine kleine Zahl Freier Autoren zu, die ihre Arbeitsbedingungen selber festlegen können und in ihrer Tätigkeit kaum irgendwelchen Einschränkungen unterworfen sind.
An diesen Außenseitern jedoch orientiert sich weitgehend das Image vom Schriftsteller, im Feuilleton ebenso wie etwa in Rechtskommentaren. So setzt der Arbeitsrechtler Nikisch ungeprüft voraus, daß ein Autor »bei der Herstellung seiner Werke keinen Weisungen« unterliege.
Die Mehrheit paßt nicht in das Bild. Die Mehrheit, das sind jene vielen Autoren, die es sich nicht leisten kosinen, einen Auftrag zurückzuweisen, das sind die zahllosen freien Mitarbeiter der Massenmedien, deren »Berufung« in einer Dienstleistungsfunktion besteht, freilich einer gesellschaftlich sehr belangvollen.
Über die Hälfte der Freien Autoren leben, zugleich abhängig und doch als Selbständige deklariert, in einem wenig komfortablen Status, den das Steuerrecht schlicht ignoriert. »Das wäre doch auch unlogisch«, meint die Hamburger Finanzbehörde. »entweder man ist Arbeitnehmer oder Selbständiger.« Arbeitsrechtler dagegen kennen einen dritten Zustand: die Arbeitnehmerähnlichkeit.
»Als arbeitnehmerähnlich«. so erläutern die Arbeitsrechts-Kommentatoren Bobrowski und Gaul, »sind diejenigen Personen zu bezeichnen, welche in wirtschaftlich abhängiger Stellung für andere tätig sind, ohne dabei ihre persönliche Selbständigkeit zu verlieren.« Arbeitnehmerähnliche Autoren, Künstler und andere Heimgeistige wären mithin zwar einkommens- und nicht lohnsteuerpflichtig. aber da ihnen Unternehmereigenschaften abgehen, brauchten sie nicht zur Umsatzsteuer herangezogen zu werden.
Bisher konnten Verbände, Versicherungsträger und Politiker sich nur selten darüber einigen, welche Art von Abhängigkeit ein freier Zeitungsjournalist oder Lexikonmitarbeiter, ein Heftromanschreiber oder ein Schulfunkautor nachweisen muß, um -- ähnlich wie ein Heimarbeiter -- Anspruch auf soziale Leistungen seines Auftraggebers erheben zu können
Dabei liegt die Misere der Freien Autoren vor allem in ihrer sozialen Unsicherheit. Krankheit und Alter werden für sie noch mehr als für andere Freiberufler zum Problem. Viele müssen im Alter weiterarbeiten, auch wenn sie nicht mehr recht können und eigentlich schon nicht mehr wollen, auch wenn sie für einen Markt produzieren müssen. den sie nicht verstehen und auf dem sich ihre Produkte nur noch schwer verkaufen lassen.
Ein Viertel aller Autoren hat keine Altersversicherung.
Anders als manche anderen selbständigen Freiberufler, ein Fabrikant oder Zahnarzt oder Ladenbesitzer etwa, können sie aber ihr »Unternehmen« nicht an Jüngere verkaufen und von einer Leibrente weiterleben; denn ihre Praxis, das ist ein Schreibtisch und ein Schrank voll Bücher, ihr Kapital, das sind die Romane, Essays, Drehbücher, Feuilletonbeiträge, deren Honorare längst verzehrt sind und deren Tantiemen bestenfalls noch tropfenweise eingehen.
Die Möglichkeit, sich im Laufe des beruflichen Lebens Ansprüche auf eine Altersrente zu erwerben, haben nur wenige der älteren Freien Autoren gehabt. Meistens waren sie nicht lange genug als Arbeiter oder Angestellte tätig, als daß sie eine nennenswerte Rente erwarten könnten. Durch eigene Zahlungen die früher erworbenen Rentenansprüche aufzustocken, erschien den wenigsten attraktiv, weil sie dann auch den einst vom Arbeitgeber gezahlten Anteil (50 Prozent des Beitrags) selber hätten aufbringen müssen.
»Bei der selbstgestrickten Altersversorgung der Freiberufler«. so erklärt der Rechtsanwalt Schulze-Borges gleich für alle Freien Berufe, »summieren sich ungünstige Faktoren.« Und in der Tat haben zwei Kriege, zwei Inflationen und allgemeiner Geldwertschwund zumindest jene klassische Methode der Vorsorge diskreditiert, die darin bestand, »jährlich Scheinchen auf Scheinchen zu legen«.
Nur 44 Prozent der über 60jährigen (und 52 Prozent der über 70jährigen) Freien Autoren beziehen Renten oder Pensionen, oft freilich nur als eine Art Grundsubvention, die sie nicht vom Schreibzwang befreit, sondern nur vor größter Not schützt: Noch 62 Prozent der 60- bis 70jährigen sind auf die Autorentätigkeit als ihre Haupteinnahmequelle angewiesen.
Rund ein Viertel der 30- bis 60jährigen gab bei der Befragung an, keinerlei Altersversicherung abgeschlossen zu haben, 17 Prozent vertrauen darauf, durch den Ehepartner »für das Alter abgesichert« zu sein. 12 Prozent hatten bereits früher Rentenansprüche erworben oder bauen sie durch Weiterzahlen aus.
Zwar vermochte es ein kleiner Teil der jetzt über 60jährigen Autoren, den Gewinn aus ihrer Arbeit in besseren Zeiten so krisenfest anzulegen, daß sie noch erleben können, was ihr Vorfahr Hölderlin nur erträumte: »Friedlich und heiter ist dann das Alter.«
Knapp .die Hälfte der alten Autoren kann mit einem monatlichen Netto-Haushaltseinkommen (aus Autorentätigkeit« Rente, Einkünften des Ehepartners. Besitz) von mehr als 1500 Mark rechnen, das sie und ihre Angehörigen vor größeren materiellen Sorgen schützt. Trotzdem: Nach den Daten der Autoren-Enquete gibt es 150 bis 200 alte Schriftsteller. die ihren Lebensabend in Armut verbringen müssen, zwischen Rente und Suizid. Hartherzigkeit der Gesellschaft oder Sorglosigkeit der Autoren?
Die Funktionäre der Zunft malen das Schicksal ihrer betagten Kollegen als »Exempel für die Hartherzigkeit und Kulturlosigkeit der Überflußgesellschaft aus -- die Konsumenten der Unterhaltungsindustrie indes fragen, irritiert vom Erfolg einiger Bestsellerpro-
* Villa von Jürgen Thorwald in Suvigliana.
duzenten, warum denn diese freiwillig freiberuflichen Autoren nicht beizeiten vorgesorgt hätten.
Aber die Sozialgesetzgebung ist eine Arbeitnehmergesetzgebung, und die Gewerkschaften kämpfen nur für Lohnabhängige, nicht für sogenannte Selbständige, selten für freie Mitarbeiter. Was dem Freien Autor bleibt, um sein Alter abzusichern, ist ein nur mäßig verlockendes Angebot.
Für freie Journalisten gibt es die Möglichkeit, sich privat beim »Versorgungswerk der Presse« (VWP) zu versichern. Im Gegensatz zu ihren angestellten Konkurrenten jedoch müssen sie den vollen Versicherungsbeitrag allein aufbringen. Die durchschnittliche Altersrente des VWP -- sie ist nicht dynamisch, da das Unternehmen von privaten Versicherungen gedeckt wird -- betrug im Dezember 1970 ganze 408 Mark.
Ende vorigen Jahres haben auch die Rundfunkanstalten für ihre freien Mitarbeiter eine Pensionskasse eingerichtet, in die sie als Arbeitgeber einen Anteil von fünf Prozent jedes Honorars einzahlen, weitere fünf Prozent müssen die Autoren selbst beitragen. Die Höhe der Pension beträgt zwischen zehn und 24 Prozent des ursprünglichen Verdienstes; die Altersgrenze ist, ganz progressiv, bereits flexibel.
Die betrieblichen Zusatzversorgungen einiger Buch- und Presseverlage sind in vielen Fällen nicht mehr als sanfte Druckmittel, Autoren an einen Vertragspartner zu binden. Der Signal-Verlag in Baden-Baden etwa gewährt Autoren, die zum Verlag »in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis stehen« oder »im Laufe der letzten fünf Jahre mindestens drei Titel im Verlag veröffentlicht haben«, zwar keine Alterssicherung, aber jährlich 624 Mark, steuerlich von der Firma voll absetzbar.
1970 wartete auch der Bertelsmann-Konzern mit einer Autoren-Altersversorgung -- Mindestrente 300 Mark -- auf, die all denen zugute kommen sollte, »die bis zum Eintritt des Versorgungsfalles entweder drei selbständige Veröffentlichungen normalen Seitenumfangs oder eine entsprechende größere Anzahl von Büchern kleineren Seitenumfangs in der Verlagsgruppe Bertelsmann herausgebracht haben«.
Freilich kommen nur solche Autoren in den Genuß der Rente, die »noch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser »Vereinbarung mit mindestens einem ihrer Bücher im Verlagsprogramm vertreten sind«.
Die Bestimmung wurde der Bertelsmann-Autorin Herta Zerna ("Sommer in Nipperwiese") zum Verhängnis. Die Schriftstellerin hatte zwar bei Bertelsmann seit 1960 bereits fünf Bücher verlegen lassen und »inzwischen ein neues Manuskript geschrieben und auch vorgelegt. Aber nun hatte sich auf einmal das Verlagsprogramm geändert«.
Vom Verlegerausschuß des »Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel« ist inzwischen ein Versorgungsmodell erarbeitet worden, das die sozialpolitischen Einzelaktionen einiger Verlage zu übertreffen verspricht. In dem Konzept heißt es:
Den Autoren wird der Beitritt zur gesetzlichen Rentenversicherung vorgeschlagen. Gleichzeitig ist die Errichtung einer Kasse vorgesehen, in der die Honorar-Anteile der Autoren und ein Zuschuß des Verlages in gleicher Höhe gesammelt werden. Die Kasse übernimmt die Zahlung der Versicherungsbeiträge und trägt zur Alterssicherung der Autoren in sozialen Härtefällen aus ihren Mitteln bei.
Als Beitragssatz schwebt den Planern vor, daß beide Seiten je zehn Prozent des Honorars abzweigen. Daß die Zahlungen nicht direkt an die Versicherung, sondern an eine Zwischenkasse geleistet werden, hilft all jenen Schriftstellern aus der Verlegenheit, die nur unregelmäßige Einkünfte beziehen und deshalb darauf angewiesen sind, ihre Beiträge für die Rentenversicherung vorgestreckt zu bekommen.
Dem Verband deutscher Schriftsteller indessen paßte das Verleger-Modell zunächst nicht ins Konzept. »Den Buchverlegern ist bekannt«, so mäkelten die VS-Vertreter in einer ersten Stellungnahme, »daß der VS seit zwei Jahren an der Verwirklichung eines Sozialwerks auf der Basis einer Bibliotheksabgabe arbeitet.«
Die Verleger haben denn auch, wie Verlegerausschuß- Vorsitzender Ulrich Staudinger erläutert, die Vorbereitungsarbeiten für ihr Versorgungsmodell »zunächst zurückgestellt«, obwohl dafür »der Börsenverein bereits die Mittel genehmigt hat«.
Inzwischen dürfte auch der VS erkannt haben, daß er mit dem »Bibliotheksgroschen« nur einer kleinen Gruppe von Autoren wirklich helfen kann, und überdies in erster Linie den Buchautoren.
Sinnvoll kann nur eine Altersversicherung sein, die sich nicht auf ein einzelnes Medium -- sei es Buch, Presse oder Sendeanstalt -- beschränkt, sondern die berufliche Mobilität der Autoren berücksichtigt.
Die Mehrheit der Freien und teilberuflichen Wortproduzenten müßte durch diese Versicherung in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen, die schlechtgestellte Minderheit vor allem der älteren Autoren durch einen Sozialfonds unterstützt werden.
Basis einer solchen sozialen Sicherung im Medienverbund, wie sie den Enquete-Verfassern Fohrbeck und Wiesand vorschwebt, könnte eine »Versorgungskasse der Autoren« sein. Die bereits bestehenden Versorgungswerke (Pensionskasse ·für freie Mitarbeiter bei den Rundfunkanstalten sowie Versorgungswerk der Presse) und das projektierte Modell der Buchverlage müßten in die Versorgungskasse integriert werden, ohne deshalb völlig in ihr auf zugehen.
»Den Autoren fehlt das Bewußtsein ihrer Verantwortung.«
Diese Kasse hätte vor allem dafür zu sorgen, daß die Rentenversicherung auch dann Beiträge erhält, wenn die Autoren selbst nur unregelmäßig zahlen können, sie müßte die Beiträge für eine Mindestrente garantieren und Zuschüsse an einen Sozialfonds leisten (siehe Graphik).
Ein solcher Fonds erscheint notwendig, weil Versorgungsmodelle auf Versicherungsbasis nur schlecht geeignet sind, in Not geratenen älteren Autoren zu helfen. Zuschüsse an diesen Sozialfonds sollten außer der Versorgungskasse auch die sogenannten Verwertungsgesellschaften, die Rundfunkanstalten und ihre Tochtergesellschaften sowie die öffentliche Hand erbringen.
Etwa 6000 betroffenen Freien Schriftstellern und Journalisten könnte ein solches medienübergreifendes Versorgungswerk eine leistungsfähigere Altersversicherung garantieren, als sie durch finanzschwache Eigeninitiativen oder schlichtes Vertrauen auf den Staat zu erwarten haben.
Einem anderen Ziel freilich würden die freien Mitarbeiter der Kulturindustrie auch dann noch so fern sein wie zuvor: der tariflich geregelten Sicherheit, für ihre Arbeit angemessen bezahlt zu werden. Denn: »Freie Autoren und Journalisten, die keine »Stars« und damit nicht tabuiert sind«, so findet einer der vom SPIEGEL-Institut befragten Worturheber, »sind gemessen an ihrer Verantwortung für die Gesellschaft unterbezahlt und unterprivilegiert. Sie sind zum Teil allerdings auch ohne das Bewußtsein ihrer Situation und ihrer Verantwortung. Das ist für sie selbst nachteilig -- für die Gesellschaft ist es gefährlich.«
Da soll nun der Beitritt zur Gewerkschaft Besserung bringen. VS-Vorkämpfer Lattmann sieht den ersten Vorteil, den seine Kollegen dadurch zu erwarten hätten, in dem »Verhandlungsrecht für Musterverträge mit unseren Auftraggebern, den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen, mit den Filmproduzenten. mit Presse und Buchverlagen«.
Bisher verhindert das Kartellrecht derartige Honorar-Richtlinien, weil Autoren als Unternehmen gelten und Preisabsprachen zwischen Unternehmen verboten sind. Zwar versprach Bundesminister Arendt schon im Sommer 1971, das Tarifvertragsgesetz so zu erweitern, daß es auch für »arbeitnehmerähnliche Personen« Gültigkeit bekommt. Doch es wird noch einige Zeit dauern, bis das neue Gesetz beschlossen ist. Rundfunkanstalten und Zeitungs-Verleger haben bereits Opposition angekündigt.
Die Freien Worturheber werden jedenfalls erst dann von den Neuerungen profitieren können, wenn ihre kleinen und zersplitterten Organisationen sich zusammengeschlossen oder, wie Lattmann es jetzt anstrebt, einer bestehenden Gewerkschaft attachiert haben. Denn, so will es das Bundesarbeitsgericht: »Tariffähig sind nur Vereinigungen ... die die tarifrechtlichen Aufgaben einer Koalition sinnvoll, d. h. durch einen ... wirkungsvollen Druck und Gegendruck erfüllen können.«
Den stärksten Gegendruck würde eine Koalition aller von den Massenmedien Abhängigen ausüben können, eine Zusammenfassung der bislang ständisch zersplitterten Kulturberufsgruppen zu einer einzigen Mediengewerkschaft, einer »IG Kultur«, wie sie der Schriftsteller Martin Walser schon 1970 vorschlug. Denn sie alle, Autoren wie Schauspieler, Sänger wie Bildhauer, stehen angesichts der Konzentrationstendenzen und der Multi. Media-Entwicklung vor sehr ähnlichen Problemen.
Bislang werden die Belange der Kulturproduzenten und -reproduzenten vertreten
* im DGB durch die Gewerkschaft Kunst (mit Verbänden für Musiker, für Schauspieler, Sänger und Bühnenpersonal, für Mitarbeiter der Rundfunkanstalten und des Films, für Artisten sowie für Bildende Künstler); durch die IG Druck und Papier (mit der Deutschen Journalisten-Union); durch die Gewerkschaft ÖTV (Musiker) und durch die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (Angestellte der Verlage und des Buchhandels),
* in der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) durch Unterorganisationen für Musikerzieher, Schauspieler und Regisseure, Opernchorsänger und Tänzer sowie Jotanalisten; und schließlich
* in gewerkschaftsfreien Organisationen wie dem VS, dem Deutschen Journalisten-Verband, dem Bundesverband Bildender Künstler, dem Bund Deutscher Grafik-Designer. dem Deutschen Komponisten-Verband.
Die Interessen von Mitgliedern einzelner Organisationen liegen häufig auch in Bereichen, für die bisher andere Verbände und Gewerkschaften zuständig sind. Schriftsteller und Freie Journalisten arbeiten oft gleichzeitig in den Bereichen Rundfunk, Fernsehen oder Film, sie schreiben für Buchverlage, Tages- und Wochenpresse. Fachzeitschriften und Illustrierte.
Damit sind sie aber auf so unterschiedliche Organisationen wie den Verband deutscher Schriftsteller, die Rundfunk-Fernseh-Film Union (RFFU), den Deutschen Journalisten-Verband oder die Deutsche Journalisten-Union, womöglich auch noch auf die Dramatiker-Union oder auf die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft angewiesen.
Althergebrachte gewerkschaftliche Kompetenzen müßten erst aufgegeben oder neu verteilt werden, etablierte Funktionäre müßten sich erst von ihrem Besitzstandsdenken lösen, bevor alle arbeitnehmerähnlichen Mitarbeiter der Kulturindustrie sich in einer Industriegewerkschaft Kultur zusammenfinden können. Doch die Reformbereitschaft in den Gewerkschaftshierarchien ist gering.
Immerhin: Gewerkschafter Leonhard Mahlein, Vorsitzender der IG Druck und Papier und Verhandlungspartner der anschlußwilligen Schriftsteller, gibt zu: »Langfristig geht die Entwicklung in Richtung auf eine allgemeine IG Kultur -- der Name ist für uns keine heilige Kuh.«
»Kampfgemeinschaft mit den lohnabhängigen Massen.«
Doch vorerst bleibt den Autoren nur die Hoffnung, daß der Beitritt zur IG Druck und Papier ihnen den nötigen Gegendruck für die Auseinandersetzung mit den Medien verschafft. »Wir glauben«, so der VS-Vorsitzende Lattmann, »daß das Prinzip der Industriegewerkschaft das einzige ist, das ausreicht, um eine Gegenmacht zur einseitigen Manipulation in den Medien herbeizuführen.«
Vielen seiner schreibenden Kollegen scheint dieser Glaube noch zu fehlen. »Autoren sind Einzelgänger, Individualisten« -- diese Aussage war immerhin für 60 Prozent der befragten Worturheber Argument genug, die Abstinenz von aktiver Mitarbeit für gemeinsame Interessenvertretung zu begründen.
Zumindest die VS-Mitglieder wünschen sich zwar eine starke Autorenorganisation, aber nur 37 Prozent erwarten von ihr »gesellschaftspolitischen Einfluß«, der Wunsch nach »Imagepflege« ist ihnen wichtiger (47 Prozent). am wichtigsten freilich Verbands-Aktivitäten für eine Alters- und Existenzsicherung.
Eine Gruppe gewerkschaftsfeindlicher Autoren im bayrischen Schriftstellerverband gründete im Frühjahr sogar aus Protest gegen Lattmanns IG-Druck-Kurs eine »Fraktion unabhängiger Schriftsteller im VS« und sprach von »Kasernierung des Geistes«.
Ein in der Autoren-Enquete befragter Schriftsteller dagegen fand modische Vokabeln für den Beitritt zur IG Druck: Er verspricht sich »eine Kampfgemeinschaft mit den lohnabhängigen Massen, die ja ohnehin verbreiten müssen, was wir als Autoren produzieren«.
Er selber freilich arbeitet fast ausschließlich für Fernsehen und Hörfunk. Dort aber sitzen nicht die Drucker am Drücker, sondern angestellte Spezialisten der Sender und hochqualifizierte Techniker der Deutschen Bundespost: die einen bei der RFFU, die anderen bei der Postgewerkschaft organisiert.
Trotz solcher Mißverständnisse glaubt VS-Vorsitzender Lattmann, ein »Programm für die Überwindung des berufspolitischen Dilettantismus der Autoren« zu kennen: »Solidarität mit den Arbeitnehmern der Technik bis hin zu Druck und Papier.«