GITARRE Schrumm im Frack
Türkische Kritiker nannten ihn »Satan der Gitarre«. Italienische Zeitungen sprachen vom »Paganini della chitarra«, spanische Fachblätter vom »größten Künstler seiner Fakultät«. Und das japanische Massenblatt »Asahi Shimbun« fand, er sei »der beste Gitarrist der Welt«.
Er spielte vor Chruschtschow und John F. Kennedy, vor den Kaisern von Äthiopien, Persien und Japan, vor Präsident Nasser und vor Ben-Gurion. Aber in Hamburg, München und Frankfurt, Westdeutschlands größten Städten, gastierte der 29jährige Berliner Konzertgitarrist Siegfried Behrend bislang nicht. Behrend: »Die Sache is janz einfach, ick bin selten zu Hause.«
Zumal die letzten drei Jahre seiner insgesamt zehnjährigen Musiker -Karriere durcheilte Behrend vorwiegend in Eisenbahnabteilen, Jeeps, Landrovern, Düsenmaschinen und Kleinflugzeugen: Seit 1959/60 reist der bierblonde Siegfried durch die Welt, um - im Auftrag Bonns - das deutsche Ansehen buchstäblich emporzuspielen. »Ich schaffe«, so Behrend, »mit meiner Gitarre Sympathien für die westliche Welt.«
Wichtigstes Diplomatengepäck des sendungsbewußten Musik-Botschafters ist sein 500 Gramm leichtes Zupfinstrument. Es wurde erbaut von dem sächsischen Instrumentenmacher Weißgerber in Markneukirchen bei Plauen - »die leichteste Gitarre der Welt«. Mit ihr - und einem Repertoire, das von altenglischen Gitarrenstücken über Lautensätze von Bach und spanische Volkslieder bis zu Eigenkompositionen reicht - absolvierte er im Auftrag des Bonner Auswärtigen Amts
- 1959/60 die erste Weltreise mit Konzerten in Nahost, Fernost, USA und Südamerika;
- 1961/62 die zweite Welttournee ("sämtliche Länder in Asien«, »mehrere Städte in USA«, »alle Länder Südamerikas");
- 1962/63 eine weitere Konzert-Rundreise in Afrika und Asien: von Sierra Leone über Tanganjika und Madagaskar bis nach Teheran, Bagdad und Khartum.
Behrend: »Wir haben eine Menge durch solche Konzerte wiedergutgemacht, was unsere Diplomaten verbaut haben.«
Die Gelegenheit zur Wiedergutmachung hatte ihm sein Vater - selbst Gitarrenlehrer - verschafft, der 1949 eine Gehaltsforderung an ein Berliner Konservatorium nicht anders einzutreiben wußte als in Form von Sachleistungen. Er entschied: »Mein Junge soll da Unterricht kriegen.«
Die Verrechnungsmethode machte sich bezahlt. Schon 1952 gab Sohn Siegfried sein erstes Konzert, dann bekam er ein Engagement bei der Komischen Oper in Berlin, 1954 weilte er als Gast des (inzwischen verstorbenen) Dirigenten Arturo Toscanini in Italien, und Anfang 1956 zog es den Gitarristen zu den Ursprüngen europäischer Gitarrenmusik: nach Spanien.
Behrend studierte die von maurischen Eroberern überkommene Folklore der Spanier und wußte den Flamenco bald so virtuos zu zupfen, daß die Universitäten zu Madrid und Barcelona ihm einen Lehrauftrag erteilten: die Spanier in spanischer Musik zu unterweisen. Behrend: »Seitdem nennen sie mich da unten 'Professore'.«
1957 gab er eine Reihe von Solokonzerten in der Türkei - mit zwiefachem Erfolg: Die Türken ernannten ihn zum »Gitarren-Satan«, und die Deutsche Botschaft in Ankara - so erzählt Behrend »fand das sehr dufte, was ich da machte«; sie erstattete Meldung nach Bonn, und fortan reiste Globetrotter Behrend für Deutschland.
Die völkerverbindenden Zupfakkorde des Berliners ("Großes Wagner-Orchester, das bedeutet uns doch nichts mehr") erklangen seither in mehr als 500 Städten und Dörfern von vier Erdteilen, teils in Opernhäusern, teils in Häuptlingshütten. Und nur selten wurde die Botschaft so gründlich mißverstanden wie bei einer Gala-Vorführung in der afghanischen Hauptstadt Kabul.
Das königlich-afghanische Orchester - Kalebassen, Kniegeigen, Flöten und Schlagzeug - war für das Rahmenprogramm gewonnen worden; die Kabulesen genossen es. Dann erschien der aus dem abendländischen Wilmersdorf angereiste Künstler ("Ick wollte 'n guten Eindruck machen, deshalb zog ich mir 'n Frack an") und zupfte Bach, Vivaldi und Flamenco, und die Afghanen genossen es auch. Behrend: »Bei jedem Schrumm haben die gelacht.« Anderntags berichteten Blätter in Kabul: »Der größte Komiker Europas gab uns die Ehre.«
Gediegener waren Behrends Erfolge in Amerika und in der Sowjet-Union. Brasilianern bereitete er »ungeahnten musikalischen Genuß« (Sao Paulos »Deutsche Nachrichten"), in Kansas City »stürmte das Publikum den Konzertsaal« ("The Kansas City Times"), und in Moskau und Leningrad forderte es nach zweistündigem Programm »jedesmal noch drei Stunden Zugaben« (Behrend).
Als der Wilmersdorfer Gitarren-Botschafter in der kirgisischen Steppenstadt Frunse gastierte, entzückte er auch den
- in die Provinz geschickten - Berlin -Bezwinger Marschall Schukow, der sich mit den Worten bedankte: »Sie haben mit Ihrem Spiel soeben Berlin zurückerobert.«
Um auch andere Teile Deutschlands zu erobern, will der Gitarrist - von dem im vergangenen Monat erstmals zwei deutsche Langspielplatten-Aufnahmen erschienen - im nächsten Jahr von weiteren Weltreiseplänen absehen. Sein Zwischenspiel in der heimatlichen Etappe hat er anläßlich der Berliner Festwochen im Oktober dieses Jahres bereits eingeleitet: als zeitgenössischer Musikschöpfer.
In einem »Kammerkonzert«, da in der Westberliner »Galerie Diogenes« stattfand, intonierte Behrend eigene Werke ("Studie ,Zero 23'") - geschrieben nicht nur für seine sächsische Gitarre, sondern auch für eine Reihe musikalischer Souvenirs, die er auf seinen Weltreisen eingesammelt hatte: so eine Valiha (madagassisches Zupfinstrument), eine Angklung (javanisches Rasselinstrument) und eine abessinische Tanzpriestertrommel. Außerdem wurden verwendet: eine laut tickende Stoppuhr und - so Behrend - »eine nackte Frau aus Hamburg«, die für wenige Sekunden von Scheinwerfern angestrahlt wurde.
Behrend: »Ick hatte jehofft, die würden mit faulen Äppeln schmeißen. Aber die Leute, die nehmen so was ernst.«
Gitarrist Behrend in Kamerun: Zupft für Deutschland