Zur Ausgabe
Artikel 50 / 75

Carl Amery über Ulf Miehes neuen Thriller "Puma" Schwaches Skelett im Schrank

aus DER SPIEGEL 3/1977

Carl Amery, 54, Autor des Romans »Der Untergang der Stadt Passau« und Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller, leitete kürzlich eine Tagung zum Thema »Die deutschen Schriftsteller und die Spannung«. -- Ulf Miehe, 36, ist Autor und Filmregisseur. Die Verfilmung seines zweiten Thriller-Romans, »Puma«, wird er selber inszenieren.

Wir haben nicht viel und nicht sehr gute Spannungsliteratur in Deutschland. Und jeder Versuch, sie um ein gediegenes Exemplar zu vermehren, sollte Grund zur kritischen Empfehlung sein.

Ulf Miehe, durch seinen Erstlings-Thriller »Ich hab« noch einen Toten in Berlin« einschlägig und nicht unrühmlich bekannt, hat diesen Versuchen seinen »Puma« hinzugefügt. Die Lektüre stellte dem Rezensenten zwei bohrende Fragen. Erstens: Warum gefiel der »Puma« so gut beim ersten Durchlesen? Zweitens: Warum läßt dieses Wohlgefallen bei näherer Befassung so stark nach?

Miehe ist in erster Linie Choreograph. Er war einmal (wie Günter Graß) Jazzer, und seine Generation lernt Rhythmus zudem beim Filmemachen und Filme-Ansehen. Sein Können setzt er methodisch und ökonomisch ein.

Er hat es mitgekriegt, wie man Thriller-Figuren behandelt: den »Puma« selbst, einen Elsässer. einen aus der Résistance überständigen, überharten Gangster, einen dur der mittlerweile mythologisch gewordenen französischen Tradition; seine Umgebung aus Rauschgift-Dealern, Prostituierten, französischer Kleinbürgerlichkeit, die sich auf übersichtlichste Amoralität fixiert; die fahle Schicht der neudeutschen Reichen und Wichtigen; dazu die kleinen Transmissionsfiguren, von denen jede, wie altmodische Zinnsoldaten, mit den exakten Regimentsfarben ihrer Charakteristik bemalt ist. Miehe hat die Kolorierung fleißig studiert und mit Sparsamkeit eingesetzt. Eingesetzt in ein Plot, das, aus Fairneß-Gründen, hier nur angedeutet werden soll.

Der große Coup, den der Puma plant und mit den obligaten Verwirrungen auch ausführt, ist das Kidnapping einer Millionärstochter. Die erste Schwierigkeit ist also vor-programmiert: Die junge Dame hatte vorher Krach mit ihrem grauenvollen Vater, und Daddy, von Natur, Training und Weltanschauung des Autors her mißtrauisch bei jeder Zumutung des Geldherausrückens, argwöhnt eine von der Tochter selbst inszenierte Aktion. Schwierigkeit zwei: Die Tochter, schon aus dramaturgischen Gründen sympathisch, zudem nicht ohne Sinn für die Männlichkeit des »harten« Entführers, macht nachträglich das Mißtrauen ihres Erzeugers wahr ...

Handwerklich ist das sauber. Was nicht recherchiert werden konnte, ist trotzdem nicht ohne Plausibilität -- die Gewehre, die an der Wand hängen, gehen, wie Tschechow das von einer guten Erzählung fordert, alle los. Woher kommt es also, daß man trotzdem als Leser die für den Krimi unerläßliche Aufhebung der ungläubigen Distanz nicht ganz leistet?

Es ist, so steht zu befürchten, der alte Grund, das alte wehe Lied von der mangelnden gesellschaftlichen Primär-Erfahrung, die unsere Spannungsliteratur in Deutschland so dürftig macht. Miehes Choreographie, sein spieltheoretisches Talent (ein ganz anderes, als es etwa der sogenannte seriöse Autor braucht) würde durchaus hinreichen; was ihm nicht oder kaum zur Verfügung steht, und was auch nicht recherchiert werden kann, ist der Instinkt, und zwar der partizipierende, für die Choreographie der Macht, wie sie tatsächlich auf den Bühnen der Welt gang und gäbe ist.

Selbstverständlich, keine Thriller-Literatur ist wirklich »realistisch«, das wäre gegen ihr Prinzip. Aber was sie unbedingt braucht, das sind ständige und reichliche Transfusionen von gesellschaftlichen Blutkörperchen, welche eben die Glaubhaftigkeit ausmachen, die der Stoff und seine Behandlung nur scheinbar erzeugen. Chandler und Ambler können, was die Künstlichkeit ihrer Ballette betrifft, durchaus mit der Agatha Christie konkurrieren -was ihren Vorsprung vor jener ausmacht, ist das genaue Hinhören auf die Echos der erlebten Gesellschaft, jenes Hinhören, das sich in den unnachahmlichen Dialogen niederschlägt.

Wo die Möglichkeiten zum Hinhören fehlen, da muß linke Doktrin einspringen -- und linke Sentimentalität. Diese geht, ehrlich sei es gesagt, dem Rezensenten schwer auf die Nerven. Der Hauch des Puritanismus, der aus den vierziger Jahren in den USA stammt, macht den unwiederholbaren Reiz etwa Chandlers aus -- heute, in den abgewrackten Siebzigern, ist er reiner Mundpflegemangel.

Was soll uns die nie ausgesprochene, aber ständig insinuierte Doktrin, daß selbst der Mädchen-Kidnapper nach wie vor gegen den fiesen Reichen recht hat? Was soll uns das Wundwehe dieser Verbrecher, die wenigstens (so klingt es allenthalben durch) noch für ihren Nonkonformismus einstehen? Man sehnt sich dann, und bemerkt es voll Erschrecken, nach der prachtvollen, wirklich vollständigen Amoralität der Briten, eines Eric Ambler oder Len Deighton, die für die Verrenkungen ihrer Figuren das amüsierte Interesse aufbringen, welches der Zoologe dem langsamen Tod eines Frosches im Hals einer Schlange entgegenbringt.

Der Vorwurf des linken Moralismus mag, gerade im Fall des »Puma«, in der Tat etwas boshaft klingen. In Miehes Zusammenhängen scheint sich Verbrechen tatsächlich bezahlt zu machen, die Hand des Rächers erscheint selten am Horizont, und wenn, dann richtet sie nicht Verbrecher, sondern Verbrecher, die »halbe Würstchen« sind, der Verachtung wert. Bemühen wir nicht Nietzsche. Stellen wir dennoch fest: Auch das ist Moralismus, und zwar kein geringer. Wie weit er von der Wahrscheinlichkeit wegführen kann, zeigt Miehes Wahl des »Skeletts im Schrank«, das heißt des furchtbaren Geheimnisses, mit dem ein deutscher Geschäfts-Millionär erpreßt werden kann und erpreßt werden soll. Was ist dieses furchtbare Geheimnis? Die Lieferung von Panzern in Spannungsgebiete.

Na, na, na.

Dafür bekäme er in der jetzigen Konjunkturlage noch das uneingeschränkte Lob von Minister Friderichs und der IG Metall. Miehe, wirklich: Etwas mehr Aufnahmefähigkeit für die tatsächlichen Standards unserer Gesellschaft sei dringend empfohlen!

Fazit: Miehe sollte weitermachen -- dennoch. Er sollte versuchen, aus der Sackgasse herauszukommen, in die ihn seine hervorragende Kenntnis der einschlägigen Literatur und der einschlägigen Cinematheken lanciert hat. Es gibt im deutschen Sprachraum zu wenig Spannungsliteratur, als daß wir auf einen Mann seiner handwerklichen Sicherheit verzichten könnten; und er bietet Spezialitäten, die ihn sogar international empfehlen könnten.

Die Frage, die an alle zu stellen ist: Wer verhilft diesem Autor und seinesgleichen (es sind nicht viele) zu jener Kenntnis der Gesellschaft, welche ihn befähigen wird, wahre Glaubhaftigkeit zu erreichen?

Zur Ausgabe
Artikel 50 / 75
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren