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Artikel 54 / 77

Schwätzer, Schaudenker, Generalist

aus DER SPIEGEL 37/1977

In einem SPIEGEL-Gespräch behauptete Helmut Kohl vor einem Jahr, er sei »ein Generalist und kein Spezialist«. Was immer der Biedermann Kohl damit gemeint haben mag, einer war über seine Äußerung damals mit Sicherheit mächtig stolz und sah Kohl gewissermaßen in seinen Fußstapfen wandeln: Bazon Brock. Denn Brock hatte schon über zehn Jahre davor die Generalistik für sich entdeckt, ja sie sogar als Studienfach für unsere Hochschulen gefordert und hatte sich seither auch selbst stets als Generalisten definiert. Entsprechend trägt das 1096 Seiten starke Buch, das der DuMont-Buchverlag jetzt von Brock unter dem Titel »Ästhetik als Vermittlung« auf den Markt stemmt, den Untertitel »Arbeitsbiographie eines Generalisten"**.

Was aber ist ein Generalist? Laut Brock »ein Spezialist für das Allgemeine«. Früher nannte man so einen eher Prophet, Schamane oder Priester. Daß Brock auch gegen derartige Titel nichts einzuwenden hat, weiß jeder, der seinen Weg bisher etwas verfolgt hat. Oder ihn jetzt anhand dieses gewaltigen Buch-Brockens studiert.

Da in ihm fast nichts von dem, was Brock bisher so von sich gegeben hat, fehlt (weil, so die Herausgeberin und Bei der Petrarca-Preisverleihung, Tusculum 1977. Bazon Brock: »Ästhetik als vermittlung«. DuMont verlag: Köln: 1096 Seiten; 48 Mark.

Generalistengefährtin Karla Fohrbeck, »die Kluft zwischen dem scheinbar zersplitterten Werk eines multimedial arbeitenden Generalisten und der in entsprechende Teilöffentlichkeiten und Teilerwartungen zersplitterten Rezeption« mit dieser Publikation geschlossen werden soll), erfährt man, daß Brock von Anbeginn an große Worte liebte und um erhebende Selbstcharakterisierungen nie verlegen war.

Als der 1936 in Pommern Geborene sich 1957 zum erstenmal im Kulturbetrieb meldete -- zunächst, wie auch anders, als Lyriker -, nannte er sich noch Bazon Phönix Phlebas Brock und stellte seinem in Itzehoe erschienenen Gedichtband »Kotflügel« folgendes Motto voran: »Wenn man sagen kann / ein Gedicht sei gut / dann schreibe ich bessere Gedichte / als die Erzengel.« Brock, damals zumindest so schön, wie man sich Erzengel gemeinhin vorstellt, nannte sich bald darauf, als er das Dichten immer mehr mit dem Denken vertauschte, »einen der ersten Dichter ohne Literatur«, einen »Schaudenker« und »hauptamtlichen Beweger«. Und er bewegte sich jetzt vor allem in den Kreisen der damaligen Happening-Aktionisten, verfaßte kühne Manifeste, die er relativ unbequem, nämlich kopfüber, zu verkünden pflegte.

Eines nannte sich merkwürdigerweise »Manifest gegen den Avantgardismus« (obwohl Brock den doch gleichieilig praktizierte), ein anderes, gegen die deutschen Architekten gerichtetes, »Krieg den Hütten, Friede den Palästen; Bitte um glückliche Bomben auf die deutsche Pissoirlandschaft«, und wieder ein anderes verkaufte Brock an der Frankfurter Hauptwache als »Bloom-Zeitung«, die sich allerdings rasch als eine Ausgabe der »Bild«-Zeitung entpuppte, in der aber alle Eigennamen durch das Wort Bloom ersetzt worden waren, wodurch sich Axel Cäsars Intentionen und die Bedürfnisse seines Publikums endlich adäquat zur Kenntlichkeit verändert hatten.

1962 bot Brock dem Frankfurter Zoo-Direktor Grzimek an, einmal im Zoo »Schutzbedürftigkeit der Menschen zu demonstrieren«, und reagierte auf Grzimeks Ablehnung so: »Warum wird Bazon Brock« Beweger, nicht in den Städtischen Zoo aufgenommen, wie er es angeboten hat (Säugetier. aufrecht, in Freiheit geboren, denkend -- sehr selten). Bedingungen: liebevolle Pflege eines Tieres, 3x täglich Futter rein -- Exkremente raus durch die Luke. Wärter(in), Schreibmaschine, Papier, 10 Zigaretten. Kann sich sehen lassen und schaudenken. Tut dafür, was menschenmöglich ist.«

Man sieht, Brock tat damals zumindest das Menschenmögliche, um witzig zu wirken. Und war es oft genug auch wirklich. Doch spätestens ab 1965, als ihm der überraschende Coup gelang, als »Dozent für nichtnormative Ästhetik« an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Hamburg angestellt zu werden, und er seine Antrittsvorlesung »Der künstlerische Avantgardist als gesellschaftlicher Reaktionär« betitelte (und diese auch keineswegs mehr im Kopfstand vortrug), packte ihn immer häufiger unerbittlicher Ernst und fühlte er sich immer heftiger als »Erzieher der Nation«. Aus dem Schaudenker wurde allmählich der Generalist, aus dem Avantgardisten und Pop-Philosophen der Herr Professor. Der sich für buchstäblich alles als kompetent erachtete.

Nun ist ja keineswegs ausgemacht, daß einer, der vorgibt, alles zu wissen, überhaupt nichts weiß. Oder daß einer, der gern generalisiert, in jedem Fall simplifiziert. Bei allen Vorbehalten gegen den übersteigerten Narzißmus des Bazon Brock und seine Muhammad-Ali-Allüren, unbestreitbar ist doch, daß von Brock immer wieder wichtige Impulse ausgingen.

Ende der sechziger Jahre etwa, als sich viele von uns mehr oder weniger in Protestgesten gefielen und Barrikaden wenn schon nicht bauten, so doch begrüßten, hielt Brock uns vor, wir seien unfreiwillige Stabilisatoren des Bestehenden. Was sich inzwischen leider nur allzusehr erwiesen hat. Keineswegs ein »Anti-Dutschke«, zu dem ihn die »FAZ« kürte, ging Brock mit Marx davon aus, daß der Mensch eine Ware unter Waren ist und er diesen Warencharakter also nicht einfach überspielen kann: »Wer gesellschaftliche Zustände reflektiert, als gehöre er im Augenblick nicht dazu und brauche sich selber nicht zu reflektieren, dessen Widerspruch, dessen Kritik wird zum offensten Einverständnis mit der widersprochenen Sache.«

Wie reaktionär und -- wenn auch unfreiwillig -- zynisch ihm deshalb gerade jene sogenannte engagierte Kunst erschien, die ab 1968 -- wenn denn Kunst überhaupt noch erlaubt sein sollte -- allenthalben postuliert wurde, verdeutlichte Brock in einem ebenso drastischen wie präzisen Bild: »Und nun, meine Damen und Herren, die wir hier so festlich versammelt sind, die wir vor geladenen Tischen sitzen, die Gegenwart aller Schönheit, allen Ruhms und aller Größe so freizügig genießen, erhebe ich mit Ihnen mein Glas. um all derer zu gedenken, die dessen leider entraten müssen: Die Armen, sie leben hoch, hoch, hoch!«

Brock ging es mit solcher Polemik garantiert nicht um Rettung einer »reinen«, »hohen« oder irgendwie »elitären« Kunst, sondern ganz im Gegenteil um eine Erweiterung unseres Kulturbegriffes, um das, was er als »die Zurücknahme der Kultur in den materiellen Lebensprozeß« bezeichnete. Also um eine Kultur, die tatsächlich von allen praktiziert wird. Eine solche aber kann nach Brocks Vorstellung logischerweise nur eine der Rezeption (nicht der Produktion) sein, eine Konsumkultur sozusagen.

Und um Konsum- und Rezeptionstechniken bemühte sich Brock seither unentwegt. Schon das Happening, das er als ästhetische Vermittlungsform früher bevorzugte, war ja nicht mehr individuelle Kunstproduktion, sondern das Publikum war hier Mitproduzent, die Rezeption war im Grunde identisch mit der Produktion, indem Vorgänge zu Kunstwerken erklärt wurden und solche nur für die Dauer des jeweiligen Vorgangs waren. Der Künstler war da nicht mehr Schöpfer einer Gegenwelt, und er legitimierte seinen Anspruch nicht länger durch Leiden.

Erst recht kennt die Massenkultur oder »Unkultur«, die in Brock ihren bisher vehementesten Verteidiger fand, »ganz sicher keine Rechtfertigung irgendwelcher Formen des Leidens der Menschen« mehr, statt auf Sublimierung drängt sie auf Erfüllung der Wünsche.

Es ist klar, daß sich Brock mit seinen unermüdlichen Plädoyers für die Produkte der Kulturindustrie, sei es das Fernsehen, Mode oder Kosmetika, in strikten Gegensatz stellte zu seinem zeitweiligen Lehrer Adorno und überhaupt zur Frankfurter Schule, deren »Dialektik der Aufklärung« ja vor allem in einer Verdammung der Kulturindustrie und der Konsumwelt bestand und deren Ästhetik nicht auf Praxis zielte, sondern auf Aufhebung, auf Negation des »schlechten Bestehenden«.

Die ästhetische Praxis, wie sie Brock auffaßt, ist aber gerade »Vermittlung von Verhaltensweisen zur Bewältigung der gesellschaftlichen Praxis«. Diese Bewältigung soll jedoch nicht darin bestehen, daß »man lernt, was objektiv vorgegeben ist, sondern wie man sich aus den objektiven Zwängen des Vorgegebenen befreit«. Und wenn sich hier Brocks Intentionen scheinbar auch noch einmal mit denen Adornos berühren, wäre (und war) Adorno natürlich heftig erbost.

Brock tritt nämlich mit einer neuen Kategorie auf den Plan, die er »Strategie der affirmativen Praxis« nennt. Und diese besagt, daß wir uns nicht durch Widerstand, nicht durch Negation des Bestehenden aus dessen objektiven Zwängen befreien, sondern allein durch Affirmation.

Affirmation, das klingt seit Herbert Marcuse nach doofer Jasagerei, Brock aber meint damit ein »Wörtlichnehmen von Ansprüchen und Normen bis zu ihrer Selbstaufhebung«. Mancher wird Aa denken: ein alter Hut, weil ihm der Satz von Marx in den Sinn kommt: »Man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt.«

Doch Brock denkt gar nicht an »Vorsingen«, nicht an etwas, was also bestenfalls ein ironischer Kommentar wäre, sondern er will ganz buchstäblich Durchsetzung der jeweiligen Ansprüche bis zu ihrem -- vermeintlichen -- Legitimationsverlust und damit zu ihrer Aufhebung.

Um ein Beispiel Brocks aus der Zeit der Apo-Demonstrationen gegen Springer zu zitieren: »Wenn sich die Berliner Studenten aus dem fatalen Zwang zur Affirmation als Widerspruch lösen wollen, dann dürfen sie sich nicht auf positive Gegenbilder berufen und sich schubladieren lassen als Radikalinskis, Schwachköpfe, Pervertierte usw., sondern sie müssen zur revolutionären Praxis übergehen, und die bestünde darin, genau das zu tun, was ihnen Herr Springer vorschreiben will ... Wenn Axel Springer zur Beseitigung der Schandmauer auffordert, so müssen also die Tausende der Studenten ihm sofort die Hände küssen, ihn loben, wie recht er habe, und ihm geloben, daß sie sofort zur Tat schreiten würden. Ich möchte diesen Zug an die Mauer sehen, an einem halben Nachmittag wäre das Problem Springer gelöst. Denn entweder wären die Polizisten gezwungen, diejenigen niederzuschießen, die die Mauer beseitigen wollen, nämlich die West-Berliner Studenten, oder andererseits müßte Springer seine Aufforderung und sein ständiges Postulieren und Räsonieren über die Mauer, die weg muß, einstellen.«

Ich finde es bezeichnend, wie Brock seine Strategie für die -- leider nachträgliche -- Lösung des Nazi-Problems offeriert. Da die Herren des 20. Juli, laut Brock, offenbar wußten, »daß sowohl die SS ohne Himmler als auch Himmler selber und unter Umständen sogar Hitler sich bemühten, mit u. a. Stettinius, dem amerikanischen Außenminister, Kontakt aufzunehmen, hätten sie vor dem Volke die Absetzung der Naziclique damit begründen müssen, daß die höchsten Herren mit dem Feind kollaborierten«. Aha.

Und was ist mit der Endlösung? Lebten 6 Millionen Juden noch, wenn alle immerzu auf strikte Erfüllung der Rassengesetze gedrungen hätten (die meisten taten es)? Oder, um weniger fruchtbare und weniger entfernte Beispiele zu wählen: Hilft auch gegen den Radikalen-Erlaß eine Art Selbstanzeigekampagne, und soll man den allgemeinen Rechtsruck dieser Republik (den Brock in einem SPIEGEL-Essay 1974 allerdings als Sieg eines freundlich intellektuellen Konservatismus feierte) nach Kräften fördern, damit schließlich eine sozialistische Gesellschaft sein Ergebnis ist (die Brock gar nicht will)?

Ludwig Hohl hat einmal geschrieben: »Theorie ist das Feindliche. Beobachtung das Helfende. Was ist Beobachtung? Liebe.« Das ist Brocks Schwäche, er kann oder will nicht beobachten, er muß immer gleich eine Theorie ausspucken. Da behauptet er z. B.: »Kosmetik und Mode sind heute. die Vollzugsorgane der Verfassungsgrundsätze Gleichheit und Freiheit«, hat also offenbar nie mehr die Leute in den Straßenbahnen und Kaufhäusern beobachtet, die dieser Theorie -- in der Form der Werbung -- auf den Leim gegangen sind und denen alle Kosmetika und Moden nichts nützen, sie werden nicht schöner, nicht freier, sie werden nur betrogen.

1968 gab Brock der damaligen Lyrikerin Heike Doutiné den Rat, keine Gedichte mehr zu schreiben, weil diese nämlich hinter ihrer sichtbaren Qualität als kosmetischer Gegenstand zurückbleiben müßten. Und was ist in ein paar Jahren? Soll die Doutiné da wieder dichten, weil Kosmetik dann nichts mehr hilft?

Aber Alter, das ist ein Begriff, der nur bei dem Jung-Lyriker Brock einmal auftaucht, als Koketterie, der aber ansonsten keinen Platz hat im Begriffsregister dieser Arbeitsbiographie, das immerhin 22 Seiten stark ist. Es enthält zwar Stichwörter wie »Aktfoto«, »Applaus«, »Bekannte von Brock«, »Bettgeschichte«, »,BH«, »Grabtelefon«, »Heia Safari«, »Ich«, »Ichmensch«, »Ichkunst«, »Ich selbst in der BRD«, »Live Pepsi«, »Strumpfband«, »Weihnachten«, »Zoo« und »Zustimmung« -- aber es enthält nicht Melancholie, Einsamkeit, Trauer, Unglück, Schmerz. Auch Elend und Armut und Repression fanden keine Aufnahme in Brocks Begriffsregister« und erstaunlicherweise fehlen darin sogar Begriffe wie Krankheit und Wahnsinn; und unter dem Stichwort »Selbst« finden sich zwar zwölf Begriffe -- von Selbstdarstellung bis zur Selbstwahrnehmung -, aber der Selbstmord existiert sowenig wie der Suizid in Brocks merkwürdig aufgeräumter und heiler Welt.

»Warum«, so fragt Brock einmal fast beiläufig, »warum entscheiden wir nicht, unsere gesellschaftliche Arbeitskraft für die Abschaffung des Todes einzusetzen? Es ist mit den wissenschaftlichen Methoden der Systemtheorie vorherzusagen (und zwar auf den Tag genau), wann wir z. B. das Problem Krebs lösen könnten. Unter dem Einsatz aller dafür notwendigen Mittel ist das Problem des Krebses in achtzehn Monaten zu lösen.« Nachsatz: »Das gleiche gilt für andere Krankheiten.«

Wer solche Sätze liest, muß meinen, es könne sich ein Blick in Brocks Buch unmöglich lohnen, denn solchen Quatsch dürfte Rechtens ja nicht einmal ein Künstler absondern, geschweige denn einer, der diesen in sich überwunden glaubt.

Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Zwar wettert der Generalist Brock schon seit langem -- und mit vielen guten Gründen -- gegen die »Spezielle Kritik«, wie sie sich als säuberlich voneinander getrennte Musik-, Literatur- oder Filmkritik tagtäglich in unseren Feuilletons präsentiert, aber wie es das Pech -- oder die List der Vernunft -- will, ist Brock immer dort am beeindruckendsten und verläßlichsten, wo er selbst spezielle Kritik praktiziert, d. h. eine Sache nach der ihr immanenten Gesetzlichkeit interpretiert.

Ziemlich konkurrenzlos sind -- um nur ganz wenige Beispiele zu nennen -- etwa Brocks Arbeiten über die Rückenfiguren Caspar David Friedrichs ("Dreh dich endlich um; Kerl!"), über die Deutsche Malerei im 19. Jahrhundert ("Realisten sind sie nicht"), über das Antikenprojekt der Berliner. Schaubühne oder seine Polemik gegen Regisseure vom Schlage Minks und Grüber. Wer Brock bloß für einen Schwätzer hält ("Bazon ist der »Schwätzer«, von griechisch bazo abgeleitet«, so Brock selbst), kann hier nachprüfen, wie besonnen und wie bestechend gebildet dieser Mann argumentieren kann. Intelligenz ist es jedenfalls nicht, die Brock fehlt. Was aber dann?

»Nur Entsetzen bis zur Verzweiflung entwickelt einen Menschen zu seinem Höchsten«, hat Kierkegaard einmal gesagt. Es ist sicher nicht das Schlechteste an Brock, daß er eine »Philosophie des Ja« und eine ganz und gar »weltliche Kunst« propagiert und daß er den Philosophien und Kunstwerken der Verzweiflung den Kampf angesagt hat, aber vielleicht wäre dieser doch etwas ernster zu nehmen, wenn Brock selbst ein bißchen fähiger zur Verzweiflung und zum Selbstzweifel, wenn er etwas weniger ungebrochen vernunftgläubig wäre.

Sollte es ihm nicht zu denken geben, daß die Vernunft, von der ein Samt-Just einmal glaubte, sie zu gebrauchen genüge, um das Paradies auf Erden errichten zu können -- ein Traum, dem offenbar auch Brock noch anhängt -, heute etwa bei den jungen linken französischen Philosophen (die seit kurzem auch hierzulande wahrgenommen werden) als »Finsternis der Vernunft« firmiert, welche die Unterdrückungsmethoden nur noch mehr perfektioniert habe, ja, geradezu identisch mit Totalitarismus sei?

Freilich, Brock wählt sich als Vorbilder und Genossen lieber Übermenschen aus Renaissance und Klassik; die Verlagswerbung verrät, daß etwa Leon Battista Alberti sein Vorbild sei, aber auch Winckelmann und Goethe ("der Weltaneignung der entfalteten Individuen anstelle personaler Bastelei. forderte«, so Brock) sind ihm als Kollegen gerade gut genug.

In Wirklichkeit erscheint mir Brock jedoch viel eher als ein deutscher Verwandter des kanadischen Generalisten Marshall McLuhan, dessen Theorie vom Medium, das die Botschaft sei, auch Brocks intellektuelle Prämisse ist und dessen »Gutenberg-Galaxis« Brock rechtschaffen ausgebeutet hat.

Wie bei dem cleveren Kanadier sind auch in Brocks Texten und Aktionen die Verblüffungseffekte, ja, die pure Clownerie, die gelegentlich auch ein bißchen von Salvador Dali inspiriert scheint, meist noch erträglicher als die gleichzeitig gepredigte Erlösung durch totale Hingabe an unsere heutige Medien- und Warenwelt, wenngleich auch sie dazu verführen wollen, das Bewußtsein der Knechtschaft vergessen zu machen, in der wir uns in Wahrheit befinden (das hat Helmut Heißenbüttel seinerzeit schon McLuhan vorgehalten).

Bedenke ich, wie gerade Dalí, von dem es einst niemand gedacht hätte, in späteren Jahren den Franco-Faschismus verherrlichte (auch er ein Stratege der Affirmation?), wird es mir angst bei dem Gedanken, was aus einem Bazon Brock etwa in den dreißiger Jahren hätte werden können (ist doch selbst ein Ernst Jünger mit weniger Unfähigkeit zu trauern ausgerüstet als unser allzu heiterer Schaudenker). Ich hoffe, daß ihm -- und uns -- eine Bewährungsprobe, wie sie damals die Geschichte von jedem verlangte, erspart bleibt.

Peter Hamm
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