Zur Ausgabe
Artikel 35 / 65

ZWEITES PROGRAMM Schwarze Schlange

aus DER SPIEGEL 40/1960

Statt der Druckbuchstaben »Pause« erscheint auf dem Bildschirm eine alte Kiste. Der Kiste entsteigt ein Mann, grinsend: »Kennen Sie den? Zwei Juden gehen auf dem Kurfürstendamm...«

Mit diesem Witze-Erzähler will Helmut Schreiber-Kalanag, 57, seit Anfang Juni Leiter der Abteilung (leichte) Unterhaltung der Frankfurter Gesellschaft »Freies Fernsehen«, auch das Pausenzeichen des geplanten Zweiten Fernsehprogramms zu einer Attraktion machen.

Schreiber, bei Kriegsende Produktionschef und Generaldirektor der Filmgesellschaft Bavaria, werkelt seit Wochen - an der Hundeleine den afghanischen Geparden Simbo - in den vom Freien Fernsehen gemieteten Riva-Studios in München als Abteilungsleiter. Produzent, Hauptdarsteller, Autor und Regisseur

an den Vorbereitungen für die Unterhaltungssendungen, die das Freie Fernsehen vom 1. Januar 1961 an für das Zweite Programm auszustrahlen hofft:

Von dem nach den letzten Planungen dreißig Stunden umfassenden Wochenprogramm des Zweiten Fernsehens sollen jeweils fünf von Abteilungsleiter Schreiber-Kalanag bestritten werden. Er ist zuständig für

- Musik (Musical, Operette, Song,

Kabarett),

- Variete, Eisrevue, Quiz und

- Zauberei.

Schreiber möchte die Unterhaltungssendungen des Zweiten Programms nach

jenen Regeln des Show-Business aufziehen, die ihm als Entertainer und Bühnen-Magier während der letzten vierzehn Jahre in vier Erdteilen und fünfundzwanzig Ländern volle Häuser und volle Kassen brachten.

Der Zauberer, dessen Markenzeichen Kalanag (zu deutsch: »Schwarze Schlange") dem Dschungelbuch Rudyard Kiplings entstammt, hatte als Amateur Hitler und die NS-Prominenz unterhalten. Als ihm die amerikanischen Fragebogen-Offiziere die Rückkehr in die Münchner Villa und in die Filmbranche untersagten, wurde er Berufszauberer und reiste mit seiner Kalanag-Truppe durch die Welt. Er zauberte

- in Bombay vor Aga Khan,

- in Den Haag vor der (jetzigen) Königinmutter Wilhelmina,

- in Rio de Janeiro vor Präsident

Kubitschek und

- in Zwickau vor Grotewohl (Verdienstorden: Goldene Grubenlampe).

Kalanag nahm nebenher die Finanzierungsmethoden des kommerziellen Fernsehens vorweg.

Er machte mit seinem Bühnendekor Reklame für Markenartikel vom Benzin bis zur Eiscreme. Die Firma Reemtsma, die damals 10 000 Mark überwies, um monatelang in Zaubervorstellungen genannt zu werden, hat vom 1. Januar 1961 an dieselbe Summe für einige wenige Werbe-Minuten des Abteilungsleiters Helmut Schreiber zu bezahlen.

Resümee seiner Geschäftsreisen: »Das Publikum reagiert überall gleich.« Gute Unterhaltung ist laut Kalanag »ein Mittelding«, etwas, »was nicht so sehr beschwert, was nicht so sehr zum Nachdenken reizt«.

Das bisherige Fernsehprogramm ist ihm zu »teutsch«, zu hausbacken und orthodox. Kalanag: »Das Programm wurde nach dem Kalender gemacht. Vor Weihnachten ist nur vom Lichterglanz, vor Ostern nur von Ostereiern die Rede.« Und: »Weshalb muß der deutsche Fernseher für seine fünf Mark im Monat auch noch erzogen werden?«

Vom bisherigen Unterhaltungsprogramm des Deutschen Fernsehens weiß Kalanag lediglich zwei Sendungen zu loben, nämlich die »Ausschnitte aus Opern« des Stuttgarter Regisseurs, Pfleghar und die längst verklungenen Bunten Abende Peter Kottmanns, des Leiters der Unterhaltungsabteilung beim Kölner Sender

Kalanag ("Ich verstehe von Beethoven so viel wie von Wilhelm Busch") möchte in seinen Unterhaltungssendungen weg von der deutschen Gründlichkeit: Eine Ansagerin, die auf dem Bildschirm versehentlich niest, müsse eine Gehaltsaufbesserung, nicht die Entlassungspapiere bekommen. Nach dem Vorbild amerikanischer und brasilianischer Stationen, das im Abendland bisher nur von den hemdsärmeligen Programm-Machern des Senders »Europa I« kopiert wird, möchte Kalanag Bildschirm-Pannen konstruieren: Die Leute erwarten von mir Überraschungen, beispielsweise, daß ich etwas ganz anderes ansage, als dann wirklich kommt.«

Jede Unterhaltungssendung soll so kurz wie möglich sein; als Höchstdauer eines Programmteils - und zwar allenfalls für Kriminalreißer - sieht Schreiber-Kalanag 40 Minuten vor. Er möchte auch den obligaten Vorspann, in dem sogar Regie-Assistenten und Scriptgirls, Cutter und Kameramänner aufgeführt werden, vollends streichen. Erst nach der Sendung sollen lediglich die wichtigsten Mitwirkenden genannt werden.

Nach solchen Rezepten weckt Kalanag in München-Unterföhring Unterhaltungsstoff ("Sozialkritisches überlassen wir den Zeitungen") für Wochen in Fernseh-Konserven ein. Kalanag, ein US-Managertyp, der gut im Fleische und die bloßen Füße in rote Lackpantoffeln steckt, tritt selbst in einer wöchentlichen Kalanag-Schau auf ("Kalanag 1960«; »Wir reisen mit Kalanag«; - Kalanag-Cocktail«; »Kalanag und der indische Seiltrick«; »Kalanag mal von rückwärts« und »Konfusion um Kalanag"); sie wird von dem Perry -Como-Regisseur Mel Ferber inszeniert.

In der Sendereihe »Grenzen des Wissens« diskutieren die britischen Hellseher David Berglas und Al Koran sowie ihr US-Kollege Chanaster mit Publikum und Professoren über die Möglichkeiten des Vorherwissens.

Als »vierfachen Frankenfeld« hat Kalanag den englischen (deutschsprechenden) Quizkönig John P. Wynn engagiert. In der Sendung »In der Klemme« soll das Publikum »aus dem

Leben gegriffene Situationen« enträtseln. Musterbeispiel: »Eine Dame tritt ins Zimmer. Auf ihrem Hut ist ein Würstchen aufgespießt.« Der Quizmaster fragt den Kandidaten: »Warum hat die Dame ein Würstchen auf dem Kopf?«

Unter Vertrag genommen hat Kalanag ferner nach eigener Darstellung - den »bedeutendsten« Jazz-Interpreten,

- einen der »besten« deutschen Feature-Macher à la Peter, von Zahn ("aber nach der heiter-bissigen Seite"),

- »hervorragende Texter« für abendfüllende Shows (Fernsehspiele sollen nur einmal wöchentlich gesendet werden),

- einen »Kalendermann«, der die Horoskop-Gläubigkeit ad absurdum führt, und

- einen Experten, der Untermietersorgen glossiert.

Als Sieben-Minuten-Füllsel zwischen zwei Sendungen soll »Ihr-Hausfreund« mit praktischen Ratschlägen immer dann in eine Studio-Wohnung platzen, wenn Wasserrohr oder Garderobenständer brechen.

Ob diese Kalanag-Gags und -Programme vom 1. Januar 1961 - an die bundesdeutschen Heimgeräte beleben werden, ist freilich noch nicht entschieden. Kalanag: »Die Herren (von der Geschäftsführung des Freien Fernsehens haben Angst vor meiner Courage.« FernsehUnterhalter Kalanag Warum Würstchen auf dem Hut?

Zur Ausgabe
Artikel 35 / 65
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren