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ÄRZTE Schwebendes Verfahren

Zwischen Hamburger und bayrischen Ärzte-Funktionären ist es zu offener Auseinandersetzung gekommen. Anlaß: die Praxisführung des Bundesärztekammer-Präsidenten Sewering.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Der Vorstand der Hamburger Landesärztekammer muß sich auf seiner nächsten Sitzung mit einem Vorfall befassen, der in der hundertjährigen Geschichte organisierter ärztlicher Berufsvertretung ohne Beispiel ist:

Der Vorstand der Bayerischen Landesärztekammer forderte seine Hamburger Kollegen auf, einen der Ihren, den Chef der Hamburger Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Dr. Jens Doering, wegen »einer schweren Berufspflichtverletzung« unverzüglich zur Rechenschaft zu ziehen. Begründung des Antrags: »Die Verleumdungskampagne des Herrn Dr. Doering gegen Herrn Professor Dr. Sewering.«

Die im Biertischton ("schmutziges Spiel des Herrn Kollegen Doering«, »gehässige persönliche Diffamierung") gehaltenen Vorwürfe dienen offenbar nur einem Ziel -- die immer lauter werdende innerärztliche Kritik an den Praxisgeschäften des Präsidenten der Bundesärztekammer Hans Joachim Sewering (zugleich Chef der beschwerdeführenden Bayerischen Landesärztekammer) soll gestoppt werden, Wer gegen Sewering aufmuckt, das soll die Demarche der Sewering-Kammer jedem deutschen Arzt signalisieren, muß seitens der ärztlichen Berufsgerichtsbarkeit mit der Höchststrafe rechnen: »Feststellung der Berufsunwürdigkeit«. Allerdings, eine von der Zeitschrift »Der Kassenarzt« publizierte Dokumentation interner Papiere der ärztlichen Standesführung läßt den Schluß zu: Der erste Arzt im Staat hält sich nur noch durch berufspolitische Manöver und juristische Tricks im Amt. Die Mehrheit der Kassenärzte steht nicht mehr hinter ihm.

Seit Monaten drängen Ärzte ihre gewählten Vertreter, den umstrittenen Bundesärztekammerpräsidenten zu freiwilligem Rückzug zu bewegen. Nur einer freilich wagte es, diesem Drängen nachzugeben der Hamburger KV-Vorsitzende Doering. Er informierte Sewering, die Vertreterversammlung der Hamburger Kassenärzte habe offiziell beschlossen, ihn zu bitten, »sich in der Ausübung seines Amtes bis zur restlosen Entkräftung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe äußerste Zurückhaltung aufzuerlegen«, um die deutsche Ärzteschaft nicht noch mehr in den Ruch zu bringen, überwiegend am Geldverdienen interessiert zu sein.

Obwohl Doering mit der Weitergabe dieses offiziellen Ärzte-Beschlusses nur seinen Auftrag als Vorsitzender einer kassenärztlichen Vereinigung erfüllte, münzte Sewering die Doering-Information zu einem persönlichen Doering-Querschuß um -- zu Unrecht. Denn die Frage, ob Sewerings Methoden der Geldvermehrung nicht die gesamte Ärzteschaft ins Zwielicht bringen würden, hatten viele Kassenärzte sich bereits Ende des vergangenen Jahres gestellt.

Damals war erstmals durchgesickert, daß Sewering längst keine normale Kassenarztpraxis mehr, sondern ein Medizinisch-Technisches Zentrum (MTZ) betrieb, in dem Sewering-Mitarbeiter automatisierte Diagnosegeräte rotieren ließen, deren »Befunde« Geräte-Besitzer Sewering den Kassen dann als »persönlich erbrachte ärztliche Leistungen« berechnete.

Nach einer Kontrolle durch die Krankenkassen wurde Sewering vom zuständigen KV-Ausschuß dazu verurteilt, 100 000 Mark an zu Unrecht bezogenen Honoraren an die gesetzlichen Krankenkassen zurückzuzahlen. Doch Sewering mochte das nicht.

Der Chef der Bayern-KV knöpfte sich seine Untergebenen vor. Nun weigerte sich der Ausschußvorsitzende« den von ärztlichen und Kassenvertretern einstimmig gefaßten Rückzahlungsbeschluß (wie es seine gesetzliche Pflicht gewesen wäre) schriftlich zu begründen und damit formal zu bestätigen.

Gestützt auf das ertrickste Alibi, mobilisierte Sewering sodann die ärztliche Standespresse bis zum »Deutschen Ärzteblatt« (Mitherausgeber: Sewering).

In ihrer Pro-Sewering-Kampagne setzten die -- nicht zuletzt aus den Pflichtbeiträgen der Ärzte finanzierten -Standesblätter alles daran, den Dachauer Standesführer als Opfer einer »unglaublichen Haß- und Hetzkampagne« von »linken Systemveränderern« hinzustellen und die Krankenkassen als »Rufmörder« zu schmähen.

Ausgelöst durch einen Zufall ein Münchner Mediziner hatte von einer Patientin seltsame »Unkostenblätter« aus einer Dachauer Frauenarztpraxis erhalten -, brach die Ärzte-Kritik an Sewerings Praxisgeschäften wenig später erneut auf.

Jetzt wurde offenkundig: Der Präsident der Bundesärztekammer hatte mit seiner Diagnose-Apparatur auch ein regelrechtes Mietgeschäft aufgezogen und damit aus der sogenannten Kassenärztlichen Gesamtvergütung eine runde Million Mark in seine Privatschatulle geschleust.

Solch gewerbsmäßige Apparate-Vermietung hätte jeden anderen deutschen Kassenarzt die Zulassung gekostet. Dem ranghöchsten Ärzte-Funktionär passierte bislang nichts. Die Krankenkassen stellten zwar den Antrag, Sewering die Kassenzulassung zu entziehen. Doch die dafür zuständigen Gremien von Sewerings KV schirmten ihren Hausherrn ab, so daß die Kassen Klage beim Sozialgericht einreichen mußten.

Wieder hatte sich Sewering in das Alibi des »schwebenden Verfahrens« gerettet. Und wieder gab ihm die ärztliche Standespresse Feuerschutz.

Das »Deutsche Ärzteblatt« sprach von einem »Amoklauf« der Kassen, von einem »Coup -- mit mehr Raffinesse vorbereitet und durchgeführt als ein Baader/Meinhof-Bankraub« -- und meinte schließlich: »Der Gestank dieser schmutzigsten Geschichte in der an Auseinandersetzungen gewiß nicht armen Geschichte der Beziehungen gerade zwischen Ortskrankenkassen und Ärzten wird leider noch einige Zeit in der Luft hängen.«

Doch die unter der Ärzteschaft inzwischen offen aufgebrochene Unruhe ließ sich auch mit kernigen Worten nicht mehr dämpfen:

* Der Vorstand des Verwaltungsbezirks Münster der Ärztekammer Westfalen-Lippe hielt es für notwendig, »daß Herr Professor Dr. Sewering seine berufspolitischen Ämter sofort zum Ruhen bringt, bis die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ... entkräftet sind«.

* Die Vertreterversammlung der KV Hamburg begründete ihre Bitte an Sewering, sich im Amt »äußerste Zurückhaltung aufzuerlegen«, damit, daß die »Praxisführung gerade der Spitzenvertreter der Ärzteschaft so sein« müßte, »daß sie jeder Kritik standhält«. r> Im Vorstand der Landesärztekammer Nordrhein ging gar der Beschluß durch, den Präsidenten zum Rücktritt aufzufordern.

Sewering taktierte sich auch aus dieser Situation heraus. Auf dem Deutschen Ärztetag überraschte der Vorstand der Bundesärztekammer die Delegierten mit der nicht gerade logischen »Erklärung«, Sewering müsse »aus politischen Gründen« im Amt bleiben: »Ein Rücktritt müßte zur Folge haben, daß in Zukunft jeder Repräsentant der Bundesärztekammer allein durch den Vorwurf fehlhaften Verhaltens mundtot gemacht werden könnte.« Die Delegierten sprachen Sewering mit knapper Mehrheit das Vertrauen aus.

Noch einmal davongekommen war der Standesführer freilich nur, so stellt sich jetzt heraus, durch einen Kniff: Sewering-Vertraute hatten die Parole unters Delegiertenvolk gebracht, Sewering habe fest versprochen, sich demnächst »aus Gesundheitsrücksichten« zurückzuziehen, sein Fall könne daher elegant intern bereinigt werden.

Nur ein einziger Standespolitiker wagte später, an »dieses Versprechen, das damals in persönlichen Gesprächen immer wieder gegeben wurde«, zu erinnern, der Hamburger Jens Doering.

Bedrängt von den Fragen der Hamburger Kassenärzte, ob der erste Arzt im Staat in seiner Kassenpraxis treiben könne, was jedem anderen verboten sei, ob es mithin ein »Sonderrecht für Funktionäre« gebe, beharrte Doering auf Einhaltung der Zusage.

Es bekam ihm übel. Statt sich den Fragen der Hamburger Ärzte zu stellen oder sich mit seinem KV-Kollegen Doering persönlich auseinanderzusetzen, schoß Sewering von hinten.

Seine Kassenärztliche Vereinigung Bayerns belehrte Doering, »daß die KV Hamburg, ihre Vertreterversammlung und ihr Vorsitzender ... keinerlei Zuständigkeit haben, über das Schicksal des Präsidenten der Bundesärztekammer und des Kassenarztes Sewering mitzubestimmen. Das ist ausschließlich Sache des Deutschen Ärztetages und der KV Bayerns«.

Sewering selbst intervenierte bei der Hamburger Ärztekammer. dem berufsrechtlichen Aufsichtsorgan des frei praktizierenden Mediziners Doering. Er verwahrte sich gegen »die von Herrn Doering gewählte Form der persönlichen Herabsetzung« und bezichtigte ihn der »bewußten Irreführung«.

Sewering an den Hamburger Kammerpräsidenten Dr. Arnold Rimpau: »Wenn ein KV-Vorsitzender« wie Herr Deering, dies zum Anlaß nimmt, mich vor den Kassenärzten seines Bereiches zu diffamieren, so läßt sich dies mit der Verantwortung seines Amtes nicht vereinbaren.«

Kammerpräsident und Sewering-Verteidiger Rimpau verteilte das Sewering-Verdikt unverzüglich an die Hamburger Kassenärzte, verbunden mit dem Kammer-Tadel, Doerings Oberlegungen lägen »auf gleicher Ebene und gleichem Niveau wie die der Regenbogenpresse und unserer Gegner«.

Damit waren die Weichen für einen weiteren Sewering-Angriff gestellt: Ende letzten Monats traf der offizielle Antrag der Bayerischen Ärztekammer ein, Doering wegen »einer schweren Berufsverletzung« zur Rechenschaft zu ziehen.

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