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SCHRIFTSTELLER Schwer hörig

Sein Name wurde zum Programm, seine Obsession zum Psycho-Terminus. Nun wird Leopold Ritter von Sacher-Masoch wieder als Literat entdeckt. *
aus DER SPIEGEL 5/1986

Der Schrei kam aus tiefster Seele: »Doktor! - ein Dämon rast in mir!« Und gleich in der nächsten Zeile verhieß Aurora Angelica Rümelin dem Doktor, wonach dieser gewaltig gierte - Pelze Peitschen und scharfe Züchtigung; Ziel: »Sie zu meinen Füßen zu sehen, vergehend vor Lust und Weh.«

Ein Roman, natürlich, hatte Frau Aurora so aufgewühlt. Er war ums Jahr 1870 erschienen, hieß »Venus im Pelz«, und sein Autor war jener süchtige Doktor: Leopold Ritter von Sacher-Masoch (1836 bis 1895), alsbald Ehemann von Frau Aurora, die sich fortan Wanda nannte, wie die Heldin der »Venus im Pelz«.

Der edle Ritter aus altem k. u. k. Beamten-Adel hat es zu einer Art Unsterblichkeit gebracht - weniger freilich durch seine behende, fleißige Feder (rund 150 Bände Erzählungen, Romane, Dramen) als durch die Tücke eines Psychiaters: Der Name Masoch wurde zum Programm.

Für die »wissenschaftlich noch gar nicht gekannte Perversion«, die sich ihm erst aus den Schriften Sacher-Masochs erschloß, führte nämlich ein Richard Freiherr von Krafft-Ebing den Terminus »Masochismus« ein - »mit Wollust erduldete Grausamkeit«. Das noch heute berühmte Krafft-Werk »Psychopathia sexualis« erschien zu Lebzeiten des Ritters.

Krafft-Ebing definierte Masochismus als »Gegenstück des Sadismus« und diagnostizierte schlimme Folgen: »psychische Impotenz«. Sado-Maso, Topf und Deckel, ist mittlerweile ein blühender Gewerbezweig, scharfer Diskussionsstoff im feministischen Lager und in Amerika sogar Dogma einer »S/M-Kirche«.

Während der Marquis de Sade, Patron des Sadismus, auch literarisch noch präsent ist, hatte sich über das Schaffen des Ritters Sacher-Masoch der Mantel des Vergessens gelegt - allein die »Venus, im Pelz« schnürt beständig durch die Zeiten, zumal als Kult-Buch der Maso-Bruderschaft.

Doch nun öffnen sich die Gräber, der Tote steht auf, und siehe: Eine schillernde Figur mit einem höchst merkwürdigen, merk-würdigen Werk tritt hervor, ein liberaler, scharfsinniger Kopf des 19. Jahrhunderts, Realist und Phantast zugleich, Knecht der Weiber und Psalmodist ihrer Stärke.

Mehrere Verlage, pikante wie seriöse, haben sich aufgemacht, den alten Ritter neu zu verlegen, angespornt von einem Spurensicherer, der seit mehreren Jahren Verstreutes und Verschollenes des Edelmannes sichtet und sammelt und Neu-Editionen betreut: der promovierte Germanist Michael Farin, 32, aus München.

In diesem Frühjahr wird seine umfangreiche Materialsammlung zu Leben und Werk Sacher-Masochs erscheinen (Bouvier-Verlag, Bonn); Fernziel ist eine (erste) wissenschaftliche Biographie und die Edition des wagnermäßigen Sacher-Masoch-Zyklus »Das Vermächtnis Kains« - eine »Menschheits-Geschichte«.

Und zur Feier seines 150. Geburtstags - am Montag dieser Woche - rollt auch ein Film an, in dem Maso- (neben Sado-)Gut ins Bild gerückt wird. »Verführung: Die grausame Frau« heißt das Werk von Elfi Mikesch und Monika Treut, »nach Motiven des Romans 'Venus im Pelz'«; »Emma«, das Fachblatt für Frauenfragen, ist davon nicht ganz befriedigt.

Zwar komme hier »Frauenliebe nicht kitschig und sweet daher«, das »masochistische Prinzip« sei genau beobachtet, »mit Codes für Eingeweihte«. Doch die »unangenehm gekünstelte Erotik« tauge »weder zum Nachleben noch zum Nachdenken«.

Prädikat: Besonders schmerzvoll.

Für die Zeitgenossen, die deutschtümelnden vor allem, war Sacher-Masoch der reine Beelzebub. »Szenen knutiger Wollust«, »Elemente der Zersetzung und Fäulnis«, »unverhüllte Erotomanie«, »halbasiatische Sittenschilderung« wurden von den Kardinälen der Kritik moniert. Dem »verlottertsten Subjekt der deutschen Literatur« mußte gesagt werden: »Alles das ist uns Deutschen unverständlich.«

Erfolgreich war er dennoch über alle Maßen, auch angesehen, vor allem in Frankreich. 1883, zu seinem 25jährigen »Dichterjubiläum«, erhält er das Kreuz der Ehrenlegion nebst einer Mappe mit Glückwünschen der französischen Schriftsteller-Creme - auch noch ein Welschen-Knecht.

So richtig deutsch und arisch kam Sacher-Masoch den Gralshütern sowieso nicht vor: Stammte er nicht aus Lemberg, aus dem habsburgischen Vielvölker-Kronland Galizien? Schrieb er nicht äußerst kenntnisreiche, engagierte Genre-Geschichten über Juden und Slawen? Und hegte er nicht aufrührerische Gedanken?

Die Menschheit könne erst dann glücklich sein, schrieb er etwa, »wenn die sittlichen Gesetze der Gesellschaft auch im Staatsleben Geltung haben werden und sogenannte 'große Fürsten', große Generale und große Diplomaten ebensogut wie heutzutage Mörder, Räuber, Fälscher und Betrüger auf dem Galgen oder im Zuchthaus enden werden«.

Seine zentrale Obsession freilich blieb, was ihn schließlich ins Wörterbuch der Psychiatrie gebracht hat - sein Masochismus. Er hat sich nicht gescheut, ihn auszuleben, auszubreiten und zu erklären.

Das Milieu seiner Kindheit muß ihn früh geprägt haben. Sein Vater, kaiserlicher Polizeidirektor in Lemberg, hatte sich bei den Aufständen von 1831 und 1846 durch eine harte Hand hervorgetan; als es 1848 in Prag zur Rebellion kam, wurde er da zum Stadthauptmann ernannt.

Sacher-Masoch erinnert sich: »Ich sah die Insurgenten teils tot, teils verwundet an einem trüben Februartag, von den bewaffneten Bauern eskortiert, ankommen, sie lagen auf kleinen, elenden Wagen, das Blut rann aus dem Stroh herab, und die Hunde leckten es auf.«

Die Lust an der Peitsche und am »grausamen, dämonischen Weib« hatte dem Knaben eine Tante eingeprügelt, die sich gern in schwere Pelze hüllte. Als er, heimlicher Beobachter ihres Ehebruchs, von ihr entdeckt wurde, erteilte sie ihm die erste Lektion:

»Obwohl ich mich unter den grausamen Schlägen der schönen Frau wand«, schreibt Sacher-Masoch. »muß ich jedoch zugeben, daß ich ein gewisses Vergnügen dabei empfand.« Und dieses Ereignis habe sich ihm »wie mit glühenden Eisen in die Seele eingebrannt«.

Sacher-Masoch studiert dann in Prag und Graz, habilitiert sich da als Privatdozent für Geschichte, schmeißt den akademischen Krempel aber bald hin; das Theater enthusiasmiert ihn, auch dessen weiblicher Berufsstand. »Der Mann war entschieden häßlich«, vermerkt ein Zeitgenosse,

»aber von jener interessanten Häßlichkeit, die Frauen bezaubern kann.«

Nur fand er, nach der obligaten Enttäuschung, nicht leicht die rechten. Und so beschloß er, er wolle sich lieber »von einem schönen dämonischen Weibe zugrunde richten lassen«, als sich mit einer »sogenannten tugendhaften Frau sein ganzes Leben zu langweilen und geistig zu versumpfen«.

Sein Typ: »Das Weib mit den Sphinxaugen, welches grausam durch die Lust und lüstern durch die Grausamkeit wird.« Und: »Das Weib mit dem Tigerkörper, welches von dem Manne angebetet wird, obwohl es ihn quält und erniedrigt.«

Schwül oder naturalistisch, nach Gutsherrenart oder exotisch hat Sacher-Masoch manisch sein Thema variiert - in seinen »Galizischen Geschichten«, »Grausamen Frauen«, »Messalinen Wiens«, »Russischen Hofgeschichten«, »Sozialen Schattenbildern": ethnologische Schnappschüsse einer versunkenen Zeit.

Im Leben freilich mußte er nachhelfen, um das Objekt seiner Hörigkeit zu haben. Er schuf sich das Weib nach seinem Bilde, dressierte sich seine Weibsteufel und Dominas zurecht und band sie durch schriftliche Verträge. Sein Evergreen, die »Venus im Pelz«, ist ganz aus dem Leben gegriffen.

Eine Baronin Fanny Pistor Bagdanow hatte sich verpflichtet, »so oft als tunlich Pelze zu tragen, und besonders wenn sie grausam ist": Als Wanda in der »Venus im Pelz« peitscht sie ihren Sklaven in höchste Delirien und tiefste Demütigung - und schließlich zu Verstand.

Denn die emanzipatorische »Moral« zum Schluß ist: »daß das Weib, wie es die Natur geschaffen und wie es der Mann gegenwärtig heranzieht, sein Feind ist und nur seine Sklavin oder seine Despotin sein kann, nie aber seine Gefährtin«. Dies werde sie erst dann sein können, »wenn sie ihm gleichsteht an Rechten, wenn sie ihm ebenbürtig ist durch Bildung und Arbeit«.

Die Farce auf die »Venus im Pelz« erlebt Sacher-Masoch dann in seiner Ehe - in ihrer »Lebensbeichte« schildert Wanda, verlassen von ihrem »rasenden Dämon«, ein kleinbürgerliches Horrorkabinett, einen nach Prügeln ächzenden Gatten, der die Peitsche auch als Schreibstimulans braucht:

Die Frau eines anderen Dichters, mäkelt Sacher-Masoch, habe sich sogar »zum Fenster hinausgeworfen«, um ihm »Stimmungen« zu seiner Arbeit zu geben; Wanda geht ihm schließlich mit einem anderen durch. In einer beschaulichen zweiten Ehe läßt er sich, nach einem langen Aufenthalt in Paris, im hessischen Lindheim nieder.

Dort findet er Muße, seine sozialreformerischen Ideen zu verwirklichen, gründet Volksbibliotheken samt einem »Oberhessischen Verein für Volksbildung« und veranlaßt - frühe Bürgerinitiative -, daß in dem Dörfchen eine Wasserleitung angelegt wird. Ein Grab fand er nicht; seine Urne verglühte bei einem Hausbrand.

Und dem Idol der grausamen Venus im Pelz hat er nie abgeschworen. Noch im hohen Alter zierte, als Vignette, eine Peitschen-Lady sein Briefpapier.

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