FILM / POLEN Schwere Drohung
Mit dem Titel seines neuen Films gab der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski, 29, das Kommando »Hände hoch«. Nun mußte er selbst kapitulieren -- er darf sein jüngstes Werk, das schon für die Filmfestspiele in Venedig ausgewählt war, nicht zeigen.
Das Signal zur Unterwerfung gab Polens staatliche Filmbehörde, die das Lichtspiel zuvor selbst gefördert hatte -»Hände hoch« ist eine Staatsproduktion. Doch die Film-Beamten, die »nur ein grobes Drehbuch« (Skolimowski) gekannt hatten, waren befremdet, als sie das fertige Werk sahen: einen Gesprächsfilm, in dem fünf Männer während einer Eisenbahnfahrt unbotmäßig über das neue Polen räsonieren.
Den düpierten Staatsfilmern bezeugte Skolimowski, der vom Festival-Stopp für »Hände hoch« während eines Kanada-Besuchs erfuhr, seine Teilnahme: »Ich kann es gut begreifen«, gestand er, »wenn sie meinen, daß ich ihr Vertrauen mißbraucht habe.« Zugleich aber zeigte er sich bereit, künftig für eine amerikanische Firma zu filmen.
Das Angebot enthält eine schwere Drohung. Denn sollte Skolimowski, der schon einmal im Westen drehte, seine Heimat endgültig verlassen, so wäre das Ende des nach 1957 hochgerühmten polnischen Avantgarde -- Films gekommen. Skolimowski, so urteilt der Kritiker Ulrich Gregor, vertritt »in der polnischen Kinematographie als einziger noch die Tendenz der Erneuerung und Entwicklung«. Andere, ältere Regisseure sind mittlerweile schon ausgefallen:
> Andrzej Munk ("Eroica") kam 1961 bei einem Auto-Unfall ums Leben;
> Andrzej Wajda ("Asche und Diamant") ist neuerdings auf das Niveau eines repräsentativen Pomp-Kinos abgesunken ("Legionäre");
> Roman Polanski ("Das Messer im Wasser") arbeitet bereits seit Jahren im Westen ("Wenn Katelbach kommt") und dreht gegenwärtig seinen ersten Hollywood-Film: »Rosemary's Baby«.
Von den drei Älteren hatte Skolimowski filmische Technik und politische Renitenz erlernt: Nach einem abgebrochenen Völkerkunde-Studium arbeitete er mit ihnen als Drehbuch-Autor und Darsteller, noch ehe er ab 1959, auf Wajdas Rat, die Filmhochschule Lodz besuchte.
Skolimowski schrieb mit Wajda das Buch zum Wajda-Film »Die unschuldigen Zauberer« und trat auch gleich vor die Kamera: Der ehemalige Box-Amateur spielt einen Preis-Boxer.
Den ersten eigenen Spielfilm, »Besondere Kennzeichen: keine«, klebte Skolimowski aus Übungs-Schnipseln von der Akademie zusammen. Sie ergaben das Bild eines störrischen, boxenden jungen Mannes, der die Anpassung an die sozialistische Gesellschaft verweigert. Den negativen Heiden spielte Skolimowski selbst.
Eine Fortsetzung des Einzelgänger-Dramas mit gleicher Hauptperson ("Walkover") brachte dem Regisseur eine Auszeichnung beim Holland-Festival von 1965 ein, weitere Preise bekam er 1966 in Bergamo (für »Barriere") und dieses Jahr in West-Berlin.
Die Berlinale-Jury reichte dem Polen den »Goldenen Bären« für das -- in Belgien produzierte und demnächst in deutschen Theatern anlaufende -- Lichtspiel »Der Start": eine Komödie über die Porsche-Passion eines Friseurgehilfen. Ford-Mustang-Fahrer Skolimowski ("Ein schneller Wagen trifft mich ins Tiefste") über die tiefere Bedeutung des Vehikels: »Ein Symbol der Befreiung, der Flucht aus dem grauen Alltag.«
Während seines Berliner »Start«-Erfolges drehte der Regisseur -- wieder in Polen, aber fast unbeaufsichtigt -- schon »Hände hoch«. In 22 Tagen füllte er den dürren Drehbuch-Rahmen mit einer »Menge Improvisation«. Resultat, laut Skolimowski: »So provokativ wie ein Stock in einem Ameisenhaufen.«
Milderungsvorschläge der nun doch provozierten Film-Aufseher beschied Skolimowski abschlägig. »Ich habe den Film dreimal gesehen«, gab er bekannt. »Ich mag ihn.«