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MEDIZIN / HERZVERPFLANZUNGEN Schwere Verluste

aus DER SPIEGEL 43/1969

Herzverpflanzer Christiaan Barnard überraschte vorletzte Woche die amerikanischen Chirurgen auf ihrer Jahrestagung mit einem Geständnis: Bei seinem berühmtesten Patienten habe er eine wichtige Diagnose, die letzte, vorschnell und falsch gestellt.

»Akutes Herzversagen« hatte der Bruder des Star-Mediziners, Dr. Marius Barnard, auf den Totenschein geschrieben, nachdem Philip Blaiberg am 17. August -- 593 Tage nach dem Einpflanzen eines neuen Herzens -- gestorben war. »Die Autopsie-Befunde liegen noch nicht vor«, hatte wenig später Professor Christiaan Barnard erklärt, aber die Ursache der Herzschwäche sei »ziemlich klar -- tiefgreifende Schädigung des Herzmuskels durch akute und chronische Abstoßung des Fremdgewebes«.

Nun berichtigte sich der Verpflanzungspionier. Der Kapstädter Zahnarzt, der mit den derzeit wirksamsten Medikamenten gegen die körpereigene Abwehr behandelt worden war, sei letztlich wie Millionen anderer Menschen einem alltäglichen Leiden erlegen: der Arteriosklerose.

Geschädigte Muskelzellen und schwielige Gewebebezirke hatten die Ärzte als Anzeichen der Abstoßungsreaktion in dem Ersatzherzen erwartet. Die Folge wäre ein Nachlassen der Pumpleistung gewesen, die das Herz nur durch krankhafte Vergrößerung hätte kompensieren können.

In Wahrheit wurde das fremde Organ, wie Barnard aufgrund des Autopsie-Berichts den in San Francisco versammelten Chirurgen berichtete, praktisch auf die gleiche Weise zerstört wie Blaibergs erstes Herz. Die Adern, die den Herzmuskel mit Blut versorgen, verhärteten und verengten sich -- allerdings unerwartet rasch. Nachdem das gesunde Ersatzherz eingepflanzt worden war, bildete sich die Arteriosklerose innerhalb von 19 Monaten im gleichen Maße aus wie zuvor in einem ganzen Menschenalter.

Zudem waren, wie die Autopsie ergab, bei Blaiberg eine Nierenarterie und beide Oberschenkelarterien verschlossen. Daß der arteriosklerotische Prozeß derart dramatisch verlief, erläuterte Barnard, sei womöglich doch mit der schleichenden Abstoßungsreaktion zu erklären (die zweimal auch zu heftigen Krisen geführt hatte).

Als Argument gegen weitere Herzverpflanzungen will Barnard diesen Befund freilich nicht gewertet wissen. »Ich kann nicht einsehen, daß Dr. Blaibergs Tod irgend etwas zu bedeuten hat«, kommentierte er den wiederauflebenden Streit über Nutzen und Risiko des Herzaustauschs, »es ging ihm besser, als vorherzusehen war; erst gaben ihm die Leute 14 Tage, dann 17 Tage, dann zwei, schließlich drei Monate, dann ein Jahr« (er überlebte gut eineinhalb Jahre).

Gleichwohl gehen die Transplantationschirurgen, nach dem anfänglich fast sprunghaften Herzverpflanzungs-Boom, gegenwärtig nur noch zögernd zu Werke. Seit im November letzten Jahres 26 Kranke, mehr als je zuvor in einem Monat, ein neues Herz eingesetzt bekamen, ist die Zahl der Herzverpflanzungen stark zurückgegangen (siehe Graphik).

Das Institut für Kardiologie in Montreal beispielsweise, wo Dr. Pierre Grondin und seine Mitarbeiter neun von den 15 kanadischen Herzempfängern operierten, hat weitere Transplantationen vorerst abgesagt. Von den insgesamt 56 Chirurgen-Teams in aller Welt, die Herzen verpflanzt haben, halten sich gegenwärtig nur mehr zehn bereit, die Operation zu wagen.

»Man kann die Ärzte mit Generälen einer Armee vergleichen, die schwere Verluste erlitten hat so formulierte Barnard den medizinischen Frontbericht, »jetzt überlegen wir, ob wir uns zu einer neuen Attacke sammeln sollen.«

Und Dr. C Walton Lillehei vom Cornell Medical Center in New York, einst Barnards Lehrer, hat die Erfahrung gemacht, daß durch Blaibergs Tod »potentielle Herzempfänger verzagt sind«. Sechs- oder achtmal während der letzten drei Monate sei aus diesem Grund ein vorgesehener Eingriff unterblieben.

Aber Lillehei ist auch überzeugt, daß »etliche Chirurgen auf den abfahrenden Zug sprangen, ohne hinreichende Fähigkeiten und psychische Kraft für die Entwicklungsarbeit auf diesem Gebiet mitzubringen; wer schnell entmutigt wird, ist jetzt wieder abgesprungen«.

Die Mißerfolge bei den Herztransplantationen sind freilich nicht größer, die Erfolge nicht geringer als bei vergleichbar schweren anderen Operationen zu der Zeit, in der die jeweilige Technik erst erprobt und verfeinert werden mußte, Bis Anfang dieses Monats wurde 145mal ein menschliches Herz verpflanzt. Von den Empfängern waren Ende letzter Woche 31 am Leben -- elf von ihnen haben den Eingriff bereits länger als ein Jahr überlebt. (Und viele der gängigen Krebsoperationen haben keinen anderen Zweck, als dem Patienten das Leben für einige Wochen oder Monate zu erleichtern.)

So nehmen denn gerade die kompetentesten unter den amerikanischen Herzchirurgen -- wie etwa Lillehei und der New Yorker Dg. Adrian Kantrowitz -- die vorläufigen Resultate eher als Ansporn zu noch intensiverer Forschung.

»Wenn man jemanden 19 Monate durchbringt«, so umschrieb es Lillehei, »wird man die nächsten Patienten vielleicht 38 oder 72 Monate durchbringen; Dr. Biaibergs lange Überlebenszeit ist ein Rekord, den es zu überbieten gilt.«

Daß die Erfahrungen, die sich auf diesem enttäuschungsreichen Weg einstellen, schon für den jeweils nächsten Patienten nützlich sein können, will Professor Barnard nun in seiner Klinik demonstrieren: an den beiden überlebenden von den bislang fünf Kapstädter Herzempfängern.

Um den vermutlich schlimmsten Nebeneffekt der noch nicht auszuschaltenden Abwehrreaktion aufzuhalten, hat Barnard einen neuen Behandlungsplan verordnet. Um der Arteriosklerose vorzubeugen, an der Philip Blaiberg starb, müssen die Herzempfänger entsprechende Medikamente nehmen und eine Diät einhalten.

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