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MUSIK / ERNST BUSCH Sehr einfach

Und das Lied und der Vers -- Das Ist die Bombe und dos Banner Und die Stimme des Sängers erhebt die Klasse Wladimir Majakowski
aus DER SPIEGEL 52/1970

Es war vor allem einer, der in den zwanziger und dreißiger Jahren die Arbeiterklasse erhob: Ernst Busch sang in Berlin gegen Ausbeutung, Faschismus und Arbeitslosigkeit.

Er war der »Barrikaden-Tauber«, der »rote Orpheus": ein Volkssänger, ein Schauspieler, ein Kabarettist. Sein »Stempellied«, seine »Ballade von den Säckeschmeißern«, die er hemdsärmelig, mit den Händen in den Hosentaschen vortrug, schlugen wirklich wie Bomben ein. Als er im spanischen Bürgerkrieg seine berühmten Kampflieder anstimmte ("Wir kämpfen und siegen für dich, Freiheit"), sangen im »Geiste auch die Sterbenden noch mit« (Schriftsteller Willi Bredel).

Um 1950 freilich verstummte Ernst Busch. In der DDR war er lange nur noch als Schauspieler gefragt, in der Bundesrepublik so gut wie vergessen.

Die »Deutsche Grammophon Gesellschaft«, die 1966 in ihrem »Literarischen Archiv« zwei von Busch besungene Langspielplatten mit »Legenden, Liedern und Balladen« von Bert Brecht und Kurt Tucholsky ("Der politische Tucholsky") herausbrachte« verkaufte von jeder Platte pro Jahr nicht mehr als 1000 Stück.

Erst jetzt, nachdem Bonn den Kalten Krieg gegen die DDR eingestellt hat und ein Kommunist nicht mehr gleich als Staatsfeind gilt, werden die Songs des in Ost-Berlin lebenden Busch, 70, auch in Westdeutschland wieder häufiger gehört.

Zwei neue Busch-Plattenanthologien mit »Liedern der Arbeiterklasse 1917-1933« sowie »Liedern des Spanischen Bürgerkrieges«, die der Dortmunder »Pläne« -Verlag in diesem Herbst je 4000 mal veröffentlichte, waren innerhalb von drei Wochen vergriffen. Derzeit hat der linke Verlag, der im kommenden Jahr weitere Busch-Lieder aus dem Ost-Berliner »Aurora«-Plattenkatalog anbieten will, schon die vierte Auflage der beiden Lizenzpressungen in der Produktion.

Diese Schallplatten, so naiv und pathetisch manche Songtexte heute auch klingen mögen, beweisen vor allem eins: Ernst Busch war der einzige überzeugende Interpret kommunistischer Agitationslyrik und des deutschen Arbeiterlieds. Seine Stimme, urteilt die »Frankfurter Rundschau«, »hat den strengen, energischen, metallischen Duktus eines nüchtern-zielstrebigen Prophetenorgans«.

Ein »sehr straffes, rhythmisches, präzises Singen ... kalt, scharf und schneidend« hatte der Komponist Hanns Eisler, der ihm in Berlin die meisten Melodien schrieb, von Ernst Busch verlangt. Seine Lieder, so notierte Eisler auf die Partitur des »Einheitsfront«-Stückes« sollten »sehr einfach« gesungen werden: »Kein Brüllen, kein falsches militantes Geschrei.« Und weil er das ernst nahm, weil er seinen Stil so lange vereinfachte, bis er »den aggressiven Inhalt wie ein Kerl« sang, »der ihn selbst geschrieben hat«, (Kritiker Herbert Ihering), wurde Busch bald zu einem der beliebtesten Wortführer des deutschen Proletariats.

Bis 1933, als er aus Deutschland fliehen mußte, trat der Sohn eines Maurers, der sich schon 1918 -- als Schlosserlehrling -- am Kieler Matrosenaufstand beteiligt hatte, in Theater-, Kabarett- und Filmrollen ("Kuhle Wampe«, »Das Meer ruft") auf. Später, als Emigrant, agitierte er in ganz Europa mit »Brandgesängen, gemacht aus Feuer und Hammerschlag« (Heinrich Mann) gegen das Naziregime:

Sie ist falsch eingestellt, die deutsche Weiche,

es sollte noch links gehn, als die Fahrt begann.

So kommt im Umweg über Hitlers Leiche der rote Zug erst mit Verspätung an.

Von London bis Zürich, von Brüssel bis Wien ging Ernst Busch mit seinen »Liedern der Zeit«, mit dem »Lied vom SA-Mann« und dem KZ-Song »Die Moorsoldaten« auf Tournee. Von Moskau aus rief er 1935 über »Radio Komintern« die deutschen Arbeiter zum Widerstand auf. Unter den Bomben der Franco-Truppen preßte er während des spanischen Bürgerkrieges seine »Balladen von der XI. Brigade« auf Schallplatten und druckte hinter der Front Liederbücher für die republikanische Armee.

Doch als der Alt-Kommunist 1946 -- nach Internierung in Südfrankreich und Gestapohaft in Moabit -- in Ost-Berlin den Schallplattenverlag »Lied der Zeit« (später: »VEB Deutsche Schallplatten") gründete und auch einige Busch-Gesänge edierte, war er plötzlich den Genossen nicht mehr genehm.

Über die von Stalin großenteils liquidierten Spanienkämpfer, denen Busch in seinen Liedern nachtrauerte, wollte die SED nichts mehr hören. Songs wie das »Seifenlied« von 1928 durfte er wegen ihrer neuerlichen Aktualität nicht mehr singen; denn auch vor dein Arbeiteraufstand vom 1. Juni 1953 fürchtete sich die Einheitspartei schon vor solchen Versen: Wir haben die Revolte zertreten, und Ruhe war wieder im Land, Das Blut von den roten Proleten, das klebt noch an unsrer Hand. Wir schlagen Schaum. Wir selten ein.

Wir waschen unsre Hände wieder rein.

Ernst Busch ging wieder ganz zur Bühne zurück und trat in den fünfziger .Jahren mit Brechts »Berliner Ensemble« auf: als Galilei, als Koch in der »Mutter Courage«, als Azdak im »Kaukasischen Kreidekreis«.

Zwar hat er in der DDR die ihn heute als »Nestor des proletarischrevolutionären Gesanges« feiert, eine ganze Reihe von Nationalpreisen, Orden und Auszeichnungen bekommen« aber erst seit einigen Jahren darf er wieder singen und auf Schallplatten herausbringen, was er will.

»Allah schütze mich vor meinen Freunden«, dieser Wandspruch hängt in Ernst Buschs Ost-Berliner Haus, »meine Feinde übernehme ich selber.«

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