Da kommt einer, der sieht nicht schlecht aus. Schon spitzt sie die Schnute zum Schmollmund, rot und rund. Schon blinzelt sie über die Sonnenbrille hinweg, mit einem Auge nur, das ist erotischer. Dann, zwischen zwei Häppchen vom Salat, greift sie zum Messer. Ein kurzer Blick auf die blanke Klinge: Nein, sie hat keine Blattreste zwischen den blitzenden Zähnen. Gut. Sie kann lächeln, strahlend und süß.
Und wenn sie dann an dieser Kordel zupft, die notdürftig das enge, schwarze Mieder verschnürt, dann hat sie den Blick des Passanten endgültig dort, wo sie ihn haben will: am drall und stolz präsentierten Dekollete.
Dianne Brill muß an ihren Ruf denken. Sie darf nicht einfach dasitzen und ihren Salat verzehren; die Inszenierung im Münchner Straßencafe ist Teil ihres Jobs. Die Lady aus Amerika hat ein Spezialgebiet: Männer aller Art.
Sie kennt sie, die Typen: Mr. Poor Boy, der einem den Kühlschrank leerfrißt, aber im Bett viel Spaß macht. Mr. Underdog, der Ex-Lover, den man ausgräbt, wenn''s einem dreckig geht. Oder Mr. Ersatzmann, der an die große Liebe erinnert, aus der nichts geworden ist. Der Mann für den kleinen Hunger zwischendurch.
Die Lady ist Fachfrau und, auf ihre Art, ein Star. Anfang der achtziger Jahre tauchte sie in Manhattan auf, Anfang 20 war sie damals: sehr blond, mit hohen Absätzen unter den Füßen, einem Instinkt für große Szenen und mit Kurven, von denen man sprach.
Sie wurde bald von den richtigen Prominenten umarmt, war zur richtigen Zeit auf der richtigen Party und hatte es ziemlich schnell geschafft: Sie sei »die Königin des Nachtlebens«, schrieb die New York Times. Sie sei »eine Frau, die ich immer bewundert habe«, war von der Schriftstellerin Tama Janowitz zu hören. Sie sei »die Frau der neunziger Jahre«, fand der Modeschöpfer Thierry Mugler.
Designer haben Schaufensterpuppen nach ihrem Bilde geformt, und selbst Andy Warhol hat sich für ihre Kurven interessiert: Was denn passiere, »wenn man sie anpikst«, wollte er wissen. Ob dann die Luft rausgeht.
Sie ist eine von denen, die »berühmt dafür sind, berühmt zu sein«. Ein bißchen Werbung, ein bißchen Design, ein bißchen Laufsteg, ein paar körperbetonte Nebenrollen in Kinofilmen, das reichte - und für jemand, der aus Tampa (Florida) kommt und dort Jeans verkauft hat, ist das ein sehr bemerkenswerter Erfolg.
Gegen Ende der achtziger Jahre ist es ein bißchen stiller geworden um die starke Blondine; die Modefirma ging pleite, in den Klatschspalten tauchte ständig Madonna auf und kaum mehr Dianne Brill. Da hat sie sich hingesetzt und nachgedacht und etwas »Wunderbares entdeckt, das ich verkaufen konnte. Mein Image. Mich selbst«.
»Boobs, Boys & High Heels"* heißt das Werk, in dem die Lady ihre Erkenntnisse _(* Dianne Brill: »Boobs, Boys & High ) _(Heels, or How to get dressed in just ) _(under six hours«. Vermilion, London; 194 ) _(Seiten; 7,99 Pfund. ) verbreitet - zu deutsch etwa »Möpse, Jungs und hohe Hacken«. Überraschend gierig greifen Frauen in den angelsächsischen Ländern nach dem Brillschen Buch, und das soll in Deutschland genauso werden. Keine Frage, sagt Brill: »Ich weiß, wenn ich wirklich mit Hirn, Herz, Seele, Möpsen und Arsch ganz in eine Sache einsteige, dann klappt das auch.«
Nun also München. Strahlend schön ist der Vorsommertag, freudig das Lächeln der Dianne Brill - und das Straßencafe ein sehr guter Platz. Jede Menge tolle Typen paradieren vorbei - »great guys« -, und die sind es ja schließlich, worum das gesamte Denken, Handeln, Schreiben kreist.
Nur, so eine richtige Bühne für den Auftritt der glamourösen Dame ist München trotzdem nicht. Sie lebt da jetzt zeitweise mit ihrem deutschen Lover, einem Filmschaffenden, in einer Schwabinger Altbauwohnung, und München ist ja auch ganz nett.
Es gibt das Schumann''s, wo den tollen Kerlen der Whisky in der Kehle steckenbleibt, wenn Dianne zum Tresen stöckelt; es gibt den Augustiner, echt bayerisch, mit Pomp und Prinzregenten-Pracht und kongenialen Kellnerinnen, die im knappen Mieder den Schweinsbraten servieren; und es gibt das Babalu mit der roten Plüschgarnitur, wo man zum Siebziger-Jahre-Funk auf der Tanzfläche staksen kann, solange die Absätze tragen. Aber eine Szene? Von wegen: Statt der wichtigen 500 Leute von Manhattan »gibt''s hier bloß die wichtigen 10«.
Ganz Deutschland, soviel ist klar, braucht Entwicklungshilfe. Die Männer sind den Aufwand wert, »der Knochenbau ist gut«; im Flirten allerdings sind die schwach, und die Konversation ist kompliziert: »Viel zu gebildet« sind die meisten Deutschen, und »was ihnen fehlt, ist die gewisse naivete«.
Die liefert nun Brill. Ihr Buch allerdings richtet sich ausschließlich an Frauen - der Untertitel ist da präzise: »Wie man sich ausgehfertig macht in etwas weniger als sechs Stunden«. Und sie trifft, so scheint es, den Ton: Körperlust und Weibertratsch, Nabelschau und Weisheiten aus Großmutters Zeit: »Männer sind Jäger, die wollen nur das eine.«
Es geht um Partymoden und Flirtmethoden, um Musterdialoge fürs Verführungsritual oder für den Small talk am schwierigen Morgen danach. Es geht um den schönen Schein, dem frau den Erfolg verdankt, es geht um die Frage aller Fragen: Wie kriege ich Männer? Viele Männer? Und was mache ich mit ihnen?
Ein Schuß Selbstironie ist dabei und ein wenig modischer Feminismus, der den Glamour-Trip ins politisch Korrekte wendet und ihr, etwa bei Marie Claire, den Ruf der »zutiefst emanzipierten Sexbombe« einbringt. Frauen sind Schwestern, »Babes«, solidarisch und sexy und niemals gemein zueinander, niemals giftige Konkurrenz.
Äußerst frauenfreundlich, findet sie selbst, wie sie ihre Tips und Tricks mit den Schwestern teilt. Gelbe Unterwäsche ist verboten. Parfüm ist Pflicht. Billige Mayonnaise ist eine wunderbare Spülung fürs Haar. Hohe Hacken sind nicht nur erotisch, sondern auch praktisch, weil man ja zu Hause auch mal eine Glühbirne einschrauben will.
Ein »Brill-Babe« macht sich schön und gestattet sich doch die Illusion, daß sie die Regeln selber bestimmt. Diättips sind wichtig, doch man muß es undogmatisch sehen: »Jede Frau hat eine Variationsbreite von fünf bis sieben Kilo, rauf oder runter. Und an beiden Enden des Spektrums kann sie ungeheuer sexy sein.« Nur: Wenn du besonders rund und kurvig bist, »dann sieh zu, daß dein Lover zu deinen Formen paßt: Ein schmaler Hänfling steht dir nicht«.
Brills Welt ist ein glitzerndes, buntes Puppenhaus, mit falschen Wimpern und falschen Haaren und gepolsterten Brüsten, mit Glamour und Talmi und jeder Menge Zeit dafür: Barbie lebt.
Sie ist die blondeste, prächtigste, vollbusigste von allen, eine Kreuzung aus Kleiderpuppe und Mae West - krall dir die Kerle, wie du sie brauchst. Aber sieh zu, daß dir niemals die Maske verrutscht.
Einen Knigge der etwas anderen Art hat Dianne Brill verfaßt, der nebenbei eine Erkenntnis beschert: Verdammt anstrengend, so ein Leben als Partyheldin. Nicht rauchen, nicht trinken, kein Fleisch; sechs Stunden zum Baden, Schminken, Parfümieren, Frisieren und niemals, niemals auf die Party, »wenn du schlechter Laune bist«. Und das alles, versichert die Autorin treuherzig, sei »ganz ehrlich, ganz echt, ganz aufrichtig beschrieben«.
Nur sieht neuerdings ihr Leben etwas anders aus, wovon die Leserin leider nichts erfährt: Frau Brill ist Mutter. Knapp zwei Jahre alt ist Keenan, ihr Sohn. Paßt so etwas etwa zu dieser parfümierten Existenz? Was, wenn mitten in der Mayonnaise-Session, der Nagellack-Orgie der Kleine nach der Mama brüllt?
Macht nichts. Brill hat Pläne. »How to be a babe with a baby«, wird die Fortsetzung ihres Werkes heißen, das sie schreiben will: wie man ein Kind kriegt und ein Vollweib bleibt. Sie weiß, wie das ist, wenn man aufgebrezelt am Spielplatz sitzt und den Kleinen betrachtet und dennoch umschwirrt ist von aufgeregten Herren: Das hebt die Stimmung ungemein.
Es gibt nichts Schöneres, sagt sie, wenn man Windeln wechselt oder breiverschmiert das Kleinkind füttert und dann auf seine Fingernägel schauen kann, die »glatt sind und poliert«.
Alles will geübt sein, die Pose beim Abgang natürlich auch. Langsam, sachte schiebt sie den Stuhl zurück, so daß man Bein sieht, viel Bein unter dem engen, schwarzen, geschlitzten Rock. Sie erhebt sich, Brust raus, die Schultern straff, und tänzelt davon. Gemächlich, mit schweifendem Blick, auf Absätzen, die ihre 1,75 Meter um zehn Zentimeter, mindestens, erhöhen.
Sie weiß schließlich, was das wichtigste ist für eine Frau: die Stöckelschuhe. »Sie sind das Piedestal, das du brauchst. Tolle Typen werden dir zu Füßen liegen, jawohl, und da gehören gute Männer hin, von Zeit zu Zeit.«
Barbara Supp
* Dianne Brill: »Boobs, Boys & High Heels, or How to get dressed injust under six hours«. Vermilion, London; 194 Seiten; 7,99 Pfund.