BARBRA STREISAND Sicherer Oscar
Der Regisseur hetzte sie über Hafenpiers und Eisenbahnschienen, über Bootsplanken und durch Bahnhofshallen. Den Dauerlauf, von Filmkameras festgehalten, hatte sich die Broadway-Sängerin Barbra Streisand, 25, seit langem gewünscht. Denn der » Callas des Musicals« ("Die Tat) reichen die höchsten Besucherzahlen (135 000 bei einem Freiluft-Sing-in im New Yorker Central Park) und die höchsten Schallplattenumsätze (vier Millionen verkaufte Langspiel-Alben in 18 Monaten) zur Stabilisierung des »Streisand-Wunders« ("Financial Times") nicht mehr aus. Sie will nun »wirklich berühmt« werden. »Und wirklich berühmt«, so erläutert sie, »ist nur ein Filmstar.«
Der Aufstieg zum absoluten Ruhm wurde der Sängerin von der Hollywood-Firma »Columbia Pictures« leicht gemacht: Denn die Streisand darf nun auch im Kino das »Funny Gin« singen, spielen und tanzen -- jene Musical-Rolle, mit der sie 1964 am Broadway Aufsehen erregte. Dieses Film-Debüt bringt ihr die höchste Anfänger-Gage der Film-Geschichte ein: vier Millionen Mark.
Die gleiche Summe bekam Elizabeth Taylor beispielsweise erst für ihren 30. Film ("Cleopatra"); Judy Garland erlöste aus dem Filmgeschäft auch in ihrer Hoch-Zeit nicht mehr als 30 000 Mark Monatslohn, und Marilyn Monroe« deren Filme bei ihrem Tode etwa 800 Millionen Mark eingespielt hatten, begann die Hollywood-Karriere mit 600 Mark Gage pro Woche.
Barbra Streisand jedoch wußte sich schon bei ihren ersten Gesangs-Darbietungen in einer New Yorker Bar erhöhten Lohn zu verschaffen. Die Sängerin, die zuvor als Toilettenfrau und Restaurant-Kassiererin gearbeitet hatte, trat im Nachthemd auf und sang mit frommem Augenaufschlag mitunter Kinderlieder. Das Lokal war stets so gut besucht, daß der Club-Wirt das Abendsalär der Vokalistin von 400 auf 4000 Mark erhöhte.
Ein Fernsehauftritt verschaffte dem exzentrischen Talent im Hemd noch lukrativere Show-Kontrakte und prominente Förderer. Audrey Hepburn telegraphierte: »Barbra, Sie sind wundervoll«, und Präsident Kennedy bat die Sängerin mit dem Nofretete-Profil mehrmals zum Vortrag ins Weiße Haus. Bald konnte die neue Stimme Amerikas jubeln: »Ich verdiene allein soviel wie die vier Beatles zusammen.« Für ein Konzert in Newport erlöste sie beispielsweise 484 000 Mark.
Ihr bisher höchstes Honorar kann die geschäftstüchtige Show-Künstlerin jedoch für die Darstellung einer Show-Karriere kassieren: In ihrem ersten Film »Funny Girl« spielt sie den Star Fanny Brice, eine tanzende Vaudeville-Venus, die in den zwanziger Jahren -- wie Barbra Streisand während der letzten sechs -- vom Aschenputtel im Tingeltangel zur Principessa der Broadway-Schaubuden aufgestiegen ist.
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere -so will es das sentimentale Drehbuch -- verfällt Funny Fanny einem Glücksspieler ohne Glück und teilt singend dem Publikum ihr Leid mit.
Fannys Film-Double geht vorsichtiger zu Werke: Am Beginn ihrer Lichtspiel-Laufbahn setzt Barbra Streisand auf die Sicherheit eines Routiniers, auf den Hollywood-Regisseur William Wyler, der bereits drei Oscar-Trophäen für sich und vier für die weiblichen Stars seiner Filme errungen hat: für Greer Garson. Olivia de Havilland, Audrey Hepburn und Bette Davis. Barbra Streisand, immer zu großen Sprüchen bereit ("Ich bin ein einziger Klumpen Talent"), will als nächste an der Reihe sein. »Der Oscar«, sagt sie, »ist mir sicher.«
Ob sie nun den Oscar bekommt oder nicht -- für zwei weitere Streisand-Filme sind die Verträge schon geschlossen. Die Firma »Centfox« überließ der kostspieligen Diva die Titelrolle in dem geplanten Musical »Hello Dolly!« und verschmähte ihretwegen Carol Charming, die Dolly der Broadway-Premiere. Und bei »Paramount« soll Barbra Streisand im Film »On a Clear Day You can see forever« (etwa: »An einem schönen Tag sieht man die Ewigkeit") mitspielen. Voraussichtliche Kosten der Produktionen: 120 Millionen Mark. Das Risiko dieser Investition fand die US-Illustrierte »Life« »fast unglaublich«.
Die Filmdebütantin Barbra Streisand beunruhigt indes ein anderes Risiko: »Wenn ich von der chinesischen Atombombe höre«, ließ sie jüngst verlauten, »dann frage ich mich: Was soll ich noch in Hollywood?«