HIFI Singende Säge
Zwischen Daumen und Fingern der gespreizten Hand«, so die Bedienungsanleitung, soll die kleine, silberglänzende Scheibe angefaßt und in das Gerät gelegt werden. Dort rotiert sie mit der Geschwindigkeit einer Kreissäge, matt durchleuchtet von einem Laserstrahl - wie der Datenspeicher eines Computers im Raumschiff Enterprise.
Der futuristisch anmutende Apparat soll, so wünschen Hersteller und prophezeien Experten, eine neue Ära der Musikkonserve einläuten: Beim sogenannten Compact-Disc-System furcht kein nadelbestückter Tonarm rumpelnd durch die Plattenrillen - Mikroelektronik und Lasertechnologie bestimmen die Technik des Plattenspielers der Zukunft.
»Ein Meilenstein der technischen Entwicklung«, urteilte Herbert von Karajan über die Compact Disc (CD). »Die größte Revolution auf dem Tonträger-Sektor seit Emil Berliners Erfindung des Grammophons im Jahre 1887«, konstatiert der Münchner HiFi-Tester und Plattenkritiker Franz Schöler. Und Star-Tenor Luciano Pavarotti schwärmte nach dem ersten Hörtest: »Die beste Art der Musikaufzeichnung, die es gibt« - kein Rauschen und Knistern wie bei der herkömmlichen Schallplatte.
Demnächst können sich Deutschlands HiFi-Fans dieses »Wunderwerk der Technik« (Sony-Werbetext) ins Regal stellen. Anfang März kommen die ersten Compact-Disc-Spieler in die Geschäfte - Beginn eines Kampfes um Marktanteile auf einem Gebiet der Unterhaltungselektronik, von dem sich HiFi-Hersteller Millionengewinne und die Plattenindustrie Rettung aus der Not versprechen.
Die Einführung der Compact Disc ist eines der riskantesten Unternehmen, auf die sich die Klang-Branche jemals eingelassen hat: Hunderte von Millionen Mark gaben die Hersteller in den letzten Jahren für CD-Entwicklung und neue Produktionsanlagen aus; allein das neuerrichtete Preßwerk für Compact Discs der Plattenfirma Polygram in Hannover-Langenhagen kostete rund 30 Millionen Mark. »Wenn die Compact Disc ein Flop wird«, so ein Manager, »sind einige Unternehmen mausetot.«
Bislang bieten über 30 Hersteller CD-Spieler an; nahezu alle großen Plattenfirmen, unter anderem Polygram (mit den Labels Decca, Deutsche Grammophon, Metronome und Phonogram), CBS, RCA und Telarc, bringen Compact Discs auf den Markt - zu Preisen zwischen 35 und 43 Mark.
Rund 35 000 CD-Spieler (Preis: rund 2000 Mark) und zwischen 300 000 und 500 000 der bierdeckelgroßen Platten will die Industrie bis Ende dieses Jahres in der Bundesrepublik absetzen. »Das Ding wird ein Renner«, prophezeite Albrecht Gasteiner, Europa-Manager des japanischen Elektro-Riesen Sanyo. In japanischen Geschäften, wo seit der CD-Markteinführung im Oktober 37 000 Geräte verkauft wurden, trug sich die Kundschaft in Wartelisten ein, um einen der begehrten Apparate zu ergattern. »CD ist eine Offenbarung«, schrieb ein japanisches HiFi-Magazin.
Ähnlich begeistert von der Wiedergabetreue des CD-Phonographen zeigten sich auch die europäischen HiFi-Tester: »Was die kleine Kiste von der Silberscheibe herunterholt, ist ganz große Klasse«, urteilte kürzlich das Fachmagazin »Stereoplay«.
Denn die Compact Disc macht Schluß mit dem bei althergebrachten Schallplatten unvermeidbaren Grundrauschen, hinter dem Pianissimo-Passagen nahezu verschwinden. Kein Zirpen, Knistern und Knacken, nicht nur feinohrigen Phono-Enthusiasten ein Greuel, trübt den Hörgenuß.
Von der Compact Disc kommt die Pauke mit dem richtigen Wuppdich, Geigen klingen klar und rein, Klavierläufe perlen unverwaschen dahin, Tenöre strahlen - das freilich nur, wenn die Musik im Studio oder im Konzertsaal richtig, nämlich CD-spezifisch, aufgenommen wurde. »Dies ist jedoch bei vielen der bisher erhältlichen Compact Discs nicht der Fall«, kritisierte Jürg Jecklin, Tonmeister in Basel. »Das klingt dann schauderhaft.«
Entwickelt wurde die CD-Technik von Philips und Sony. Sie unterscheidet sich vom überkommenen Plattenspieler wie die Glühbirne vom Gaslicht.
Bei der herkömmlichen Ritz-Technik, im Prinzip seit Edisons Phonographen-Walze unverändert, werden die Tonschwingungen als mikroskopisch kleine Gipfel und Täler sowie seitliche Auslenkungen »analog« in den Rillen abgebildet und vom Tonarm abgetastet.
Hingegen werden bei der Digital-Technik der Compact Disc die Tonsignale von einem Computer gleichsam pulverisiert: Bis zu 50 000mal in der Sekunde tastet ein Mikrochip die Tonschwingungen ab, wie sie das Mikrophon einfängt, und speichert die Meßwerte in einer bis zu 16stelligen Zahlenkombination von »null« und »eins« - digital (von englisch »digit« = Ziffer).
Die so gewonnenen Informationen werden als winzige Erhebungen ("pits") in die Compact Disc eingeprägt - so dicht an dicht, daß auf der einseitig bespielten Silberscheibe (Durchmesser: zwölf Zentimeter) bis zu 60 Minuten Musik Platz haben.
Die derart kodierten Zahlenkombinationen werden im CD-Spieler von einem Laserstrahl abgelesen, ein Mikrocomputer entschlüsselt die Ziffernreihe und rechnet sie wieder in Töne um.
Da der kegelförmige, computergesteuerte Laserstrahl die mit durchsichtigem Kunststoff versiegelten Compact Discs berührungslos abtastet, unterliegen die Platten keinerlei Verschleiß und sind unempfindlich gegen Fingerabdrücke oder Staub. Größere Kratzer freilich können Laserstrahl und Computer aus dem Takt bringen.
»Der größte Störfaktor bei der Compact Disc ist jedoch die falsche Aufnahmetechnik«, so Experte Jecklin. »Wenn digitale Klassik-Einspielungen natürlich und brillant klingen sollen, werden die Tonmeister zu den Aufnahmeverfahren aus der Frühzeit der Stereophonie zurückkehren müssen": Zwei bis vier Mikrophone für ein ganzes Orchester statt - wie heute üblich - bis zu acht Mikrophone für ein einziges Klavier.
Mit welch einfachen Mitteln hervorragende Aufnahmen gemacht werden können, beweist ein von Jecklin entwickeltes Verfahren, bei dem nur zwei Mikrophone - getrennt durch einen Plastik-Discus ("Jecklin-Scheibe") - das gesamte Klanggeschehen auffangen.
Bei der Multi-Mikrophon-Technik hingegen wird der gesamte Klangkörper eines Orchesters gleichsam zerstückelt und dann mit Hilfe des Mischpultes wieder künstlich zusammengefügt - eine Manipulation des Klanggeschehens, die bei der ultrapräzisen Digital-Technik bisweilen zu grauenhaften Resultaten führt.
»Absolut schockierend« beispielsweise fand die Schweizer Fachzeitschrift »Electronic Sound« eine CD-Einspielung von Vivaldis »Vier Jahreszeiten": »Die Geigen klangen extrem spitz, grell und wie aus der Tiefkühltruhe«. Bei der Schumann-Symphonie Nr. 3 »kam der Orchesterklang diffus und verwaschen«, und die Karajan-Aufnahme der Orgel-Symphonie von Saint-Saëns empfanden die Testhörer des Magazins schlichtweg als »grotesk«.