DADA-AUSSTELLUNG Sinn im Unsinn
Eine schwarze Hand mit aufwärts gerichteten Fingern, die an das Halt-Zeichen eines Verkehrspolizisten, aber auch an den Kinderschreck vom Schwarzen Mann erinnert, soll das Publikum auf eine museale Ausstellung hinweisen, die vom 7. November an im Frankfurter Karmeliterkloster zu sehen sein wird. Das Plakat mit der schwarzen Hand trägt die Aufschrift: »Dada kommt.«
Die Dada-Kunst war zuvor sieben Wochen lang in Düsseldorf gezeigt worden. Der Düsseldorfer Kunstverein wollte einen ersten, umfassenden Überblick über die - 1916 in einer Züricher Kneipe gegründete - Rebellen-Bewegung der Dadaisten geben. Die Urteile über Dada, so glaubte Kunstvereinsvorsitzender Dr. Carl Haslinde, fußten selten »auf mehr als oberflächlicher Kenntnis«. Die Ausstellung - sie wird von Frankfurt aus zunächst nach Amsterdam ziehen und später auch wieder in deutschen Städten gezeigt werden - soll nun »den Begriff Dada mit der fehlenden Anschauung auffüllen«.
Sie soll aber auch, wie es im Katalog heißt, »auf die Verbindungen Dadas in unsere Zeit hinweisen und Dada in den großen Zusammenhang des geistigen Geschehens in unserem Jahrhundert stellen«. Welcher Art diese Verbindungen sind, umschrieb der gegenwärtig bei Paris lebende 71jährige Bildhauer, Maler und Dichter Hans Jean Arp, der zu den Dada-Gründern gehört: »Die Dadaisten waren, sind und werden stets gegen den Krieg sein.«
Was in der Dada-Ausstellung an Kunstwerken und kunstähnlichen Erzeugnissen zu sehen ist, hat freilich nicht immer den Krieg zum Gegenstand. Skurrile Gemälde, groteske Photomontagen, sogenannte »collages« - Bilder aus Materialien wie Stoff, Zeitungspapier, Draht, Fahrscheinen, Rohrgeflecht und Sand -, Lautgedichte und Flugschriften deuten vielmehr, wie Hans Arp es nennt, auf eine weitgefaßte Opposition »gegen die vorgeschriebene Form des deutschen Schulaufsatzes«. Das soll bedeuten: Die Dadaisten wünschten gegen die organisierte Welt zu protestieren, die sich für vernünftig hält.
Der Ausstellungs-Besucher findet mehr als fünfhundert Zeugnisse dieser Bemühung, darunter ein Bügeleisen mit vierzehn Polsternägeln an der Unterseite, eine Holzplastik, die statt Ohren metallene Meßgeräte hat und über deren Stirn ein Zentimetermaß gelegt ist. Zu sehen ist auch jenes Flugblatt »Die grüne Leiche«, das in der Weimarer Natinalversammlung abgeworfen wurde und in dem der »Oberdada« die Übernahme der Regierungsgewalt durch das »Dadaistische Centralamt« forderte. Mit offenkundiger Genugtuung zeigen die Veranstalter ein montiertes Relief des in Paris lebenden amerikanischen Malers Man Ray, das auf der Pariser Dada-Ausstellung 1957 durch Einschüsse beschädigt wurde.
Urheber jener monströsen Kuriositäten ist die Gruppe der Dadaisten, die sich im Frühjahr 1916 unter dem gemeinsamen Motto der Kriegsgegnerschaft zusammenfand. In Zürich bildeten junge Künstler einen lärmenden Verein: der Dichter und spätere Hermann-Hesse-Biograph Hugo Ball, der Dichter Tristan Tzara, die Maler Hans Arp und Marcel Janco und der Dichter Richard Huelsenbeck, der heute als Psychotherapeut in New York arbeitet.
»Wir waren uns darüber einig«, schrieb Huelsenbeck in seiner bereits 1920 erschienenen Geschichte des Dadaismus, »En avant Dada« (auf deutsch: Vorwärts, Dada), »daß der Krieg von den einzelnen Regierungen aus den plattesten materialistischen Kabinettsgründen angezettelt worden war ... Wir hatten alle keinen Sinn für den Mut, der dazu gehört, sich für die Idee einer Nation totschießen zu lassen.«
Die Nation, so glaubten Huelsenbeck und seine Freunde, sei »im besten Fall eine Interessengemeinschaft -von Fellhändlern und Lederschiebern, im schlechtesten eine kulturelle Vereinigung von Psychopathen ..., die, wie im deutschen 'Vaterlande', mit dem Goethe-Band im Tornister auszogen, um Franzosen und Russen auf Bajonette zu spießen«.
Die Züricher Gruppe nahm sich damals vor, den Krieg dadurch zu bekämpfen, daß sie die Werte, für die es in den »Schützengräben Nordfrankreichs ... Granaten zu fressen« gab, lächerlich zu machen versuchte. »Was wir Dada nennen«, bekannte Hugo Ball, »ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind; eine Gladiatorengeste; ein Spiel mit den schäbigen Überbleibseln (der europäischen Kultur); eine Hinrichtung der posierten Moralität und Fülle.«
Um auf ihre Weise für Frieden und Humanität zu wirken, machten die Dadaisten das Züricher »Cabaret Voltaire« zu einem »Mittelpunkt für die künstlerische Unterhaltung« mit »musikalischen und rezitatorischen Vorträgen«. Hugo Ball erklärte: »Unser Kabarett ist eine Geste. Jedes Wort, das hier gesungen oder gesprochen wird, besagt wenigstens das eine, daß es dieser erniedrigenden Zeit nicht gelungen ist, uns Respekt abzunötigen.« Für ihre kabarettistischen Darbietungen
ersannen sich die Dadaisten extravaganten Unsinn, den sie »Ohnesinn« nannten und mit kultischer Feierlichkeit vortrugen. Ball zum Beispiel entwickelte das sogenannte »Lautgedicht«, in dem - so Balls absichtsvoll verklausulierte Erläuterung - »das Balancement der Vokale nur nach dem Werte der Ansatzreihe erwogen und ausgeteilt wird«. Balls Lautgedicht »0 Gadji Beri Bimba« beginnt so:
gadji beri bimba
glandridi lauli lonni cadori
gadjama bim beri glassala
glandridi glossala tuffm i zimbrabim
blasso galacassasa tuffm i zimbrabim
Über die Art seines Vortrags berichtet Hugo Ball: »Meine Beine standen in einem Säulenrund aus blauglänzendem Karton, der mir schlank bis zur Hüfte reichte, so daß ich bis dahin wie ein Obelisk aussah. Darüber trug ich einen riesigen, aus Pappe geschnittenen Mantelkragen ..., der am Halse derart zusammengehalten war, daß ich ihn durch ein Heben und Senken der Ellbogen flügelartig bewegen konnte. Dazu einen zylinderartigen, hohen, weiß und blau gestreiften Schamanenhut (siehe Photo Seite 68)
»Ich hatte an allen drei Seiten des Podiums gegen das Publikum Notenständer errichtet und stellte darauf mein mit Rotstift gemaltes Manuskript, bald am einen, bald am andern Notenständer zelebrierend ...
»Ich merkte sehr bald, daß meine Ausdrucksmittel, wenn ich ernst bleiben wollte (und das wollte ich um jeden Preis), dem Pomp meiner Inszenierung nicht würden gewachsen sein ... Ich fürchtete eine Blamage ..., wandte mich wieder zur mittleren Staffelei, fleißig mit den Flügeln schlagend ... Wie sollte ich's aber zu Ende führen? Da bemerkte ich, daß meine Stimme, der kein anderer Weg mehr blieb, die uralte Kadenz der priesterlichen Lamentation annahm, jenen Stil des Meßgesangs, wie er durch die katholischen Kirchen des Morgen- und Abendlandes wehklagt.«
Daß die Dadaisten ihren »Ohnesinn« nicht als bloßen Unsinn auffaßten, beweist eine Szene, die der heute in Paris lebende rumänische Schriftsteller Rosenstock, der sich unter dem Pseudonym Tristan Tzara als Propagandist des Dadaismus weltweiten Ruhm erworben hat, erfolgreich spielte. Rosenstock, 1896 geboren, mußte sich während des Ersten Weltkrieges in Bern einer Musterungskommission stellen.
Tristan Tzara ging ähnlich wie Thomas Manns Romanheld Felix Krull vor. Zunächst legte er den Militärärzten das Gutachten eines mit ihm befreundeten Züricher Psychiaters vor, das ihm »Dementia praecox«, also vorzeitige Verblödung attestierte. Der Rumäne ließ das Kinn hängen und Speichel auf seine schiefgebundene Krawatte träufeln. Auf die Fragen der Ärzte reagierte er mit »Ha«- und »Ho«-Lauten. Erst als er sicher war, daß die Ärzte ihn wirklich für verrückt hielten, rief er laut und deutlich »Merde« und »Dada«.
Ein Schweizer Zeuge dieser Szene glaubt, in jenem Augenblick habe die neue Bewegung ihren Namen bekommen: »Da-da« bedeute im Rumänischen »Ja-ja« und müsse als doppelte Bejahung verstanden werden. »Dieses Dada«, berichtete der Schweizer, »das so unbewußt über seine Lippen gerutscht war, beschäftigte Tzara die folgenden Tage ziemlich tief ... Tzara gestand mir, sein Ehrgeiz sei, eine neue Kunstrichtung zu erfinden' ... Ihn ließ der Ruhm Marinettis, des Führers der italienischen Futuristen, nicht schlafen. Dadaismus', sagte er, klingt doch viel besser als Futurismus. Und das Publikum ist so dumm.' Damals nahm er sich noch nicht ganz ernst«
Allerdings nehmen auch andere Dada-Gründer für sich in Anspruch, der revolutionären Bewegung den Namen gegeben zu haben. Hugo Ball berichtet: »Tzara quält mich wegen der Zeitschrift. Mein Vorschlag, sie Dada zu nennen, wird angenommen. Dada heißt im Rumänischen Ja, ja, im Französischen Hotte- und Steckenpferd. Für Deutsche ist es ein Signum alberner Naivität und zeugungsfroher Verbundenheit mit dem Kinderwagen.« Dada-Historiker Huelsenbeck dagegen behauptet: »Das Wort Dada wurde von Hugo Ball und mir zufällig in einem deutsch-französischen Diktionär entdeckt, als wir einen Namen für ... die Sängerin unseres Cabarets suchten. Es imponiert durch seine Kürze und Suggestivität.«
Im Gegensatz zur Schweizer Dada-Bewegung, die ästhetische Ziele verfolgte, nahm der deutsche Dada schnell politische Züge an. Seine prominenten Mitglieder - der Karikaturist George Grosz, der surrealistische Maler Max Ernst und der Initiator einer dem Dadaismus nahestehenden, ohne speziellen Sinn »Merz« genannten Bewegung, Kurt Schwitters - hatten den Ersten Weltkrieg als Soldaten mitgemacht und glaubten sich um ihre Jugend betrogen.
Grosz erinnert sich: »Wieder Zivilist, erlebte ich in Berlin die Uranfänge der Dada-Bewegung, deren Beginn in die Zeit der Kohlrübe in Deutschland fiel Diese deutsche Dada-Bewegung hatte ihre Wurzeln in der Erkenntnis, daß es vollendeter Irrsinn war, zu glauben, der Geist oder irgendwelches Geistige regierte die Welt.« Grosz wurde Mitherausgeber der dadaistischen Zeitschriften »Die Pleite«, »Jedermann sein eigner Fußball« und »Der blutige Ernst«.
Mit Schlagworten wie »Peitscht die Müßiggänger« und »Hiebe durch die dickste Haut« zog Grosz gegen den Typus Mensch zu Felde, von dem er glaubte, daß er für den Krieg verantwortlich sei: gegen den Spießbürger. Den Dadaisten kam es darauf an, die bestehende Ordnung der Spießbürger »durch eine Art anarchistisch-nihilistischer Politik« zu verwirren.
Grosz resümiert: »Was taten die Dadaisten? Sie sagten, es ist egal, ob man irgendein Gepuste von sich gibt oder ein Sonett von Petrarca, Shakespeare oder Rilke, ob man Stiefelabsätze vergoldet oder Madonnen schnitzt. Geschossen wird doch, gelogen wird doch; wozu die ganze Kunst?«
Die Dadaisten begeisterte damals - wie der 1891 geborene Dichter und Maler Max Ernst schrieb - »die Entdeckung, daß unsere Gefühle keineswegs für sich allein standen, sondern ein brüderliches Echo bei den sogenannten Siegern fanden. In Paris wie in Berlin, in Köln wie in Zürich wurde die ganze Jugend von dem gleichen Schwung gepackt und erhob sich gegen Dummheit und Heuchelei.«
Als die Dada-Bewegung sich solcherart in den europäischen Ländern ausbreitete und zur künstlerischen Mode wurde, hatten sich einige der Gründer bereits von ihr distanziert. Hugo Ball wurde ernüchtert, als japanische und türkische Gäste ins »Cabaret Voltaire« kamen, »die recht verwundert dem Treiben zusahen. Ich empfand zum ersten Male mit Beschämung den Lärm unserer Sache, das Durcheinander der Stilarten und der Gesinnung.«
Auch der surrealistische Maler Max Ernst hat sich inzwischen vom Dadaismus losgesagt. Ernst, der sich einst »Minimax Dadamax persönlich« genannt hatte, fand sich nicht bereit, zur Düsseldorfer Ausstellung ein paar wohlgemeinte Worte zu sagen. »Dada war eine Bombe«, erläuterte er. »Kann man sich irgend jemand vorstellen, der, fast ein halbes Jahrhundert nach der Explosion einer Bombe sich damit abgibt, ihre Splitter zu suchen, sie zusammenzukitten und sie zu zeigen?« Max Ernst meint: »Es ist ein Vorzug von Dada, jung gestorben zu sein«
Auch der einstige Dada-Historiker Huelsenbeck glaubt nicht an die Aktualität des Dada. Er moniert »die Tatsache, daß die meisten Dadaisten, soweit sie noch existieren, alte Herren geworden sind. Mit dem Eigensinn des Alters benehmen sie sich wie Ingenieure, die einmal vor langer Zeit in ihrer Jugend einen Beitrag zu einer technischen Entwicklung gemacht haben, die später, ohne daß sie es wußten, zu großer Bedeutung gekommen ist Was hier vor sich geht, ist ein Prioritätsstreit der Greise, die noch vor ihrem Abgang bestätigt haben wollen, daß die westliche Zivilisation ohne sie nicht möglich gewesen wäre«.
Dada-Ausstellung (links Hugo-Ball-Porträt): Goethe-Band und Bajonett
Schwitters-Collage: Dada in unserer Zeit
Dada-Dichter Tzara,
»Ohnesinn«
Dada-Plastik von Raoul Hausmann
blasso galassasa ...
Dada-Plastik von Man Ray
... i zimbrabim
Dada-Historiker Huelsenbeck
»Streit der Greise«