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FILM Sinnenfrohe Schwindsucht

»La Traviata«. Opernfilm von Franco Zeffirelli. Italien 1982. 105 Minuten. Farbe. *
Von Klaus Umbach
aus DER SPIEGEL 40/1983

Überall Lüster und Kandelaber, riesige Spiegel in güldenen Kartuschen, Chaiselonguen mit Seidenbezug, Kanapees mit Brokat-Decken. Guck an, Franco Zeffirelli hat wieder mal Dekorateur gespielt.

Cineasten mag es schaudern: Die Requisite schwelgt, die Kamera trickst und schmalzt. Kähne schaukeln im Gegenlicht, Herbstlaub wiegt sich hinter Weichzeichnern, Volieren und Kaleschen stehen in mildem Dunst.

Melomanen mögen sich schütteln: Zeffirelli hat Verdis »La Traviata« um rund 15 Minuten gekürzt, Arien amputiert, die Handlung gerafft, Dialoge umgedichtet. James Levine, der Dirigent des Soundtracks, macht aus Verdis Rumm-ta-ta auf weite Strecken tatsächlich nur Rumm-ta-ta.

Gleichwohl ist Zeffirelli-Levines »Traviata« der bislang imposanteste und gelungenste Versuch, Oper, dieses Luxusgeschöpf der Künste, im Lichtspielhaus gemein zu machen. Noch nie sind in einem Opernfilm Musik und Szene derart phantasievoll, werkgetreu und sinnenfroh aufeinander abgestimmt worden. 130 Jahre nach ihrer Premiere wird »La Traviata« von der blühendsten Schwindsucht ihrer Geschichte dahingerafft.

Violetta Valery, Abbild einer Pariser Edelkurtisane aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gibt wieder mal eine ihrer stadtbekannten Überflußgesellschaften. Die Herrschaften asen aufs feinste, die tuberkulöse Gastgeberin lustwandelt, von Kavalieren eskortiert, durch ihre Prunkgemächer.

Aber bevor die opulente Soiree des ersten Akts anhebt, ist auf der Leinwand schon ein Gesicht erschienen, das den Zuschauer mit der Völlerei Zeffirellis versöhnen dürfte: Teresa Stratas, die Traviata.

Während der Ouvertüre, die in den ersten 16 wehleidigen Takten das böse Ende der Liebesgeschichte bereits anklingen läßt, fährt die Kamera durch vergangene Pracht. Über erlesenen Sitzmöbeln liegen weiße Schontücher, die geschlossenen Vorhänge lassen kaum Licht durch, ein umherschleichender Gerichtsvollzieher macht Bestandsaufnahme. Hier geht es zu Ende.

Die Stratas, bleich, dünnhäutig, nur noch ein Schatten der einstigen Lebedame, erhebt sich von ihrem Krankenlager, schleppt sich durch die dämmrigen Gänge, klammert sich keuchend an eine Tür, und mit einem rasanten Crescendo - Aufreißer des ersten Bildes - setzt die Rückblende ein: Madame hat geladen, Zeffirelli läßt auffahren, große Oper wird grandioses Kino.

Franco Zeffirelli, der opernerfahrene Filmemacher und kinobesessene Opernnarr, hat mit der Callas Verdi, mit Karajan »La Boheme«, mit Bernstein »Fidelio«, mit Carlos Kleiber »Othello« gemacht. Er kennt alle Tücken im Gucckasten Opernhaus. In der Trickkiste Film hat er sich allerdings auch schon peinlich vergriffen. Zu seinen Lasten gehen die unsägliche Teenager-Schnulze »Endless Love« und der Fernseh-Fünfteiler »Jesus von Nazareth«, kolossal rausgeputzte Historienbilder aus dem geistlichen Fundus.

Für Zeffirelli ist die »Traviata« eine Heilige des Opernhimmels; nicht auszudenken, wenn er sie nur als Devotionalie für Belcantisten aufbereitet hätte. Die Kinooper war da für ihn eine schlimme Versuchung.

Will der Opernfilm nämlich mehr als nur eine Bühnenaufführung dokumentieren und so für ein Massenpublikum vervielfältigen, wird er ein Bastard. Er muß sich, um dem Kino Genüge zu tun,

völlig vom Schnürboden freistrampeln, zugleich aber am Gängelband der Partitur festhalten.

Ingmar Bergmans anrührende »Zauberflöte« blieb zwar dem humanistischen Märchen aus Sarastros Weisheitstempel nichts schuldig, um so mehr aber - schwedisch gesungen, lieblos musiziert - dem klassischen Wohlklang Mozarts.

Joseph Loseys »Don Giovanni« setzte den Weiberheld samt Gefolge einfach an die frische Luft. Hühner gackerten zwischen Rezitativ und Arie, Liebesschwüre verbreiteten sich open air in den Ebenen Venetiens, ein vollkommenes Musikdrama mußte zur Untermalung von Ansichtskarten herhalten.

Hans-Jürgen Syberberg scheiterte mit »Parsifal«, weil er nicht Wagner wörtlich, sondern nur sich wichtig nahm und die konfuse Bayreuther Heilslehre durch eine noch konfusere hausgemachte Metaphysik ersetzte.

Zeffirelli inszeniert nicht, wie Bergman, ein musikalisches Kammerspiel, sondern einen Reißer, mit triefender Groschenromantik im Libretto und reichlich viel Schluchzern in den Noten. Er schweift auch nicht, wie Losey, zum Sightseeing aus, sondern hält sich strikt an die Orte der Handlung. Und wenn Syberberg zum »Karfreitagszauber« niederkniet, springt Zeffirelli voll ins Amüsement, macht unverschämt saftige, effektgeile Kino-Oper, läßt auf Tischen tanzen, Champagner fließen, Händchen halten, Tränen trocknen. Such is life bei Verdi.

Vor allem aber hat Zeffirelli eingesehen, daß seine Violetta, wenn sie schon drei Akte lang kokettieren, liebkosen, leiden und zu alledem singen soll, ein Gesicht haben muß, das mehr bietet als einen Koloraturen speienden Mund voll glänzender Jacket-Kronen. Schon als er 1958 mit der Callas die »Traviata« inszenierte, hätte er am liebsten die Kamera gleich mitlaufen lassen. Aber die Diva mißtraute dem damaligen Branchen-Neuling und dieser »ihren groben Gesichtszügen«.

Die Stratas dagegen, an stimmtechnischer Bravour und stimmpsychologischer Charakterisierungskunst der Callas sicher unterlegen, schmeichelt sich mit Eleganz in die Rolle ein und durchleidet ihre Liebes- und Krankengeschichte mit einer geschmeidigen, zerbrechlichen Anmut, die selbst vor hautnahen Einstellungen glänzend besteht.

Neben ihr zählt nicht einmal Placido Domingo, stimmlich in Bestform, mit Bart und zerzaustem Haar zum leidenschaftlichen Liebhaber Alfredo verjüngt, geschweige denn dessen Vater Giorgio, dargestellt von Cornell MacNeil, der mit seinem Schmerbauch bloß die bürgerliche Wohlanständigkeit in den Raum stellt.

Nein, ohne das Halbfliegengewicht (45 Kilo, 1,55 Meter) Stratas, »ein so spektakuläres Talent wie die Callas« (Zeffirelli), wäre diese Kino-»Traviata« nicht gelaufen, der Beweis nicht erbracht, daß Musiktheater auf der Leinwand noch an Format gewinnen kann.

Diese Violetta Stratas überstrahlt mit ihrer Leuchtkraft alle Lüster und Kandelaber. Den Kritiker der »New York Times« hat sie sogar mehr betört als die Kamiliendame im Kino von 1937. Die hieß immerhin Greta Garbo.

Klaus Umbach

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