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Autoren Sixpence auf Sieg

Der britische Ex-Jockei Dick Francis hat sich mit Thrillern aus dem Rennbahnmilieu zum Bestsellerautor hochgeschrieben.
aus DER SPIEGEL 35/1993

Es sollte nur ein einfaches Dankschreiben sein, mit dem sich der 15jährige bei der »Honourable Miss Stoner« für die hübschen Manschettenknöpfe bedanken wollte. Doch der junge Dick Francis, der auf Miss Stoners Pferd mal wieder ein Rennen gewonnen hatte, brachte auch im fünften Entwurf nur lächerliche Floskeln zustande.

»Ich konnte eigentlich nie richtig schreiben, das mußte ich erst lernen, als ich anfing, meine Bücher zu veröffentlichen«, grinst der 72jährige britische Bestsellerautor heute etwas verlegen. _(* Sturz im Lingfield Park (1955). ) Francis, Sohn eines walisischen Pferdeexperten, ritt schon als Fünfjähriger, mit sechs Jahren absolvierte er seinen ersten »Profi-Einsatz": »Damals wettete ich mit meinem älteren Bruder, daß ich, rückwärts auf einem Esel sitzend, über eine Hürde springen könnte. Viermal fiel ich ins Gras, doch beim fünftenmal klappte es, und ich kassierte von meinem Bruder die erste Siegesprämie - genau einen Sixpence.«

Heute ist Francis vielfacher Millionär. Verdient hat er sich den Reichtum mit »Horse-Thrillers«, mit Krimis aus dem Rennbahnmilieu. Er lebt jetzt in Florida, fliegt aber jedes Jahr zum berühmten Grand-National-Hindernisrennen nach Aintree bei Liverpool.

Es ist seine jährliche Pilgerfahrt an jenen Schauplatz, der ihm 1956 die Erfüllung seiner Jockei-Träume vom großen Sieg bringen sollte, jedoch zum spektakulären Desaster wurde: »Es muß das tosende Crescendo der begeisterten 200 000 Zuschauer gewesen sein, die uns damals weit in Führung liegend sahen - dieses Gebrüll war für den sensiblen Devon Loch wohl ein derartiger Schock, daß er plötzlich verkrampfte und stürzte.«

Bald nach dieser Enttäuschung vertauschte Francis den Rennsattel mit der Schreibmaschine - er hatte sich gerade mal wieder, zum neuntenmal, das Schlüsselbein gebrochen. Inzwischen hat der Meister des Hippo-Thrillers, der seit 1962 pünktlich im Frühjahr seinen »annual novel« abliefert, genau 31 Romane (Gesamtauflage weltweit: 60 Millionen Exemplare) veröffentlicht, die in 24 Sprachen, darunter auch russisch, japanisch und tschechisch, übersetzt sind.

Seine Helden, die sich oft überfordert fühlen und die Hilfe sympathisierender Leser geradezu herbeiflehen, müssen meist mysteriöse Aktivitäten hinter den Kulissen der Rennbahn aufklären.

Doch geht Francis, darin ähnelt er den »hard-boiled« Autoren Raymond Chandler und Dashiell Hammett, nicht eben zimperlich vor. Seine bösen Buben, seien es nun korrupte Veterinäre, neureiche Unternehmer oder geldgierige Trainer, sind unbelehrbare Erzschurken, die Mordversuche und Erpressungsmanöver einfädeln oder die Manipulation todsicherer Favoriten organisieren.

In seinen Romanen verwertet Francis oft eigene Erlebnisse. In »Blindflug« greift Francis auf seine Erfahrungen als Pilot und Eigentümer einer Charterfluglinie in den sechziger Jahren zurück. Francis flog damals Spitzenjockeis wie Lester Piggott und vermögende Rennstallbesitzer zu Rennen in England und auf dem Kontinent. Die kriminellen Aktivitäten eines Air-Taxi-Unternehmers, denen der junge Amateurjockei und Pilot Henry Grey in diesem Thriller auf die Spur kommt, sind phantasievolle Dramatisierungen dieser Erfahrungen.

Die Manipulationen geldgieriger Immobilienhaie inspirierten Francis zu »Nervensache": »Ich hatte während eines Ausflugs nach Hampton Park beobachtet, daß man den nahe gelegenen Hurst Park, wo ich viele Siege errungen hatte, als Baugelände verkauft hatte. Und ich dachte mir, daß dies vielleicht ein Thema für ein Buch wäre. Daraus wurde dann der fiktive Rennplatz Dunstable, der von Immobilienhaien systematisch ruiniert wird, weil er als Baugelände eine höhere Rendite abwirft. Die schütten also Öl aufs Gelände, werfen tote Mäuse ins Heizungssystem und lassen aus benachbarten Wohnungen Pferde mit Spiegeln blenden - alles nur, damit der Platz von Spekulanten profitabel verscherbelt werden kann.«

Doch Francis ist kein verkappter soziologisch ambitionierter Gesellschaftskritiker, der den Thriller als Transmissionsriemen ideologischer Sentenzen mißbraucht. Wenn er etwas scharf verurteilt, dann höchstens Stumpfsinn, Langeweile und Klischees.

Das gilt schon für seinen ersten Roman, den Thriller »Dead Cert«, der jetzt unter dem Titel »Todsicher« wieder vorliegt. Da beschreibt der Jockei Alan York, wie er beim Rennen den mysteriösen, tödlich endenden Sturz seines Freundes Bill Davidson miterlebt. Er überführt, trotz mehrerer drastischer Warnungen und gezielter Attacken, die Hintermänner dieses Mordanschlags.

Der zuletzt ins Deutsche übersetzte Roman »Comeback« beschreibt eine besonders raffinierte Konstellation*. Für die rätselhaften Todesfälle in einer Tierklinik der englischen Provinz kommen als Tatverdächtige gleich mehrere Personen, darunter auch angesehene Veterinäre, in Frage.

Für die Francis-Gemeinde mag »Comeback« wegen der allzu spärlich eingestreuten Rennszenen eine Enttäuschung sein. Doch auf seine alten Tage, so bekennt der immer noch zu Experimenten aufgelegte Ex-Jockei freimütig, wollte er auch mal etwas psychologisch Komplexeres schreiben.

Ansonsten pflegt Francis lieber seine alten Gewohnheiten, etwa wenn er einmal im Jahr zum Grand National pilgert: »Endlich mal nicht am Schreibtisch hocken, die Pferde über die Bahn galoppieren sehen und alte Freunde treffen - was gibt es Schöneres?« Und er fügt hinzu: »Ehrlich gesagt, ist das Schreiben doch eine tierische Maloche.« Y _(* Dick Francis: »Comeback«. Aus dem ) _(Englischen von Malte Krutzsch. Diogenes ) _(Verlag, Zürich; 368 Seiten; 39 Mark. )

Jockei Francis*: Böse Buben auf der Rennbahn

Autor Francis Rückwärts auf dem Esel

* Sturz im Lingfield Park (1955).* Dick Francis: »Comeback«. Aus dem Englischen von Malte Krutzsch.Diogenes Verlag, Zürich; 368 Seiten; 39 Mark.

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