PROTOTYPEN So eine Teufelei
An einem sonnigen Augustnachmittag
fuhr NSU-Pressechef Arthur Westrup, 53, mit seinem NSU Prinz 1000 TT auf der Autobahn von Heilbronn in Richtung Stuttgart. Plötzlich erblickte er »ein Auto, wie ich es noch nie gesehen hatte«.
Das Auto erregte Westrups Verdacht: »Es war so auffällig unauffällig angestrichen, sah mit seiner dunkelbräunlichen Lehmfarbe ziemlich übel aus.« Und: »Vorne saßen zwei Männer, deren nachdenklichen Gesichtern man das Gepräge von Versuchsfahrern ansah.«
Blitzartig war sich Westrup klar, daß er einen noch im Erprobungsstadium befindlichen neuen Autotyp, einen sogenannten Erlkönig, gesichtet hatte. Der NSU-Pressechef preschte vorbei, zückte auf dem nächsten Parkplatz seine Kamera und photographierte das blecherne Edelwild.
Westrups Photo-Blattschuß vom Rastplatz-Anstand verwirrte Deutschlands Auto-Fans:
- Am 17. September veröffentlichte das angesehene Stuttgarter Motor -Journal »Auto, Motor und Sport« das Photo und ließ dabei durchblicken, es handele sich um eine neue Variante des für 1967 zur Produktion vorgesehenen NSU-Neulings »T 80« mit Wankelmotor.
- Am vorletzten Sonntag präsentierte »Bild am Sonntag« dasselbe Bild, deklarierte Westrups Photobeute jedoch als »sensationellen neuen VW 1800«, den das Porsche-Werk für VW-Chef Nordhoff entwickelt habe.
Alle drei Automobil-Werke dementierten. NSU teilte mit: »Das ist kein NSU-Auto.« Das Volkswagenwerk und, sinngemäß, auch Porsche verkündeten: »Bei dem Prototyp handelt es sich weder um einen VW noch um ein Modell der (VW-Tochter) Auto Union.«
»So eine Teufelei«, wetterte Erlkönigjäger Westrup. »Die Geschichte hat sich ja wie bei Maigret entwickelt.« Dem Urheber des Photos war noch in der vergangenen Woche schleierhaft, was die »Bild«-Leute ("Bild sagt, wie es ist") mit Sicherheit geklärt zu haben glauben - die Identität des Autos.
Westrup hatte das Photo zunächst den NSU-Ingenieuren vorgelegt - keiner von ihnen kannte das Auto. Da schickte der Schütze einen Abzug an seinen Freund Heinz-Ulrich Wieselmann, den Chefredakteur von »Auto, Motor und Sport": »Lieber Ulli, ich weiß nicht, was das ist - weißt Du es?«
Wieselmann vermutete einen Reklametrick des für ausgefallene Werbewitzchen bekannten NSU-Pressechefs und veröffentlichte das Photo mit einem auf NSU hinweisenden Text. Wenig später meldete sich bei »Auto, Motor und Sport« ein geheimnisvoller, schwäbelnder Anrufer: »Ich kann euch genau sagen, was das für ein Auto ist - das kostet aber eine Kleinigkeit.« Die »Auto« -Redakteure winkten ab, die Typfrage bleibt weiter ungeklärt.
Unterdes hatte »Bild« die Ermittlungen aufgenommen. Da NSU die Vaterschaft für den von Westrup photographierten Erlkönig hartnäckig bestritt, »mußte es ein anderer sein« (so »Bild« -Redakteur Rudolf Franz). Mit einem Trick erforschten die Hamburger Prototypen-Detektive, daß der in Leonberg bei Stuttgart zugelassene Wagen von einem Stuttgarter Automobilwerk angemeldet worden war - der »Dr.-Ing. h. c. F. Porsche KG«.
Daraus folgerte »Bild": Als Auftraggeber kam nur das VW-Werk in Frage, das schon wiederholt beim Konstruktionsbüro Porsche Prototypen bestellt hatte. »Im Stillen Winkel«, einer von VW-Versuchsfahrern bevorzugten Wolfsburger Bierschänke, fand »Bild« Franz Gesprächspartner, die ihm genauere Informationen über den vermeintlichen VW-Neuling gaben: Er sei mit einer vorderen Sitzbank versehen, habe einen gekröpften Schalthebel und ermögliche eine Höchstgeschwindigkeit von 170 Stundenkilometer.
»Bild« fand die richtige Spur, zog aber - was bei der Jagd auf Prototypen nur allzuleicht passieren kann falsche Folgerungen. Wohl hat Porsche das Auto entwickelt, doch war es, wie ein Porsche-Sprecher erläuterte, »keine Arbeit, die wir für VW gemacht haben«.
Porsche, dessen Konstruktionsbüro jedem Auftraggeber für Autos über einem bestimmten Hubraum offensteht, unterhält,'mitunter ein Dutzend zugelassener Prototypen gleichzeitig. Längst nicht alle werden in den Serienbau übernommen. Da Firmenchef Ferry Porsche ein sparsamer Mann ist (siehe Seite 88), »juckeln unsere Ingenieure mit den alten Dingern 'rum, bis sie auseinanderfallen« (so Porsche-Pressechef Huschke von Hanstein).
So sicher auch ist, daß die VW-Ingenieure schon seit langem neben anderen Projekten mit einem stärkeren Mittelklassewagen experimentieren - der von Westrup photographierte und von »Bild« zum »neuen VW 1800« ernannte Erlkönig hat offenkundig nichts damit zu tun. Von Hanstein: »Sonst wären wir wohl nicht so dumm, das Ding am hellichten Tag spazierenzufahren.«
Westrups Beute trägt bei Porsche die Entwurfsnummer 941 und ist, laut Porsche, »längst vergessen«.
Westrup-Photo: Erlkönig ohne Heimat