
Freiberufler in der Coronakrise Föderale Soforthilflosigkeit


Soforthilfe-Auszahlungen wurden in NRW zuletzt gestoppt.
Foto: Martin Gerten/ DPAWenn Sie selbst zu den sogenannten Unternehmern, Solo-Selbstständigen oder Freiberuflern gehören oder welche kennen, dann haben sie sicher mitbekommen, dass bei einigen momentan eine seltsame wie nachvollziehbare Atmosphäre zwischen existenzieller Panik und prä-apokalyptischem Optimismus herrscht.
Es ist ein bisschen wie in einer bürokratischen Folge von "The Walking Dead”: Jeder muss mehr als zuvor für sich ums berufliche Überleben kämpfen und schauen, wo er in dieser zermürbenden Zeit und in der nebeligen Zukunft finanziell bleibt. Denn während Arbeitnehmer in Kurzarbeit zumindest noch 60 bis 67 Prozent ihres Gehalts bekommen, fallen derzeit für viele Einzelunternehmer im Zwangsurlaub die Einnahmen komplett weg.
Um Unternehmen, die in existenzbedrohliche Schwierigkeiten geraten sind, aufzufangen, hat der Staat zwar schnelle Soforthilfen auf den Weg gebracht. Aber zugleich zeichnet sich ab, dass es zwangsläufig Corona-Gewinner und -Verlierer geben wird, wenn Bund und Länder nicht mit wirklich solidarisch wie gerecht verteilten Mitteln gegensteuern. Wie es momentan aussieht, wurde je nach Bundesland durch die unterschiedlichen Soforthilfen ein undurchsichtiges, vielköpfiges Maßnahmen-Monster erschaffen, das nicht nur schnelle Liquidität verspricht, sondern auch soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit produziert.
Zwei-Klassen-Unternehmer
Ein Grund für diese Benachteiligungen ist, dass die Soforthilfen nicht für alle UnternehmerInnen gedacht sind und vor allem gerade nicht die Geringverdiener auffangen, die keine Betriebe und gewerblichen Liquiditätsengpässe, aber nun dennoch keine Einnahmen mehr haben, um für ihren täglichen Lebensunterhalt zu sorgen. So fallen beispielsweise Kulturschaffende durch das Raster und werden in die Grundsicherung verwiesen.
Obwohl man hier nun großzügiger sein möchte und die Vermögensprüfung aussetzt, gibt es weiterhin eine Grenze für das Ersparte auf dem Konto sowie eine Überprüfung der Bedarfsgemeinschaft. Wenn Sie also einen Partner mit hohem Einkommen oder zu viel Geld für den Kauf eines Autos, eines Hauses, für Ihre Altersversorgung oder für eine Familiengründung gehortet haben, dann wird das weiterhin angerechnet.
Und welcher Freiberufler, der normalerweise nicht auf Hilfe angewiesen ist, möchte sich nun vorschnell in ein offiziell prekärmachendes System mit all seinen Nachteilen für Kranken- und Rentenversicherung begeben, vor allem wenn man sieht, dass auch anderen Werktätigen durch pauschale Summen und durch Lohnfortzahlung weniger gängelnd geholfen wird, obwohl diese aktuell auch nur zu Hause bleiben können?
"Warum werden wir Künstler reduziert auf unsere Fähigkeit, Rechnungen zu bezahlen? Wo bleibt unsere Würde in der Krise? Es geht doch nicht zuletzt auch darum, die Kosten der Pandemie gerecht zu verteilen", fragt Lars Schmedeke in einem Gastbeitrag für die "Zeit" .
Eine weitere Ursache, die ein noch größeres Gefühl einer Ungerechtigkeit hervorruft, verdanken wir dem Föderalismus. Denn es gibt nicht nur die einseitigen Hilfen für wirtschaftlich Auserwählte vom Bund, sondern auch landesspezifische Unterstützungen, die sich mal mehr mal weniger empathisch für das besondere Dilemma vieler Freiberufler zeigen. Grundsätzlich geht es dabei darum, dass in manchen Regionen nicht nur die Liquidität gesichert werden soll, sondern man hilfsbereiterweise auch Ausfälle von Einnahmen und Lebenshaltungskosten zumindest ansatzweise kompensieren möchte.
Wenn man also das Glück hat, gerade beispielsweise in Köln, Hamburg oder Berlin zu wohnen, dann - hat man Glück gehabt. Denn in NRW bekommen Kulturschaffende für Verdienstausfälle pauschal 2000 Euro, in Hamburg ist von einer Grundförderung von 2500 Euro zu lesen; in Dresden erhalten Selbstständige und Kleinstunternehmen einmalig 1000 Euro; in Sachsen-Anhalt will man Musiker, Schauspieler, Schriftsteller und bildende Künstler bis zu zwölf Monate lang mit monatlich 400 Euro unterstützen; und in Berlin wird das mit dem Liquiditätsengpass bei den 5000 Euro-Pauschalen offenbar auch etwas lockerer ausgelegt - zumindest berichtet rbb24 : "Anders als der Bund verweise Berlin nicht auf die Grundsicherung.”
Allerdings war dieser Etat in Berlin offenbar sehr schnell aufgebraucht, so dass dieser entgegen vorheriger Aussagen nun doch nicht für alle zur Verfügung stand und doch nach dem Windhundprinzip vergeben wurde, das einige sicherlich aus dem Pool-Liege-Handtuch-All inclusive-Büfett-Urlaub kennen: first come first serve. Daher stehen nun nur noch die Gelder vom Bund zur Verfügung, die laut Richtlinien nicht für die Zwecke verwendet werden dürfen, für die sie wohl viele Kulturschaffende verwenden wollen würden und müssten: für das private Überleben.
Und ironischerweise erscheint ausgerechnet Bayern, das ja stolz wie Söder als erstes Bundesland die Soforthilfen auf den Weg gebracht hat, im Falle der Selbstständigen nun mit am erbarmungslosesten; denn mit der Hilfe vom Bund und mit dem Verweis auf die Grundsicherung ist eine bayerische Lösung verschwunden, die sich auch um diejenigen kümmern könnte, die sowieso schon nicht viel haben.
Ein aktueller Film spiegelt genau dieses innerdeutsche, akute Verteilungsproblem: der auf Netflix erschienene spanische Science-Fiction-Thriller "Der Schacht” von Galder Gaztelu-Urrutia präsentiert sich als Allegorie zur gegenwärtigen Ausnahmesituation, zumindest was die Misere der gesellschaftlichen Verwaltungsarchitektur und ihre willkürliche Verteilungspolitik betrifft. In dieser kafkaesken Dystopie geht es um ein zukünftiges Gefängnis, das sich vertikal über 333 Stockwerke erstreckt und um einen Speiseschacht organisiert ist.
Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.
Die Insassen werden von oben mit einem üppig gedeckten Tisch und erlesenen Gerichten versorgt, die eigentlich für alle reichen - aber da das niemand weiß und jeder fürchten muss, dass sich alle anonymen Anderen nicht solidarisch verhalten, ist die Mehrheit im Kampf ums Überleben gezwungen, sich schnell am vorbeiziehenden Essen zu bedienen, bevor das Büfett abwärts verschwindet und die spärlichen Reste in die unteren Etagen abtauchen. Und ganz unten kommen dann nur noch leere Teller an. Die große soziale Frage, die dieser Film stellt, könnte man so formulieren: Wie können alle versorgt werden, wenn die soziale Bauweise nicht gestattet, dass miteinander interagiert wird, um die lebensnotwendige wie lebensrettende Unterstützung für alle gleich gerecht zu organisieren?
Über Soforthilfe spricht man nicht
Ich freue mich für jeden, der das Glück hat, in einer Stadt und in einem Bundesland zu wohnen, die sie unterstützen. Und darüber, dass es für diejenigen so schnell ging, das ist großartig. Und ich ärgere mich umso mehr mit allen anderen, die gerade leer ausgehen.
Da das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nun pauschal alle Bürger als #Krisenhelden bezeichnet, wäre es angemessen, wenn sich diese zweifellos notwendige Gemeinschaftlichkeit auch in einer wirklichen Solidarität des Bundes zeigen würde, die alle Erwerbstätigen, alle Angestellten, ArbeitnehmerInnen, UnternehmerInnen, Selbständige und Freiberufler nicht in minder- und mehrwertige, relevante und irrelevante Bedarfsklassen unterteilt, sondern sie angesichts dieser historischen Ausnahmesituation über Gewerbe und Branchen hinweg bedingungslos schützt. Die Corona-Quarantäne darf nicht zu einem Soforthilfe-Casino werden, in dem die innerdeutsche Herkunft und die Branchenzugehörigkeit über Glück und Unglück des Einzelnen entscheiden.