
Wahlplakate der SPD Mit der Lakonie des sowjetischen Konstruktivismus


Wahlplakate 2021: Die SPD ist jetzt für 53 Tage die »Scholz Packt Das an«-Partei. Punkt.
Foto: Kay Nietfeld / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Die SPD hat keine Chance und die feste Absicht, sie zu nutzen. Das zumindest lässt sich an der am Dienstag von Generalsekretär Lars Klingbeil vorgestellten Kampagne zum Bundestagswahlkampf 2021 ablesen. Die Grünen sind lindgrün, die Union gibt sich irgendwie deutschbunt und rund – die SPD tut, als wäre sie noch, was sie immer war: rot.
Dieses Rot, laut Systematik gemäß Pantone ein gesättigtes »483 C« ohne Abstufungen und Kompromisse, muss laut Lars Klingbeil »auf die Straße«. Dort setzt es sich auf Plakaten farblich recht aggressiv sowohl von der Umgebung als auch von der Konkurrenz ab, vor allem »gegen grün«, womit Klingbeil vielleicht, vielleicht aber auch nicht, die Stadtbildbäumchen im Hintergrund meint.
Tatsächlich ist Rot die einzige Farbe, daneben gibt es nur weiß und schwarz. Visuell erinnert das in seiner Lakonie ein wenig an Werke des sowjetischen Konstruktivismus. Daneben schwingt, möglicherweise, als zarte Erinnerung an die lange Geschichte der Sozialdemokratie, die Nationalflagge von 1871 bis 1919 mit.
Was sieht man? Vor allem Scholz
Die SPD, so ein urlaubsbrauner Generalsekretär, sei »rot in einer bunten Welt«, was immer das noch bedeuten mag. Jedenfalls könne man im Straßenbild »auf viele hundert Meter unsere Plakate sehen«, so wie »Stop«- oder »Durchfahrt verboten«-Schilder. Darauf die üblichen Versprechungen zu Miete, Rente, Pflege, Mindestlohn. Was sieht man noch? Scholz. Andere Menschen auch, vor allem aber: Scholz.

Wahlplakate in Rot: Gemäß Pantone ein gesättigtes »483 C« ohne Abstufungen und Kompromisse
Foto: Kay Nietfeld / dpa»Scholz packt das an«, so der knackige Slogan. Mit Punkt: »Scholz packt das an, Punkt«, weil eine Behauptung ohne den Paukenschlag der finalen Interpunktion neuerdings schon als Lüge gilt, der Punkt hingegen ihren Wahrheitsgehalt besiegelt. Und es, laut Klingbeil, »natürlich« auch darum gehen müsse, »den Kanzlerkandidaten mit der SPD zusammenzubringen«.
Womit auch konservative Unkenrufer zum Schweigen gebracht wären, der kompetente Scholz müsse die Wähler nur noch vergessen machen, für welche Partei er antrete. Die SPD ist jetzt für 53 Tage die »Scholz Packt Das an«-Partei. Punkt.
Wie ein Lehrer beim Elterngespräch
Farbgebung und Typografie mögen so schlicht sein wie die Wortspiele pfiffig, bei den Fotos ihrer Kandidatinnen und Kandidaten und des Kanzlerkandidaten hat die SPD aber alle Register der psychologischen Überwältigung gezogen. Fotografiert wurde auch Scholz mit »dreidimensionaler Weitwinkelfotografie«, vermutlich ergänzt um neueste Erkenntnisse der Quantenfotografie.
Deshalb hat Scholz, wie er da Stimmzettel in die Höhe hält, abnorm gewaltige Pranken – mit denen es sich sicher trefflich anpacken lässt. Diese ausgeklügelte Fotomethode soll laut Klingbeil »durchdringen«, wenn nicht sogar dem Betrachter ins Gesicht springen. Einige dieser Motive, von der SPD breitbrüstig »Kanzlerplakate« genannt, hängen schon herum.
Darauf sitzt Scholz dem Wahlvolk gegenüber wie ein Lehrer beim Elterngespräch, wenn der Nachwuchs mal wieder etwas ausgefressen hat – allerdings mit dieser ebenso verschmitzten wie hanseatischen »Das kriegen wir schon geschaukelt«-Miene, mit der er selbst noch jeden Skandal ausgesessen hat. Im Bild ist auch sein Ärmel, das Ass darin noch gut verborgen.
Scholz verspricht »Kompetenz für Deutschland, Punkt« und »Respekt für Dich, Punkt«. Eine argumentative Zangenbewegung, der man sich kaum entziehen kann. Und besser so als umgekehrt. Ein Filmchen mit Matroschka-Puppen demonstriert, was alles in so einem Scholz steckt. Gehaltserhöhung. Bezahlbare Mieten. Klimaschutz. Innovationen. Stabile Renten.
Jugendliche Ironie, die nach hinten losgeht
Ein anderer Clip fasst die Geschichte der Partei mit jugendlicher Ironie zusammen, die nach hinten losgeht: »Für Dich gehen wir auf die Straße«, Franziska Giffey beim Demonstrieren, »ins Parlament«, schon wieder Giffey, diesmal beim Reden im Parlament, »und Kompromisse ein«, Scholz neben Merkel beim Unterzeichnen eines Kompromisses.
Kurz deutet Klingbeil so etwas wie Selbstkritik an, die »SPD ist schuld an vielen Dingen«. Es folgt, in Zeitungsanzeigen, eine rührend hilflose Liste an Dingen, an denen die SPD gerne »schuld« sein möchte, vom »Kohleausstieg« bis zu »Mehr Kindergeld & Milliardenpaket für gute Kitas«. Weil das offenbar noch nicht angekommen ist im Land.
»Natürlich«, sagt Klingbeil, »gehört für uns zur Wahlauseinandersetzung auch, dass wir die Fehler der Anderen sehr deutlich betonen«. Wie genau, das werde man in den kommenden Tagen »schon sehen«. Einstweilen lautet mit Blick auf Laschet und Baerbock die Erzählung noch: »Während zwei sich zerlegen, sticht der Dritte hervor. Das ist Olaf Scholz, der macht seinen Job«.
53 Tage bleiben noch.