SPIEGEL Gespräch »Ich könnte auf dem Papier jemand umbringen«
SPIEGEL: Herr Bernhard, in Deutschland ist es üblich geworden, die Schriftsteller nach Ratten und Schmeißfliegen einzuteilen -- sind Sie eine Ratte oder eine Schmeißfliege?
BERNHARD: Eine Mischung aus Ratte und Schmeißfliege wahrscheinlich. In Österreich ist man noch nicht auf die Idee gekommen, Schriftsteller als Ratten und Schmeißfliegen zu bezeichnen, aber es gibt sicher auch hier Leute, welche das in Gedanken wenigstens so mit sich herumtragen.
SPIEGEL: Woran liegt das, wieso sind die Töne in Österreich noch besser?
BERNHARD: Ob sie besser sind, das weiß ich nicht. Aber man traut sich nicht direkt, Menschen als Ratten und Schmeißfliegen zu bezeichnen ...
SPIEGEL: Obwohl Sie in Österreich sehr viel dazu getan haben, die Leute dahingehend zu provozieren.
BERNHARD: Um allem möglichen Ungeziefer zugerechnet zu werden, da müßte ich nach Deutschland gehen oder ein Deutscher sein, vielleicht wär''s dann möglich, dort noch einen Ehrentitel zu bekommen.
SPIEGEL: Was waren die Anlässe, um in Österreich beschimpft zu werden?
BERNHARD: Schreiben allein genügte. Im Grund war das schon seit den Gedichten drinnen, daß man mich als Stinktier bezeichnet hat.
SPIEGEL: Auf der anderen Seite neigen auch Sie dazu, andere Leute im Zustand der Verwesung, der Auflösung zu sehen, sie als kaputt und krank zu schildern. Ihre Figuren können oft nicht laufen, nicht hören, nicht sehen, sie können eigentlich nur noch raunzen und schimpfen und ihre Umwelt quälen. Sind Ihre Helden krank zur Tarnung, damit sie vielleicht doch besser hören und sehen?
BERNHARD: Nein, ich tarne ja meine Figuren eigentlich nicht, ich lasse S.174 sie aus dem Käfig heraus, wie sie sind, und sie sollen hingehen, wo sie wollen. Ich habe keinen Einfluß mehr auf diese Figuren, ich bin ja kein guter Hirte.
SPIEGEL: Die letzte Ihrer Theater-Figuren hat einen ganz merkwürdigen Beruf, sie ist »Weltverbesserer«.
BERNHARD: Weltverbessern ist ja ein Wahnsinn, man kann die Welt nicht verbessern.
SPIEGEL: Aber Sie probieren''s trotzdem?
BERNHARD: Ich probier'' das, wenn ich aufsteh'' in der Früh, die Welt zu verbessern. Mich selbst und die Welt ...
SPIEGEL: Aber am meisten graust es Ihnen vor denjenigen, die die Macht haben?
BERNHARD: Ich mag Macht überhaupt nicht, ich mag weder einen einzigen, der die Macht ausübt, noch mehrere, die die Macht ausüben.
SPIEGEL: Das Chaos mögen Sie aber auch nicht?
BERNHARD: Das Chaos ist im Grund unmöglich in der sogenannten zivilisierten Welt, obwohl mir das Chaos an und für sich lieber ist.
SPIEGEL: Sollen Ihre Stücke und Bücher das Chaos befördern?
BERNHARD: Im Grund denke ich so, ja.
SPIEGEL: Und wie soll das funktionieren?
BERNHARD: In dem Moment, wo es funktioniert, ist es ja kein Chaos mehr.
SPIEGEL: Aber der Zweck Ihres Schreibens könnte doch Machtverhinderung sein.
BERNHARD: Das Wort Zweck ist mir schon fast so zuwider wie das Wort Macht. Der Zweck verfolgt Mittel, und dann ist die Macht auch schon da.
SPIEGEL: Wenn man sich Ihre Helden ansieht, dann sind sie -- wie der »Präsident« -- manchmal Politiker, manchmal Philosophen, manchmal Künstler. Sind Künstler auch Machtausübende wie Politiker?
BERNHARD: Künstler haben manchmal genausoviel Macht wie Politiker.
SPIEGEL: Diese Macht stört Sie genauso?
BERNHARD: Auch diese Macht würde mich stören, wenn ich mit der konfrontiert wäre.
SPIEGEL: Also steckt da eine Portion Selbstekel drin?
BERNHARD: Wahrscheinlich auch. Aber nicht nur. Ich seh'' das Leben nicht nur als Ekel ... Und das Schreiben auch nicht.
SPIEGEL: In Ihren Texten geht es um Tod, Lebensekel, Selbstmord. Schreiben Sie, um sich nicht aufzuhängen?
BERNHARD: Könnte sein, ja, doch.
SPIEGEL: Sie haben gesagt, daß Sie kein guter Hirte für Ihre Figuren sind. Trotzdem haben Sie kürzlich den Wiener Theatern die Aufführung Ihrer Stücke bis auf weiteres untersagt.
BERNHARD: Ich habe das nicht so ernst gemeint. Aber ich überlasse meine Figuren nicht gern dilettantischen Tiefschlägern.
SPIEGEL: Haben Sie schlechte Erfahrungen mit dem Wiener Burgtheater?
BERNHARD: Ich hab nur schlechte Erfahrungen mit dem Burgtheater, ich nehme das aber nicht sehr ernst. Ich will bloß nicht, daß die dort ein Stück von mir machen.
SPIEGEL: Ist das ein Verbot für die Wiener, Sie zu spielen?
BERNHARD: Verbot, das klingt zu großartig.
SPIEGEL: Zurück zum Österreichischen. Sie haben nie gezögert, den Österreichern alles nur erdenklich Böse anzuhängen. In einem Beitrag zum Nationalfeiertag 1977 haben Sie geschrieben, daß Ihre Regierungen in den letzten Jahrzehnten zu jedem Verbrechen an diesem Österreich bereit gewesen wären. Die Regierungen hätten »an diesem Österreich nur jedes denkbare Verbrechen begangen, unter Ausnutzung dieses von Natur aus verschlafenen Volkes die Gemeinheit und Brutalität schließlich zu der einzigen Kunst gemacht, die sie beherrschen und die sie bewundern und in die sie tatsächlich vernarrt sind«. Das ist doch ein genereller Mißtrauensantrag gegen jede österreichische Regierung.
BERNHARD: Ja, gegen alle diese Leute, die die Macht und den Mißbrauch der Macht gewohnt sind.
SPIEGEL: Mit ähnlich heftigen Worten sind Sie aus der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgetreten.
BERNHARD: Bei näherer Betrachtung ist die Akademie für Sprache und Dichtung das Letzte ...
SPIEGEL: Aber solange Walter Scheel nicht drin war, schien Sie das nicht zu stören? War Ihnen die Wahl von Herrn Scheel in die Akademie ein willkommener Vorwand zum Austritt?
BERNHARD: Er war mir als Erscheinung widerwärtig.
SPIEGEL: Warum?
BERNHARD: Das ist eine schwierige Frage. Fragen sind immer korrekt, Antworten sind immer falsch, unrichtig.
SPIEGEL: War es wirklich die Person Scheel, die Sie zum Austritt bewogen hat, oder wäre Ihnen jeder andere Präsident, etwa Carstens oder Heinemann, auch recht gewesen?
BERNHARD: Mir ist jeder recht. Und ich hätte genauso reagiert.
SPIEGEL: Bei allen dreien gleich?
BERNHARD: Ja. Auch bei Giscard d''Estaing, auch wenn die Margaret Thatcher oder sonstwer von Staats wegen dazugekommen wär''.
SPIEGEL: Sie müssen doch vorher am Akademie-Leben teilgenommen haben, jedenfalls hat es den Anschein, wenn man Ihre boshaft genauen Schilderungen der Akademie-Tagungen liest, wo sie die Mischung aus Eitelkeit, Senilität, Leerlauf und Spesenrittertum beschreiben.
BERNHARD: Ich war nie dabei. Aber die Akademie spiegelt sich ja in ihren Veröffentlichungen.
SPIEGEL: Sie haben sich verbeten, daß diese Veröffentlichungen in Ihr Haus kommen.
BERNHARD: Das kann ich nicht verhindern. Der Briefträger schmeißt''s herein. S.176 SPIEGEL: Sind Sie noch irgendwo Mitglied in einer ähnlichen Akademie?
BERNHARD: Ich bin Krankenkassenmitglied.
SPIEGEL: Und sonst?
BERNHARD: Nichts mehr.
SPIEGEL: Sie sind nicht immer sehr konsequent gewesen, Sie haben doch beispielsweise Preise und Ehrungen angenommen.
BERNHARD: Niemand kann konsequent sein, man wird sich immer wieder selbst bei einer Inkonsequenz erwischen können.
SPIEGEL: In der Dankrede haben Sie''s den Preisverleihern ja schon wieder heimgezahlt. Würden Sie jemals wieder einen Preis annehmen, etwa den Nobelpreis?
BERNHARD: Weder einen Preis noch eine Ehrung oder Auszeichnung.
SPIEGEL: In Ihrem neuen Stück schildern Sie die zwangsläufige Lächerlichkeit eines Preiszeremoniells.
BERNHARD: Lächerlich habe ich das immer schon gefunden, als ganz Junger mit 15 oder 16. Es war ja auch bei allen Preisen, die ich bekommen hab'', etwas Komisches.
SPIEGEL: Ist ein Preis nicht immer auch ein Versuch, den Künstler mundtot zu machen?
BERNHARD: Man will ihn befriedigen, also ungefährlich machen.
SPIEGEL: Worin besteht die Gefährlichkeit des Schriftstellers? In einer kleinen Prosaskizze beschreiben Sie, wie der Autor im Theater sitzt und Leute erschießt, die in seiner Komödie an den falschen Stellen lachen. Sie selbst führen sich im Theater ja weit moderater auf, wenn Sie überhaupt hineingehen. Was ist der Unterschied zwischen dem Geschriebenen und der Wirklichkeit? Sie wissen ja, wir haben jetzt in Deutschland eine sehr skurrile Diskussion in Augsburg, weil der Filmemacher und Theaterregisseur Schroeter von einem Weißwurst-Attentat gegen Strauß phantasiert hat und sich selbst eine Totschlage-Stimmung bescheinigte -- ganz ähnlich wie Ihr schießender Theaterautor.
BERNHARD: Auch ich könnte auf dem Papier öfter jemanden umbringen. Aber eben nur auf dem Papier.
SPIEGEL: Und haben Sie Angst, daß irgend jemand das als Rezept nimmt, was auf dem Papier steht?
BERNHARD: Das kann man nicht verhindern.
SPIEGEL: Tötet man auf dem Papier, damit man sich''s in Wirklichkeit erspart?
BERNHARD: Das kann ich nicht beantworten.
SPIEGEL: Ihr Hang zur Morbidität erweist Sie als eine Art romantischer Schriftsteller, der einen Zusammenhang zwischen Krankheit und Kunst, zwischen Wahnsinn und Kunst, zwischen Anarchie und Kunst sieht.
BERNHARD: Ja, das trifft es schon. Das ist, glaub'' ich, wie beim Träumen, das können Sie auch nicht verhindern, wohin Ihre Träume gehen, notfalls kann man Sie wecken, dann passiert das Schlimmste, aber Sie haben keinen wirklichen Einfluß darauf.
SPIEGEL: Halten Sie Kritik, die an Ihnen geübt wird, für gerechtfertigt?
BERNHARD: Jede Kritik ist gerechtfertigt, aber ob sie trifft, das weiß man ja nicht, es kann jeder sagen, was er will, und man kann es nicht ändern, warum sollte man irgendeine Kritik ändern?
SPIEGEL: Wie sind denn Ihre Erfahrungen mit Kritiken und Zeitungen?
BERNHARD: Zwischen grauenhaft und ganz lustig.
SPIEGEL: Was ist das Grauenhafte?
BERNHARD: Das ist eigentlich sehr weit zurück, das ist etwa 15 Jahre zurück.
SPIEGEL: Das heißt doch, das Grauenhafte war damals da, weil Sie sich noch nicht wehren konnten.
BERNHARD: Weil damals alles überdimensioniert war. Auch als Kind oder kleiner Jung, dann ist das alles viel größer, die Berge, die Schneehaufen. Die Winter sind kälter, die Sommer sind heißer.
SPIEGEL: Also der Thomas Bernhard ist reifer geworden, und es macht ihm Spaß, in der Zeitung zu lesen, weil er so auch nicht mehr teilzunehmen braucht.
BERNHARD: Wenn ich eingehen würde, also wenn ich draufgehen würde, wenn ich mich nicht mehr bewegen könnte, dann würde ich es wahrscheinlich ideal finden, im Cafehaus zu sitzen bei zugezogenen Vorhängen. Aber nicht so weit zugezogen, daß man nicht mehr lesen kann. Es wäre schön, die Welt nur noch aus der Zeitung zu erfahren. Dann lese ich nur noch die Welt aus der Zeitung.
SPIEGEL: Lieber noch im Bett liegen und ein bißchen krank sein dabei?
BERNHARD: Das wäre ein großer Genuß, glaube ich. Ein bißchen krank sein ist ja sehr schön. Und immer so bis an den Rand. Obwohl natürlich, wenn man den überschreitet und tot ist, kann es auch nur ein großer Genuß sein.
SPIEGEL: Darüber gibt''s kaum verläßliche Auskünfte.
BERNHARD: Das einzige, was ich glaube, daß eben nachher nichts mehr ist.
SPIEGEL: Wenn jemand in Ihren Büchern schreibt oder nachdenkt, dann S.178 leidet er eigentlich immer darunter, daß er sich was ausgedacht hat, und daß er jetzt von dem, was er sich ausgedacht hat, gefesselt ist, versklavt wird. Ist das Ihre Situation?
BERNHARD: Ich glaube ja. Wenn das Buch, also das Manuskript, völlig fertig ist, dann ist die Sklaverei zu Ende. Eine neue beginnt. Nämlich die des Nichtschreibens und Nichtgefesseltseins.
SPIEGEL: Man hat den Eindruck, daß Ihre Stücke immer auch Wiederholungen ein und desselben Stückes sind.
BERNHARD: Das ist wahrscheinlich ganz richtig. Weil die Prosa ja auch so ist.
SPIEGEL: Also ist das Geschriebene doch nicht so weit weg und erledigt?
BERNHARD: Im Grunde ist es immer die eine gleiche Prosa und die eine Art, für die Bühne zu schreiben.
SPIEGEL: Aber auf einmal gibt es unter Ihren Figuren, die alle auch ein Stück von Ihnen sind, eine, die Filbinger ähnelt. Die kann doch nicht mit Ihnen verwandt sein?
BERNHARD: Also mißverstehen Sie mich nicht. Ich habe das Gefühl, daß ich und alle anderen mit allen verwandt sind. Daß auch ein Filbinger in mir ist wie in allen anderen. Daß auch der liebe Gott in einem ist und die Nachbarin und überhaupt alles, was lebt. Man könnte sich mit allen identifizieren. Das ist die Frage, wie weit unterdrückt man und beherrscht man alle diese Millionen oder Milliarden von Möglichkeiten von Menschen, die man in sich hat?
SPIEGEL: Das ist einsehbar. Aber stört es Sie nicht, wenn man Ihre Stücke so eindeutig übersetzt und sagt, da sei in Stuttgart ein Filbinger-Stück zur Filbinger-Affäre gelaufen?
BERNHARD: Nein, das ist Unsinn, daß jemand sagt, da ist ein Filbinger-Stück. Weil das mit Filbinger nichts zu tun hat. Nur mit einer Person, die ähnliche Züge hat.
SPIEGEL: Und jede Ähnlichkeit ist rein zufällig?
BERNHARD: ... nein, die ist natürlich nicht zufällig. Ich bin durch das Zeitunglesen schon auf diese Nazi-Fossilien gestoßen.
SPIEGEL: War das kleine Minidrama für die »Zeit«, in dem eine Nazi-Familie Suppe ißt, die erste Version?
BERNHARD: Nein, das Stück wollte ich überhaupt nicht schreiben. Der Henrichs von der »Zeit« bat mich um ein Stück. Ich hab es geschrieben. Und ich sehe das noch hineinfallen in den Papierkorb und sage: »So, das hab'' ich erledigt]« Aber dann hab ich''s wieder herausgeholt, getippt und habe es weggeschickt.
SPIEGEL: Sie haben eine Komödie über Kant geschrieben, in der ein Held namens Kant nach Amerika zu einer Augenoperation fährt. »Ich bringe Amerika die Vernunft«, sagt er, »Amerika gibt mir das Augenlicht.« Ist das die Formel, auf die sich Ihr Verhältnis zum Publikum bringen läßt?
BERNHARD: Das stimmte, weil ich ja einen akuten grünen Star hatte und zu erblinden drohte. Und daher zur Operation mußte. Aber das war überhaupt nur der erste Einfall für dieses Stück.
SPIEGEL: Also doch ein Künstlerdrama?
BERNHARD: Kein Künstlerdrama. Ein Augendrama. Das Drama vom grünen Star.
SPIEGEL: Und die Rollstuhldramen?
BERNHARD: Das hängt zusammen. Man muß ja nicht unbedingt, wenn man einen zerschlagenen Kopf hat, über den Kopf schreiben.
SPIEGEL: Und wenn Sie das Stück Theaterleuten übergeben haben, kontrollieren Sie dann, was daraus wird?
BERNHARD: Übergeben heißt kotzen. Und das kann echt miteinander zusammenhängen. Und hängt wahrscheinlich wirklich zusammen.
SPIEGEL: Es ist ja eher eine Mär, die Thomas Bernhard um sich verbreitet, daß er zum Beispiel nicht zu Premieren geht. Man sieht ihn doch bei Premieren, zwar versteckt, aber er guckt sich seine Stücke doch an.
BERNHARD: Ja, das war verschieden. Manchmal hat es mich interessiert und mehr auch nicht. Ich bin auch schon davongelaufen. Die »Jagdgesellschaft« in Wien habe ich von Anfang an gesehen und vom ersten Wort an gemerkt, daß das Ganze baden geht und erledigt ist. Ich lauf'' den ersten Akt hinaus und war auf der Galerie oben und habe meinen Mantel genommen bei der Garderobiere, und die hat gesagt: »Ach, gefällt es Ihnen auch nicht?«
SPIEGEL: Sie haben Schauspieler gelernt?
BERNHARD: Ja, so sagt man wohl. Ja und nein. Ich habe heute nichts mehr damit zu tun, auch nicht mit der Musik, mit allem, was ich gelernt hatte, hatte ich später nichts zu tun.
SPIEGEL: Und Sie sind dann zufällig wieder darauf zurückgekommen? Und Sie sind auch so sehr dem Theater verfallen, daß Sie sogar einen Schauspieler gefunden haben, der für Sie eine Idealverkörperung ist. So sehr, daß Sie ein Stück nach ihm benannt haben. S.179
BERNHARD: Mit Minetti ist es etwa so, als hätte ich mich selbst gefunden.
SPIEGEL: Sogar das Drama über Minetti für Minetti ist das Drama eines Unglücks, eines Mißerfolgs. Berauschen Sie sich am Unglück?
BERNHARD: Ich bin ja ein Berserker, wie soll ich sagen, ich will ja gut schreiben, ich will mich ja auch immer verbessern. Das heißt aber, ich müßte mich immer mehr vergrauslichen und immer mehr verfürchten und verfinstern im Bösen, damit ich besser werde.
SPIEGEL: Strengt Sie das an, so bös zu sein, so grauslich zu sein? Müssen Sie sich das vornehmen, sich sagen: »Jetzt will ich aber schön scheußlich sein?«
BERNHARD: Ich glaube, ich bin von Natur aus bös, und die Anlage ist nicht anstrengend, aber die Ausführung ist schwierig.
SPIEGEL: Sie haben ja mal geschrieben, Salzburg sei die Stadt mit den meisten Selbstmorden.
BERNHARD: Ja, das habe ich nur abgeschrieben, das ist ja amtlich festgestellt, daß dort Selbstmorde konzentriert sind.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich das?
BERNHARD: Erstens einmal aus der Lage der Natur, das Eingeschachtelte in den Felsen, Salzburg ist wirklich arg feucht ... Da regnet es Selbstmordtote, im Herbst, zum Schulbeginn, im Oktober ist alles voll. Aber das ist Statistik und nicht interessant.
SPIEGEL: Interessant wäre nur das Einmalige für Sie?
BERNHARD: Für mich wäre interessant, wenn ich mich umbringen würde und mich nachher beobachten könnte.
SPIEGEL: Das geht aber leider nicht.
BERNHARD: Daß das nicht geht, ist meine größte Enttäuschung.
SPIEGEL: Was hat der Thomas Bernhard für ein Verhältnis zu Kollegen, zu anderen Schreibenden? Fühlt er sich mit denen solidarisch?
BERNHARD: Mit welchen? Mit Lebenden?
SPIEGEL: Mit Lebenden zunächst mal.
BERNHARD: Ich habe mit niemandem etwas zu tun. Ich könnte mich nicht erinnern.
SPIEGEL: Weil Sie für besser halten, ein Einzelgänger zu sein?
BERNHARD: Das ist sehr schwer zu sagen.
SPIEGEL: Also wir haben vorhin von der Akademie gesprochen. Können Sie sich vorstellen, es gäbe heute noch S.180 die Gruppe 47? Könnten Sie sich vorstellen, zu einem solchen jährlichen Schriftstellertreffen zu fahren?
BERNHARD: Ich wäre hingefahren vor 15 Jahren noch oder vor zwanzig, wenn man mich eingeladen hätte, damals. Ich habe da sicher den Wunsch gehabt, eingeladen zu werden, aber das war halt nicht. Im nachhinein ist es mir egal.
SPIEGEL: Jetzt würden Sie nicht mehr hingehen?
BERNHARD: Nein, wenn es die Gruppe 44 oder 88 gäbe, nein, weil ich keine Lust habe, mit Schriftstellern zusammen zu sein.
SPIEGEL: Was stört Sie an anderen Schriftstellern? Warum haben Sie keine Lust?
BERNHARD: Erstens stört mich, daß sie auch Schriftsteller sind.
SPIEGEL: Konkurrenzneid?
BERNHARD: Es ist ja jeder Mensch ein Konkurrent. Innerhalb dessen, was sie machen, sind Schriftsteller natürlich noch größere Konkurrenten.
SPIEGEL: Aber gibt es denn keinen, bei dem Sie sich fast wie ein Bruder fühlen, als Zwilling oder als Kumpel?
BERNHARD: Ich habe einen leiblichen Bruder.
SPIEGEL: Nein, von den Schriftstellern.
BERNHARD: Ich weiß schon, ich brauche keinen Schriftsteller-Bruder, ich habe auch nie einen gehabt. Ich liebe Wittgenstein und Thomas Wolfe, das sind Sachen, die mich über Jahrzehnte brüderlich begleiten, die liebe ich innigst bis ans Lebensende und über den Tod hinaus, wie das so schön heißt. Aber Lebende? Wahrscheinlich les'' ich auch zu wenig. Ich meine, ich lese ja nicht alles, was da von Südamerika kommt.
SPIEGEL: Lesen Sie alles, was aus Österreich kommt?
BERNHARD: Nein, da würde man ja verrückt werden, dann müßte man Tag und Nacht lesen, und das kann man nur, wenn man stumpfsinnig ist.
SPIEGEL: Wenn man Sie mit anderen Österreichern manchmal vergleicht, sagen wir mal mit Handke, was sagen Sie dann dazu? Sehen Sie da Ähnlickeiten, Gemeinsamkeiten?
BERNHARD: Gar keine Ähnlichkeit, Handke ist ein intelligenter Bursche, und ich möchte keines seiner Bücher geschrieben haben, aber alle meine.
SPIEGEL: Das ist klar. Wie steht''s mit Jandl?
BERNHARD: Das lehne ich völlig ab. Das sind Schullehrertypen, die sich auch nie trennen können von ihrem Geschäft. Die können sich auch den Einsatz gar nicht leisten, sich in etwas einlassen.
SPIEGEL: Und andere Bühnenautoren?
BERNHARD: Ich bin begeistert von Hochhuth, persönlich. Es ist grauenhaft, was er schreibt.
SPIEGEL: Und Botho Strauß? Sie und Botho Strauß gehören zu den meistgespielten deutschen Gegenwartsdramatikern.
BERNHARD: Ja, Botho Strauß. Das hängt mit Peter Stein und der Schaubühne zusammen: Für mich ist, was der Stein macht, kein Theater. Das ist eine Kirche, auf der er seinen Altar baut und dann die Götterfiguren errichtet. In Kirchen gehe ich nicht. Der Strauß ist wie ein Ministrant vom Stein, und so schreibt er auch jetzt. Sehr erfrischend, sehr charmant, ich mag ihn unglaublich gern, aber ich glaube nicht, daß das in zehn Jahren noch einen interessiert, was er jetzt schreibt.
SPIEGEL: Sind Sie davon überzeugt, daß man in zehn Jahren von Ihren Stücken noch was weiß?
BERNHARD: Ich glaube nicht, daß man sie vergessen hat. Beim Strauß liegt es, glaube ich, an der Sprache, an dem Jargon, der vorübergehend sehr, sehr schön ist, wie ein Fliederduft vor meinem Haus.
SPIEGEL: Mit anderen Worten: Sie sagen, Ihre Sprache ist für die Ewigkeit.
BERNHARD: Für die Ewigkeit ist überhaupt nichts.
SPIEGEL: Aber für die mittlere Ewigkeit, das sind Sie, Strauß ist für die schnell vergängliche.
BERNHARD: Ich bin für die mittlere Ewigkeit. Vielleicht. Ja.
SPIEGEL: Und andere sind schnell vergänglich?
BERNHARD: Na ja, Vergänglichkeit ist auch etwas Schönes. Es gibt ja nichts Furchtbareres als ewig Bestehendes. Ich möchte auch gar nicht, daß alles, was mit mir zusammenhängt, überhaupt bestehen bleibt, hab'' überhaupt kein Interesse daran, nur es könnte sein, daß es meinen Sachen eher widerfährt.
SPIEGEL: Also Sie finden Peter Steins Theater wie eine Kirche ...
BERNHARD: Das ist kein Theater für mich, was der Stein macht, Samt, Seide, Purpur, das sind Kirchenrequisiten. Das ist, wie sagt man?
SPIEGEL: Sakral?
BERNHARD: Sakral. Das hat mit Theater überhaupt nichts zu tun.
SPIEGEL: Was war denn, als Ihr »Ignorant und der Wahnsinnige« in Salzburg gespielt werden sollte und man sogar die Notbeleuchtung während der Vorstellung ausmachen sollte, weil sie die Aufführung angeblich zu stören drohte. War das auch Kirche?
BERNHARD: Das habe ich nicht mitbekommen, weil ich nicht Zeuge dieser Sache war.
SPIEGEL: Aber das geschah doch auf Ihren Wunsch mit?
BERNHARD: Nein, das hat sich so irgendwie ergeben bei denen, die es gemacht haben. Ich habe keinen Einfluß gehabt, nur war ich logischerweise auf der Seite derer, die dort letzten Endes betrogen worden sind.
SPIEGEL: Gehen Sie denn gern ins Theater? Und wo gehen Sie ins Theater?
BERNHARD: Ich gehe einmal im Jahr ins Theater und dabei in mein S.182 eigenes Stück. Und das ist natürlich auch nicht mehr mein eigenes, weil es durch die Schauspieler und den Regisseur zu deren Stück gemacht worden ist, letzten Endes. Es hat zwar meinen Titel, die Personen heißen so, wie ich sie genannt habe, aber schon, was sie sprechen, ist im Grund so völlig abgehoben von dem, was sie von mir aus gesprochen hätten oder gesprochen haben.
SPIEGEL: Also ist es bereits schlechter geworden ...
BERNHARD: ... das würde ich nicht sagen, es kann unter Umständen viel besser sein, aber es ist anders. Es ist anders und ist auch irgendwann eine große Enttäuschung und eine grobe Verfälschung, was bei der Prosa nicht passieren kann, denn da ist nichts mehr zu ändern. Zwar wird auch da ununterbrochen verfälscht. Ich meine: Nur der Titel bleibt zufällig derselbe.
SPIEGEL: Wie wäre es mit einem Theater, für das Sie schreiben, das Sie selbst inszenieren und bei dem Sie Ihr eigener Zuschauer sind?
BERNHARD: Das wäre mir unendlich langweilig, und das wäre mir wirklich zum Kotzen.
SPIEGEL: Aber das wäre doch das Ideale, Sie wären nicht enttäuscht.
BERNHARD: Vorerst wäre ich von mir mal enttäuscht.
SPIEGEL: Können Sie sich überhaupt enttäuschen?
BERNHARD: Ich bin jeden Tag maßlos enttäuscht. Im Moment, im Augenblick immer.
SPIEGEL: Was hält Thomas Bernhard von seinem Publikum, von seinen Lesern?
BERNHARD: Ich kenne es gar nicht und will es auch gar nicht kennen.
SPIEGEL: Da gibt es keine Ausnahmen?
BERNHARD: Wenn das solche sind wie die, wie heißt sie, Ria Endres,
( Ria Endres: »Am Ende angekommen. ) ( Dargestellt am wahrhaften Dunkel der ) ( Männerporträts des Thomas Bernhard«. ) ( Collection S. Fischer. )
die über mich geschrieben hat, na ja, das hat auch einen Sinn, die hat ihren Doktor gemacht, die hätte das auch über einen anderen machen können, aber da war zufällig ich da.
SPIEGEL: Ria Endres hat Sie als Male-Chauvinisten, als Frauen-Verächter dargestellt. Und in der Tat sind Ihre Frauen die dummen, unterwürfigen Opfer tyrannischer Männer.
BERNHARD: Es gibt auch in Wirklichkeit viele Frauen, die glücklich sind, wenn sie nur die Kotze von sozial Benachteiligten aufwischen dürfen. Für die Probleme von Ria Endres bin ich nicht verantwortlich. Wahrscheinlich wäre ihr geholfen, wenn sie, meinetwegen, nach Mexiko ginge und sich nackt auf einen Berg setzte. Aber es ist schön, daß sie mit mir ihren Doktor machen konnte.
SPIEGEL: Wenn Sie schon die Welt nicht verbessern, verhelfen Sie doch beispielsweise Frau Endres zum Doktortitel.
BERNHARD: Man hilft vielen Leuten zur Beschäftigung und, wie es so schön heißt, zu Brot und Wasser. Bühnenarbeitern, Druckern, Papierfabrikanten. Es ist nicht nur so, daß alles, was man macht, in der Luft hängt.
SPIEGEL: Wir haben jetzt also herausgekriegt, Sie schreiben, weil Sie schreiben müssen, aber schreiben eigentlich für niemand.
BERNHARD: Muß -- müssen -man muß gar nichts, doch, ich muß essen, trinken, und man muß das Essen und Trinken einfach wieder verschwinden lassen, das muß man, alles andere muß man nicht, wahrscheinlich muß man überhaupt nichts, aber es ist eine Vorliebe, eine Leidenschaft, würde ich sagen, man könnte sie auch abbrechen.
SPIEGEL: Sie haben gesagt, Sie stehen unter Druck, solange Sie schreiben, bis Sie fertig sind. Und wenn Sie fertig sind, stehen Sie unter Druck, weil Sie nicht unter Druck stehen.
BERNHARD: Der Schriftsteller steht natürlich immer unter Druck, was ja mit Drucken und Druckern zusammenhängt -- aber das war jetzt auch wieder kokett.
SPIEGEL: Können Sie von Ihrem Schreiben leben, gut leben?
BERNHARD: Also, ich lebe so, wie ich will.
SPIEGEL: Und haben Sie damit rechnen können, als Sie anfingen zu schreiben?
BERNHARD: Nein, ich habe mit nichts gerechnet. Ich war sehr berechnend, aber ich habe mit nichts gerechnet.
SPIEGEL: Der Erfolg, befriedigt er die Eitelkeit oder befriedigt er sie nicht? Gehört Erfolg dazu zum Schriftstellerleben, braucht man das?
BERNHARD: Wenn man Erfolg hat, soll man nicht fragen, was das ist. Also auch einen, der keinen hat, soll man das auch nicht fragen.
SPIEGEL: Kann man Sie fragen, ob es Ihnen Spaß macht, Erfolg zu haben?
BERNHARD: Mir macht es großen Spaß. Mißerfolg find'' ich scheußlich, obgleich der Mißerfolg nützlicher ist als der Erfolg.
SPIEGEL: Also der Erfolg macht Spaß, aber einen Preis wollen Sie nicht haben. Ist das logisch?
BERNHARD: Der Preis hat mit Erfolg bei mir nichts zu tun, das sehe ich nicht als Erfolg an, daß irgendwelche Leute irgendwo aus irgendeinem Grund aus Berechnung irgend so was ausschlachten, indem sie einen Preis geben, wo ist da der Erfolg?
SPIEGEL: Wie messen Sie denn den Erfolg?
BERNHARD: Erfolg wäre, wenn ich mein Manuskript einem Verleger schicke und der nicht lang fragt; er setzt es, druckt es, das finde ich eigentlich schon den ganzen Erfolg.
SPIEGEL: Also Publizieren würde Ihnen wirklich genügen, das wäre egal, ob das 200 oder 200 000 Exemplare sein würden?
BERNHARD: Es würde mir genügen, möglichst korrekt mit möglichst wenig Druckfehlern, möglichst einfach, ohne graphische Kinkerlitzchen gedruckt zu werden. Und daß ich leben kann. Alles andere brauch'' ich nicht. Das ist mir eher immer grauslich, was nachher kommt.
SPIEGEL: Herr Bernhard, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
S.172Mit Redakteuren Erich Böhme und Hellmuth Karasek.*S.174Mit Edith Heerdegen und Bernhard Minetti.*S.178Peymann-Inszenierung (1972) mit Bruno Ganz, Angela Schmid und UlrichWildgruber.*S.180Mit Traugott Buhre, Kirsten Dene und Eleonore Zetzsche.*S.182Ria Endres: »Am Ende angekommen. Dargestellt am wahrhaften Dunkelder Männerporträts des Thomas Bernhard«. Collection S. Fischer.*