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THEATER / SHAFFER Spiel, Satz, Sieg

aus DER SPIEGEL 29/1970

Der Detektiv-Roman«, so spricht der Kriminalschriftsteller Andrew Wyke, »ist die normale Erholung edler Geister.«

Dann macht er sich noch einen Spaß und verleitet den jungen Kaufmann Milo -- »Ich höre, Sie wollen meine Frau heiraten« -, ihm Weib und Juwelen zu rauben. Am Ende liegt Milo tot auf dem Teppich.

Dies Kriminal-Spiel hat der englische Autor Anthony Shaffer, 44, ersonnen, der bisher vorwiegend durch politische Stücke, TV- und Filmscripts über Adolf Eichmann, Polizeistaat und das antike Judenmassaker bei Masada bekannt geworden war. Und Gesellschaftskritik hatte er auch bei seinem Bühnenstück »Sleuth« (deutsch etwa »Schnüffler") im Sinn.

Shaffer wollte die Erfolgsschriftstellerin Agatha Christie« 78, attackieren, die seit Jahrzehnten unverdrossen das glückliche alte England beschreibt. eine Welt der begabten, dünkelhaften Dilettanten aus besseren Kreisen. Auch in ihrer »Mausefalle«, die in London schon seit 18 Jahren gespielt wird, findet Shaffer »noch immer ein Gesellschaftsideal von vorgestern«.

Doch der Kritiker ist nun selbst in die Mausefalle des Erfolgs geraten. Seit Februar ist das Londoner St. Martin"s Theatre, wo sein Thriller gespielt wird, regelmäßig ausverkauft. In der kommenden Saison wird das Stück in 14 Sprachen von New York bis Istanbul, auch in Deutschland, inszeniert. Schon wird »Sleuth« zu den »besten Detektivstücken des 20. Jahrhunderts« gerechnet, die für eine amerikanische Anthologie ausgewählt worden sind.

Mit Grund: Das Zweipersonenstück« in dem die Partner wie in einem Tennismatch um »Spiel«, »Satz« und »Sieg« kämpfen, ist wirklich spannend und raffiniert gemacht, und das Publikum wird immer wieder gefoppt:

Zum Aktschluß vor der Pause stellt Wyke den Kontrahenten Milo beim Inszenierten Juwelenraub und feuert frohlockend -- auf Einbrecher darf man schießen -- einen Revolver ab. Mit Platzpatronen. Und das Stück endet, ohne daß drei im Personenverzeichnis aufgeführte Darsteller, deren Lebensläufe im Programmheft stehen, jemals auf die Bühne gekommen wären. »Wenn das Publikum glaubt, es tritt noch jemand auf«, sagt Shaffer, »so erhöht das die Aufmerksamkeit.«

Mit solchen Tricks ist es dem Autor, der grundsätzlich »gegen das Detektivstück gar nichts hat«, wahrhaftig gelungen, einen klassischen Reißer zu schreiben. Seine Anti-Christie-Kampagne führt er so nebenbei.

»Der einzige Ort, an dem Sie leben können«, hält Shaffers Mile seinem Feind, dem Kriminalschriftsteller, vor, »ist eine Welt der Kälte und des Klassenhasses.« Er hat erkannt: »Der Detektiv-Roman ist die normale Erholung für versnobte, verkalkte, das Leben hassende, unedle Geister.«

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