Sport und Hohn mit schönen Hexen
Unter den Leuten, die quiekend vor Vergnügen im »Theatron« hockten, saß einer, der sah streng hin. Er kam vom Amt für öffentliche Ordnung und war um dieselbe sehr besorgt.
Denn in der Arena-Bühne am Olympia-Tümpel kapriolte der »Grand Magic Circus«, die verwegene, virtuose Theatertruppe des Franzosen Savary, verhohnepipelte den Olympia-Papa Coubertin und seine Sportgeburt, ließ Affen tanzen und Athleten protzen, und einer zog dabei stets, künstlerische Freiheit, die Hosen runter.
Noch blieb der Hosen-Fall ohne Folgen, doch mickriger Argwohn hat sie stets begleitet: Die »Spielstraße«, die heitere Kunst-Kirmes zum nationalen Medaillen-Koller, war den Olympiade-Kameraden nie geheuer.
Sie war einmal, in der künstlichen Landschaft aus heroischen Hügeln und alpinem Zelt-Schwung, ganz groß geplant. Doch Angst vor Hasch-Brüdern und Polit-Protestlern ließen Platz und Budget schrumpfen. Es blieb bei putzigen 2,6 Millionen Mark, beim »Theatron« und 300 Metern Uferkante.
Dort läuft sie, auf knochenbrecherischem Schotter, schon eine Woche, als gigantische Wurstelei zwischen murkeligen Garderobebuden, Krach-, Duft- und Multimedia-Maschinen, und sie ist, bei Zeus und abgetretenen Zehen, ein Kunst-Spaß-Festival sondergleichen.
Denn von zehn bis zehn wird Kunst da als Volkssport betrieben, ohne Sockel, Rahmen oder Rampe; vielmehr als Bazar, Luna-Park und Trubel-Prozession, und alles überdies zum Nulltarif.
Mitmachen ist erwünscht. Mit der »Metallophonie« des Architekten Göhl, 35, einem aus Schrott geschweißten Monsterschlagzeug, spielen meist Kinder. Ängstliche mit strengen Eltern hämmern da wie wahnwitzig; andere, gelassene, streicheln die Gebilde.
Herr Kudo, 37, japanischer Verwesungs-Plastiker, weckte Aggressionen gegen sich selber. Er wollte. Umweltverschmutzung anprangernd, einen Käfig mählich mit Schaum füllen und den Insassen, einen Buchfinken, bedrängen. Das Tier wurde gerettet; Herr Kudo beschäumt jetzt grünliche Phalli.
Über hundert bildende, musizierende, jonglierende, zaubernde und kuriose Künstler werkeln so durcheinander. Favoriten freilich sind die sieben internationalen Straßentheater-Truppen; ihr Programm ist Sport und Hohn.
Sie glossieren, nach dem Konzept des Berliner Theaterdirektors Frank Burckner, Olympiaden vom Altertum bis anno 2000. Ein Höhepunkt sollte Berlin 1936 sein, dargestellt von der Truppe des Römers Mario Ricci. Doch der Punkt war dem OK zu heikel,
So wurde Ricci nach Los Angeles 1932 abgedrängt, was ihn, einen fröhlichen Linken, wenig verstörte. Er behielt das Berlin-Szenario, malte statt Hitler aber Al Capone an die Wand, und das begehbare Schluß-Labyrinth aus grauen Pappkartons symbolisiert nun statt des Führer-Bunkers eine Börse. Veni, vidi, Ricci.
Programmhinweise bekam auch Michael Meschke, Chef des Stockholmer »Marionetteatern«. Er belebt, in einer hinreißenden Kasperletheater-Version, die Stockholm-Olympiade 1912, mit kriegslüsternem Kaiser Wilhelm, warnendem Liebknecht und einem bayrisch räsonierendem Kasperl.
Dieser sollte nun auch, in einer vorausschauenden Szene, einen mit Macht und Marschmusik herandrängenden F. J. Strauß verprügeln; von einer »Dame am Telephon« ließ Meschke sich diese Vision wieder ausreden.
Noch weiter voraus schaut der Berliner Burckner, der zum Straßentheater-Konzept auch Olympia 2000 kreiert hat: Beraten und begleitet vom Futurologen Robert Jungk, landstörzt eine lumpenproletarische Wanderbühne in eine Zukunft voll Apotheken und Apokalypsen; am Ende ruft Jungk die Jugend der Spielstraße -- zur Diskussion.
So brechtisch-didaktisch mag der Japaner Shuji Terayama, 38, mit seiner »Tenjo Sajiki«-Truppe nicht sein. Er jagt ein Rudel schöner Nippon-Hexen in ein ekstatisches Terror-Spiel, läßt, zu lasziver Ritual-Musik, peitschen, tanzen und vergewaltigen und dann alles in eine Friedens-Feier münden.
Terayama, ein gebeugt einhergehender Kraftmensch, ist Japans Theater-Hurrikan; erst auf dem Flug nach München hat er das Spiel entworfen, Mit dem Hexen-Sabbat bebildert er die Olympiade 1968 in Mexico City -hauptsächlich das Massaker an protestierenden Studenten. Auch Schillers »Bürgschaft«, in Japan als Kurzgeschichte erschienen, habe er, sagt er, mit eingebaut. Über Deutschland hat er sich in Enzensbergers japanisch publiziertem Buch »Deutschland, Deutschland unter anderem« informiert; es stimme alles.
Die Idee, Top-Truppen als Olympia-Kommentatoren zu laden, bewährt sich also glänzend. Als Stil-Modenschau ist kaum ein Festival farbiger, und Polit-Aktualität spiegeln die Spiele natürlich auch.
»Unser Thema ist der Vietnamkrieg«, sagt Marketa Kimbrell, Prinzipalin des fulminanten »New York City Street Theater«. Sie spielt mit ihren Leuten, Ex-Häftlinge und Prominenten-Kinder, die erste Griechen-Olympiade, mit einem vertrottelten Zeus. massakrierenden Militärs und armen Leuten hinter Vietnamesen-Masken.
Marketa Kimbrell, slawisches Schwerblut, bei Prag geboren, als Kind in deutschen Lagern, war Hollywood-Aktrice. Jetzt zieht sie mit ihrer Truppe in Slums, Gefängnisse und Indianer-Reservate. Sie nimmt nicht schwer, was andere »Spielstraßen«-Künstler drückt:
Die meisten sind, weil Olympia-Randfiguren, wie Pfadfinder in Schulklassen einquartiert, zum Dutzend in einem Raum, im Liebesleben behindert, in den Bade-Möglichkeiten beschränkt. Die Formen bleiben dennoch gewahrt.
Denn auch wenn nackt auf dem Weg zur Brause, begrüßt Herr Terayama Damen mit Verbeugung.