
Missglückte Sprache Hört auf, Vergewaltigung als Metapher zu benutzen!


Komiker Hallervorden: Sprache entwickelt sich »nicht von oben herab auf Befehl«
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Wenn Männer, die im letzten Jahrhundert als lustig galten, sich zu feministischen Themen äußern, müsste man eigentlich nur eine Meldung daraus machen, wenn sie etwas Fortschrittliches sagen. Im Sinne von: »Hund beißt Mann« ist keine Nachricht, »Mann beißt Hund« ist eine. »Dieter Hallervorden: Das Gendern ist eine Vergewaltigung der Sprache« – das war eher eine Nachricht der Sorte »Hund beißt Mann«. Aber schauen wir sie uns trotzdem an.
Der Komiker Dieter Hallervorden hat bei der Vorstellung eines Theaterprogramms zum Thema Gendern erklärt, er werde in offiziellen Texten des Theaters nicht geschlechtergerecht gendern, »alles, was vonseiten des Theaters herausgegeben wird, wird nicht dazu dienen, die deutsche Sprache zu vergewaltigen.« Sprache würde sich »nicht von oben herab auf Befehl« entwickeln, das habe es »einmal von den Nazis und einmal von den Kommunisten« gegeben, aber bei ihm halt nicht.
Das kommt nicht überraschend. Hallervorden (»Palim Palim... ich hätt gern ne Flasche Pommes Frites«) ist im »Verein Deutscher Sprache« (VDS), das ist ein Klub, der regelmäßig mit Forderungen wie »Schluss mit dem Gender-Unfug!« auftritt und den Stefan Niggemeier mal als »eine Art Sprach-Pegida« bezeichnet hat: »Mit heiligem Ernst versuchen sie, die deutsche Sprache gegen den Ansturm fremder Wörter zu verteidigen.«
Nun ist Hallervorden nicht der Erste, der die Metapher »Vergewaltigung« benutzt. Man kann im Großen und Ganzen die Regel aufstellen: Je weniger jemand sich tatsächlich gegen sexualisierte Gewalt engagiert, desto genialer wird er oder sie die Metapher »Vergewaltigung« finden.
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär erklärte zum Frauentag 2019, mit Binnen-I und Gendersternchen werde die Sprache »verhunzt und vergewaltigt«. AfD-Politiker Jörg Meuthen forderte 2018 : »Vergewaltigung der deutschen Sprache verhindern!« – Und erklärte auch direkt, was er meinte: »Wir werden nicht zulassen, dass die Verfechter einer vorgeblichen politischen Korrektheit unsere Muttersprache zugrunde richten und die Schönheit und Vielfalt unserer Sprache zerstören.«
Sprache wird auffällig oft »vergewaltigt«, auch beim ehemaligen Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus (auch VDS-Mitglied), auch bezüglich geschlechtergerechter Sprache – manchmal aber auch ganz nebenbei, etwa wenn es im Deutschlandfunk Kultur heißt, ein Autor »nimmt sich die verschliffene, missbrauchte und vergewaltigte Sprache vor und zerlegt sie« oder bei der »Süddeutschen Zeitung« : »Am Ende vergewaltigt Heidi Klum dann doch noch mal das Plusquamperfekt. ›Ihr wart wirklich super gewesen‹, ruft sie (...).«
Oft unnötig und manchmal besonders ekelhaft
Manchmal ist es nicht die Sprache, die »vergewaltigt« wird, sondern etwas anderes: Beim Düsseldorfer Karneval 2017 gab es eine Figur von Donald Trump, der die vor ihm kniende Freiheitsstatue vergewaltigt. Und es ist kein neues Phänomen: beim Philosophen Georg Lukács wurde auch mal so was wie eine Ideologie »vergewaltigt« (1970) und beim Soziologen Georg Simmel die Großstadt (1903). Und einmal stand ich neben einem Architekten in einem Gebäude, das umgebaut worden war und er stellte fest, dass man mit einer neu eingezogenen Wand aus einem großen Zimmer zwei kleine gemacht hatte. Er schaute sich entsetzt um und sagte: »Das hier ist ein vergewaltigter Raum.«
Nun könnte man natürlich sagen: Klar, man kann eine Sache nicht wirklich vergewaltigen, aber das sind alles Metaphern, das kann man machen. Man verwendet ja auch in anderen Kontexten Bilder, die ursprünglich etwas mit Gewalt zu tun haben: Am Wochenende haben wir alle das »Triell« zur Bundestagswahl gesehen, wo aber gar nicht geschossen wurde.
Leute sprechen von »Genderkrieg« (komplett bescheuert, schon mal erklärt) oder von der »Diktatur« von irgendwas, oder Journalist_innen benutzen »Zwangsehe« als Metapher für Koalitionen von Parteien. Immer soll etwas als krasser dargestellt werden, als es eigentlich ist. Das ist oft unnötig und manchmal besonders ekelhaft.
Wenn Vergewaltigung als Metapher verwendet wird, ist das Problem nicht nur, dass Vergewaltigung verharmlost wird: Es ist noch viel schlimmer. Denn es geht nicht nur darum, dass einer Sache Gewalt angetan wird, sondern darum, dass sie kaputt gemacht, entstellt und entwürdigt wird. Oder, wie man früher auch über vergewaltigte Menschen gesagt hat: geschändet.
Zwar schlägt sogar der Duden für »vergewaltigen« zwei möglich Bedeutungen vor: »jemanden durch Anwendung, Androhung von Gewalt zum Geschlechtsverkehr zwingen« oder »auf gewaltsame Weise seinen Interessen, Wünschen unterwerfen«. Die zweite Bedeutung kommt aber von der ersten.
Wenn Dorothee Bär sagt, Sprache wird »vergewaltigt« und »verhunzt«, wenn Jörg Meuthen sagt, Sprache werde »vergewaltigt« und damit ihre »Schönheit zerstört« – wann immer Menschen die Metapher »vergewaltigen« verwenden, meinen sie, dass etwas ursprünglich Reines entstellt, beschmutzt, entehrt wird. Sie könnten ja sagen: kaputt machen, zerstören. Sogar »missbrauchen« würde noch gehen, denn man kann alles Mögliche missbrauchen. Dann müssten sie aber sagen, zu welchem Zweck, und es würde komplizierter werden.
Also sagen sie: vergewaltigen. Weil klar ist, dass Vergewaltigung ein besonders schlimmes Verbrechen ist. Die ganze Metapher funktioniert überhaupt nur, weil es immer noch den Mythos gibt, dass eine Frau, die vergewaltigt wurde, danach irgendwie nicht mehr die ist, die sie mal war, dass sie irgendwie kaputt ist. Und natürlich stimmt es, dass man nach einer Vergewaltigung traumatisiert sein kann. Dass man sich entwürdigt und beschmutzt fühlen kann. Betonung auf »kann«. Man ist dann aber nicht notwendigerweise zerstört.
Aber solange Menschen »vergewaltigen« als Synonym für »kaputt machen« benutzen, muss man sich nicht wundern, wenn Menschen, die vergewaltigt wurden, sich schämen und sich nicht trauen, zu sprechen, und das Gefühl haben, sie werden das Opfersein nicht mehr los. Und deswegen ist diese Metapher – Achtung, noch eine Metapher – kompletter Müll.