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PFARR-KINO St. Maria Rosenkranz

aus DER SPIEGEL 4/1952

Die Verbände der Filmverleiher und Filmtheaterbesitzer in Nordrhein-Westfalen reagieren frostig, wenn der Name »Regina-Lichtspiele« fällt. Das Vorstadtkino in Essen-Bergeborbeck, Haus Bergestraße 231 d, scheint ihnen den Einbruch klerikaler Konkurrenz in ihre weltliche Filmdomäne anzukündigen: Inhaber der »Regina-Lichtspiele« ist der katholische Pfarrer Rosendahl, der das Kino in der einen Hälfte seiner Pfarrkirche St. Maria Rosenkranz eingerichtet hat. In der anderen Kirchenhälfte liest er die Messe.

Das Hauptportal an der Westseite, das früher die Gläubigen aufnahm, ist heute mit Schaukästen garniert und dient als Eingang zum Regina-Kino. Unter dem Glockenturm hat sich der Vorführer installiert. Im Inneren gemahnt außer einem Harmonium, das neben der Leinwand steht, nichts mehr an die kirchliche Provenienz.

Daß Kino und Kirchenraum unter einem Dach unmittelbar aneinandergrenzen, wirkt nach Ansicht des Pfarrers nicht weiter störend. »Es ist ja eine dreifache Trennwand aus Heraklithplatten und Steinen dazwischen!«

Die sittliche Entrüstung über die »Entweihung« einer halben Kirche kam, ganz unerwartet, nicht von klerikaler, sondern weltlicher Seite. Essens Theaterbesitzer empörten sich in einer Resolution: »Wir protestieren dagegen, daß in Essen ein Filmtheater errichtet wurde, welches von der katholischen Kirche betrieben wird ... Wenn dieses Unternehmen nicht an einen Gewerbetreibenden verpachtet wird, müssen wir uns weitere Schritte vorbehalten.«

Grundsätzliche Erwägungen führte Heinrich Kempken, der im Nachbarvorort Borbeck selbst ein Kino betreibt und Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsverbandes der Filmtheater ist, ins Feld: »Es geht nicht an, daß die Kirche gewerbliche Filmtheater unterhält. Nächstens läßt sie noch jeden Gläubigen eine alte Schraube mitbringen und fängt einen Schrotthandel an.«

Bei seinen telefonischen Versuchen, Pfarrer Rosendahl zur Uebergabe seines Kinos an einen weltlichen Pächter zu bewegen, stieß er jedoch auf entschiedene Ablehnung: »Immerhin haben wir heute Demokratie und Gewerbefreiheit, und ich kann als Privatmann ein Kino aufmachen wann und wo ich will.«

In kurzer Zeit hatte Pfarrer Rosendahl die Grundlage für sein Kino-Unternehmen geschaffen. In dem zu 95 Prozent zerstörten Bergeborbeck, dessen Einwohner als Arbeiter und Bergleute der Zinkhütte und Kruppzechen zur ärmsten Pfarre des Reviers zählen, sammelte er bei Industrie, Privatleuten und durch Kollekten erst einmals 130 000 DM für den Wiederaufbau der roten Backsteinkirche St. Maria Rosenkranz. Am 1. Oktober 1950 wurde die Kirche, dank der tatkräftigen Mithilfe freiwilliger Bautrupps, bis zur bereits eingeplanten Kinotrennwand eingeweiht.

Am 4. Mai 1951 übergab Pfarrer Rosendahl dann auch die zweite Kirchenhälfte ihrer

weltlichen Zweckbestimmung. Das kleine, schmucklose Kino mit 270 Sitzplätzen, für das Rosendahl 25 000 DM zusammengekratzt hatte, war - wie die Borbecker Lokalpresse nachträglich bemerkte - »ganz in der Stille entstanden«. Für Einsprüche von außen war es bereits zu spät.

Kirchlicherseits konnte Rosendahl genügend Atteste für sein nebenamtliches Gewerbe aufweisen. So hatte Prälat Dr. Böhler, Referent für Filmfragen bei der Erzdiözese Köln, versichert: »Wir würden es für verkehrt halten, wenn wir grundsätzlich auf die Möglichkeit verzichteten, daß auch Pfarreien Träger eines Filmtheaters sein könnten.«

Nach Aussage Rosendahls hat selbst Erzbischof Dr. Berning, Referent für Filmfragen bei der Fuldaer Bischofskonferenz, geäußert: »Die Kirche hat das Recht, auch Lichtspieltheater einzurichten.« Verhaltungsmaßregeln habe die Kirche ihm nicht gegeben, sagt Rosendahl. Direktor Anton Kochs, Leiter der kirchlichen Hauptstelle für Bild- und Filmarbeit in Köln, habe ihm lediglich geraten: »Fangen Sie sofort an und machen Sie es gleich richtig, damit Sie von der technischen Seite her keine Schwierigkeiten haben.«

Rosendahl selbst wartete, um die Existenzberechtigung seines Kinos zu untermauern, gleich mit mehreren Argumenten auf:

* Hier habe man endlich eine Garantie, nur wirklich gute Filme zu zeigen;

* hier könne er, der Pfarrer, selbst dafür sorgen, daß Jugendliche nichts Unrechtes zu sehen bekämen;

* die armen Arbeiter könnten das Geld sparen, um nach Borbeck ins Kino zu fahren;

* und schließlich: »Wenn wir das Kino nicht abgeteilt hätten, hätten wir die große Kirche im Winter niemals warm gekriegt.«

Da dem Pfarrer mit rechtlichen Einwänden nicht beizukommen war, legte sich Kempkens Wirtschaftsverband der Filmtheaterbesitzer auf die Lauer, um abzuwarten, daß der Kinobesitzer Rosendahl mit dem Geistlichen Rosendahl in Konflikt kommt.

Damit hatte man mehr Erfolg. Es erwies sich nämlich bald, daß der Kinobesitzer Rosendahl vom Publikumserfolg ethisch geläuterter Filme genau so wenig überzeugt war wie seine weltlichen Kollegen.

Denn es liefen in den »Regina - Lichtspielen« Filme, die dem Pfarrer viel Sympathie für sein offensichtliches Verständnis diesseitiger Ablenkungen eintrugen.

Verbandsvorsitzender Kempken fand, daß auch die Zeitungsanzeigen der »Regina-Lichtspiele« ("Ueberfall der Ogalalla« - ein spannender Wildwestfilm!!!) kaum geeignet seien, eine Renaissance seriöser Filmwerbung einzuleiten. Außerdem entdeckte er auf dem Spielplan des »Kinos in der Kirche« Filme, gegen die das »Handbuch der katholischen Filmzentrale Deutschlands« Vorbehalte hatte.

Im Handbuch werden alle durch die Selbstkontrolle sanktionierten Filme nach »ihrem sittlich-religiösen Wert« eingestuft, wobei man von der Ueberzeugung ausgeht, daß »die Grundsätze der Freiwilligen Selbstkontrolle sehr weit gefaßt sind und immer die Möglichkeit besteht, daß sich die Entscheidungen nicht mit den Forderungen eines ernsten christlichen Gewissens decken«.

In der Wertskala des Handbuches bedeutet die Ziffer 2 = Filme geeignet für Erwachsene (nicht für Jugendliche), E = Einschränkungen, Vorbehalte gegen einzelne Szenen oder gegen Tendenzen des Films, EE = erhebliche Einschränkungen, Film

setzt Reife und Urteilsfähigkeit des Besuchers voraus.

Pfarrer Rosendahl spielte unbekümmert 2 E ("Ledige Mütter«, ein Film um den Paragraphen 218), ja sogar 2 EE ("Karawane zur Hölle") und auch 2 E-Filme in Jugendvorstellungen ("König der Toreros").

Essens Theaterbesitzer waren wirklich böse. Immer hatte die Kirche an ihnen etwas auszusetzen gehabt; jetzt waren sie es leid. »Es kann von uns nicht erwartet werden, daß wir uns dem 'kirchlichen Filmdienst' unterwerfen, wenn selbst die Pfarrer ihn nicht respektieren!«

Pfarrer Rosendahl fand diese Kritik kleinlich. »Herr Kempken und sein Verband sollen doch nicht katholischer sein als mein Bischof und ich. Unsere religiösen Interessen vertreten wir schon alleine.« Außerdem sei das »Handbuch der katholischen Filmzentrale Deutschlands« kein Dogma, sondern stelle letztlich die Entscheidungen in das Ermessen des einzelnen. »Warum dann überhaupt Katholischer Filmdienst?« fragt Kempken. Er war überhaupt der Meinung, daß Rosendahls Kino ein unschickliches Maß von Weltlichkeit entwickele.

Pfarrer Rosendahl: »Warum soll ich keine Wildwestfilme spielen? Wenn ich nur fromme Filme bringe, kommt kein Mensch. Film ist doch letzten Endes Unterhaltung.« Wenn er auch nicht immer nur positive religiöse und ethische Werte vermittele, so sei es doch schon ein Fortschritt, wenn in seinem Kino wenigstens keine schlechten Filme gezeigt würden. »Schließlich haben wir ja noch die Kirche, wo tiefreligiöse Themen behandelt werden.«

Und: »In fast jedem Film ist ja heute 'ne Kleinigkeit, die zu beanstanden wäre. Aber man muß mit der Zeit mitgehen. Zum Beispiel, Rita Hayworth, oder wie sie heißt, hat in 'König der Toreros' eine Szene, die ist ja ziemlich frei, aber anständig ist sie immer noch.«

Angesichts der Fragwürdigkeit, Pfarrer Rosendahl durch moralische Bedenken zu irritieren, zogen sich die weltlichen Kinokonkurrenten wieder auf ihre Ausgangsbasis grundsätzlicher Erwägungen zurück. Unterstützt wurden sie hierin vom Verband der Filmverleiher, Düsseldorf.

So geschah es plötzlich, daß Pfarrer Rosendahl bei einigen Verleihern, mit denen er bereits abgeschlossen hatte, Abfuhren bekam: Man könne ihm keine Filme liefern, der Vertrag sei unter falschen Voraussetzungen zustande gekommen. Damit sollte gesagt werden: Man habe nicht gewußt, daß es sich hier um ein kirchliches Kino handele.

Die Filmverleiher verfolgen nämlich schon seit einiger Zeit mit Sorge, wie die Zahl der sogenannten nicht- oder nebengewerblichen Filmtheater wächst. Industriebetriebe, Vereine, Kolpingfamilien, Pfadfinder und dann auch die Kirche machten plötzlich eigenes Kino im Saal, meist zu verbilligten Preisen. Die Aussicht, daß bei fortschreitender Entwicklung die Existenz der gewerblichen Kinobesitzer gefährdet werden könnte, bewog den Verband der Filmverleiher, sich selbst generelle Richtlinien zu geben. Danach ist es »mit der wirtschaftlichen Vernunft einfach nicht mehr zu vereinbaren, nichtgewerbliche Kinos mit Filmen zu beliefern«.

In puncto Kirche denkt der Filmverleih noch weiter. Er übersieht keineswegs die Einflußmöglichkeiten, die die Kirche durch weitere Kinos vom Typ Rosendahl im Filmgeschäft haben könnte. Schon heute nennt Pfarrer Rosendahl das Kind beim Namen: »Wir können das Filmschaffen nur beeinflussen, wenn wir einen Druck ausüben, indem wir gute Filme zeigen.«

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