LITERATUR Stadt der Extrem-Biografien
Es war einer der großen Literaturskandale der vergangenen Jahre, mit dem James Frey vor drei Jahren berühmt wurde. Er hatte ein Buch über einen Mann geschrieben, der sich aus einem Leben der Drogenabhängigkeit, des Verbrechens und der Gefängnisaufenthalte herauskämpft, und dieses als »autobiografisch« auf den Markt gebracht. »Tausend kleine Scherben« hieß es und wurde von der mächtigen Talkmasterin Oprah Winfrey in den Himmel gelobt - bis sich herausstellte, dass die Biografie größtenteils erfunden war. Die Wellen schlugen so hoch, dass der Verlag enttäuschten Lesern das Geld zurückzahlen musste. Trotzdem wurden sieben Millionen Exemplare verkauft.
Was tun, wenn der eigene Name Synonym für »Lügner« geworden ist? Frey versucht es andersherum. »Strahlend schöner Morgen«, sein neuer Roman, beginnt mit dem Satz: »Vorsicht: Dies ist keine wahre Geschichte.« Eine Art von Wahrheit möchte das Buch trotzdem erzählen: über Los Angeles. Geht das, diese Riesenstadt auf knapp 600 Seiten? Frey bietet vier Erzählstränge an. Ein Teenager-Pärchen, das auf der Flucht vor der Provinz in L. A. landet; ein Obdachloser mit Alkoholproblem und reiner Seele, er lebt am Strand; ein berühmter Schauspieler, der öffentlich hetero und privat schwul ist; ein Hausmädchen auf der Suche nach Erfüllung. Die Klammer, die sie zusammenhält, ist ihr Streben nach Glück und der Glaube, dass das in L. A. möglich ist - und sie rutschen alle auf der spiegelglatten Oberfläche ihrer Wünsche ab. Das ist schön erzählt, besonders die Liebesgeschichte des Teenager-Pärchens. Eines fehlt »Strahlend schöner Morgen« allerdings genauso wie »Tausend kleine Scherben": gesellschaftliche Normalität. Bei dem Bekenntnisbuch, auch wenn die Geschichte erfunden war, hätte sie keinen Platz gehabt. Ein Roman, der mit dem Anspruch auftritt, eine Stadt abzubilden, lässt aber Entscheidendes aus, wenn er sich nur auf Extrem-Biografien verlässt und die Bankangestellten und Car-Service-Betreiber ignoriert.
James Frey: »Strahlend schöner Morgen«. Aus dem amerikanischen Englisch von Henning Ahrens; Ullstein Verlag, Berlin; 592 Seiten; 22,90 Euro.