FILM Steak in der Pfanne
Die Belege seiner Verbrechen, sorgsam geordnet, verwahrt der Bösewicht in einer Stahlkassette im Bücherschrank, hinter der Bibel natürlich, wie sich das für einen Heuchler gehört. Er heißt Legagneur, der Gewinner, weil er, nicht nur als Fernseh-Quizmaster, gern spielt und sehr ungern verliert. Sein Gegenspieler nennt sich Wolf und tritt als Lamm im Wolfspelz auf, denn er heißt eigentlich Chevalier: Als edler Ritter hat er ein unschuldiges Herzchen namens Catherine Lecoeur aus den Fängen des Schurken zu retten.
Das Zimmer, in dem dieser das Mädchen auf seinem schloßartigen Landsitz gefangenhält, schmückt ein großer goldener Vogelkäfig. Er ist leer wie das Zimmer ansonsten auch, denn der Hausherr hat eine Allergie gegen Vögelchen, schon ihr Anblick löst bei ihm Erstickungsanfälle aus, deshalb muß er sie erwürgen. Wenn eine Leiche zu verstecken ist, bietet sich der Kofferraum eines rosaroten Cadillacs an, der geradezu einladend mitten auf einem Schrottplatz steht. Da kann auch der gutwillige Zuschauer nur sagen: Siehste.
Claude Chabrol ist kein Zeichenerfinder, viel lieber ein Spieler mit längst durchschauten Klischees: auch sein jüngster Film sieht idealtypisch aus wie ein Chabrol-Film und nichts anderes: Ein Psychokrimi auf künstlich abgegrenztem Terrain entfaltet Habgier, Verfressenheit und Verlogenheit des ach so guten Bürgertums. Daß da der Mord die bevorzugte Form der Konfliktlösung ist, ergibt sich kaum aus der Mentalität dieser Gesellschaft, doch zwingend aus den Spielregeln des Genres - Verbrechen haben den höheren Kunst vert. Der Titel »Masken« ist so bewußt durchsichtig wie die Namen der Akteure, und der Käfig darf ruhig leer sein, weil nur die Oberfläche gilt: Chabrol kehrt mit geradezu triumphierender Eleganz hervor, daß nichts dahinter ist.
»Masken« ist, Fernseharbeiten eingerechnet, mindestens Chabrols Opus 50; soviel wie er, der sich gern seiner Faulheit rühmt, hat wohl in den letzten 30 Jahren kein anderer Filmregisseur gedreht. Er hat eingestandenermaßen immer noch lieber billigen Quatsch als überhaupt nichts gemacht und Gelegenheits-Aufträge (ob »Fantomas« oder Goethes »Wahlverwandtschaften") nicht verschmäht: Er filmt einfach zu gern, weil er bei diesem Spiel - als Autor Herr über seine Geschöpfe, am Drehort Herr über seine Kunstwelt - der Allmächtige ist. Chabrol verliert nicht gern.
Früh hat er den Typus des gutbürgerlich gepflegten, kühl abgekarteten Psychokrimis a la Chabrol entwickelt und auf Hochglanz gebracht, und der heftige Zickzack seiner Karriere hat ihn immer wieder in dieses Genre zurückverdonnert: Fluch des Spielers, daß man es ihm nicht abnimmt, wenn er es doch einmal ernst meint. Seine Versuche, immer wieder, etwas ganz anderes zu machen, waren jedesmal Mißerfolge, zumindest nach außen hin, zuletzt die vierstündige TV-Version von Simone de Beauvoirs Resistance-Roman »Le sang des autres« und der bretonische Bauernfilm »Le cheval d''orgueil«, und jedesmal nach solchen Schlappen hat er in den Gehäusen seiner mit Ironie polierten Mörderspiele Genesung gesucht. Daß es dabei ernstlich um die »Lebenslüge« gehe, wäre geprahlt, und mit dem Verlangen nach Logik darf man ihrer blendenden Konstruktion nicht auf den Zahn fühlen: Sie bereiten dem Publikum, so auch jetzt wieder »Masken«, schöne und sichere Deja-vu-Erlebnisse.
Rainer Werner Fassbinder, in seinem Chabrol-Essay, _(In »Claude Chabrol«. Carl Hanser Verlag, ) _(München; 292 Seiten; 34 Mark. )
hat diese Filme als »fatalistisch, zynisch und menschenverachtend« beschimpft, sogar als »gefährlich«, mit einer Wut, in der viel Fassbinderscher Selbsthaß steckte: Er sah in Chabrol, was ihn als Filmemacher selbst gefährdete .
Chabrols »Zynismus« besteht darin, daß er mit offenen Karten spielt. »Man soll nicht schlauer sein wollen als das Steak, das man in der Pfanne hat«, heißt eine Maxime seiner kinematographischen Kochkunst. Er schämt sich nicht, zu bekennen, daß er gut schläft, keine Alpträume hat und leidenschaftlich gern ißt. Kein Chabrol-Krimi ohne Kochrezept, und die Feinschmecker sind immer die Schurken. Die Katastrophen, die einen Ausdruck von Panik und nacktem Entsetzen auf das Gesicht des »Masken«-Spielers Legagneur jagen, sind ein verbrannter Braten oder ein Bordeaux, der nach Korken schmeckt.
Diesem Legagneur, dem genüßlichen Zyniker, den Philippe Noiret sehr genüßlich spielt, hat Chabrol selbstironisch über die Schlemmlust hinaus ein paar eigene Züge angeschminkt: Legagneur ist, wie Chabrol, ein Apothekersohn aus der Provinz, der in Paris Karriere gemacht hat; er ist ein Show-Business-Liebling, der unter dem Vorwurf leidet, seine Kunst ziele bloß darauf, das Publikum zu verscheißern; der Film zeigt ihn damit beschäftigt, ein Buch über sich zu produzieren, indem er einem Ghostwriter Tonbänder vollschwatzt (das Buch über sich, das Chabrol so gemacht hat, heißt, frei nach Galilei, als wäre er selbst die Welt: »Und ich drehe mich doch"); und Legagneur, die Augen feucht von Krokodilstränen, bekennt sich einer Haltung schuldig, die Chabrol lächelnd eingesteht: daß er die Welt nur als Spiel betrachte.
Vielleicht stimmt es doch nicht ganz, daß in Chabrols Mikrokosmos das Verbrechen nur an seinem Kunstwert zu messen sei, nur als Steak in der Pfanne. Vielleicht leidet er wirklich darunter, daß man in einer Welt, die sich so elegant auf ihren Spielcharakter verständigt hat, schon ein Verbrechen begehen muß, um ernst genommen zu werden. Der Preis dafür, den er auch seinen Legagneur zahlen läßt, und der tut es mit Stil: Man steht als Verlierer da.
Urs Jenny _(Mit Monique Chaumette und Philippe ) _(Noiret. )
In »Claude Chabrol«. Carl Hanser Verlag, München; 292 Seiten; 34Mark.Mit Monique Chaumette und Philippe Noiret.