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THEATER Stolperschwelle gelegt

Das Hamburger Schauspielhaus, immer für Eklats gut, wird von einer neuen Krise geschüttelt: Die Finanzpolitik des Intendanten Ivan Nagel soll reglementiert werden.
aus DER SPIEGEL 20/1978

Außer Gründgens«, sagt Ivan Nagel, Intendant des Deutschen Schauspielhauses zu Hamburg, »hat es hier keiner so lange ausgehalten wie ich.« Das siebte Jahr seiner Regentschaft scheint nun ein verflixtes zu werden.

Denn wieder einmal donnert es an der größten deutschen Sprechbühne (Jahressubvention: l4,5 Millionen Mark), und das Lehrstück, das unter allerlei Kommentaren und Beiseites aufgeführt wird, handelt von einem alten Thema: vom Geld und der Kunst.

Mit »ungedeckten Mehrausgaben von rund 250 000 Mark« für die laufende Saison rechnet Nagels vorgesetzte »Behörde für Wissenschaft und Kunst«, und ihr Präses, Kultursenator Dieter Biallas (FDP), der auch schon in früheren Jahren Defizite zu verteidigen hatte, mag jetzt nicht mehr: »Niemand kann auf Dauer mehr ausgeben, als ihm zusteht.«

Anfang Juni sind in Hamburg Wahlen (CDU-Slogan: »Wählt die linken Träumer ab"), da schien der schwundbedrohten FDP ein starkes Wort am rechten Platz. Biallas faßte es, »nach wiederholten Ermahnungen«, in eine Anweisung des Aufsichtsrates an den Geschäftsführer« der Schauspielhaus GmbH., an Nagel.

Er habe »ab sofort wie folgt zu verfahren«, und dem folgte eine Fünf-Punkte-Liste nebst Anlage, die Nagel postwendend mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung beantwortete, Ziel: »Feststellung der Unwirksamkeit der Geschäftsanweisung.« Zudem sieht er die Anweisung als »nicht existent« an -- »um weiterarbeiten zu können«.

Tatsächlich ist die Fünf-Punkte-Liste ein Hammer, der Nagel bis zur Bewegungslosigkeit an seinen (bislang untergeordneten) Verwaltungsdirektor schmiedet.

Denn von der »Verpflichtung von Regisseuren« bis zur »zeitlichen Festlegung des Probenbetriebes«, von der »Beschaffung und Miete von Requisiten aller Art, unabhängig von deren Wert«, bis zur »Vergabe von Aufträgen an Dritte (z. B. zur Herstellung von Programmtexten)«, vom »Einstellen von Aushilfen« bis zur »Anmietung von neuen Räumen« -- alle »aufgeführten Geschäfte« bedürfen der vorherigen Zustimmung und schriftlichen Gegenzeichnung des Verwaltungsdirektors, und der hat Biallas gleich zu melden, wenn was nicht stimmt.

Daß ein solcher Zugriff nicht nur die Finanzen kontrollieren soll, sondern auch den politisch-künstlerischen Bereich formen kann, liegt auf der Hand. Der CDU-Opposition wie den harten Männern der SPD-Rechten hat die Richtung Nagels (selbst SPD-Mitglied) seit langem nicht gepaßt, Springers Blättern auch nicht; Biallas, hingegen, stand bislang zu seinem Mann.

Nagels Vorgänger, Schuh, Monk, Lietzau, waren alle unter Krach vorzeitig zurückgetreten. Nagel -- sein Vertrag, runde 150 000 Mark im Jahr, läuft bis 1980 -- hatte das zerrüttete Haus konsolidiert, er brachte vor allem junge Leute ins Theater und Frisches auf die Bühne. Spektakuläres auch, etwa Peter Zadeks Shakespeare-Zirkus mit »Othello«; die Inszenierung von Brechts »Fatzer«-Fragment durch die DDR-Regisseure Karge/Langhoff bescherte ihm einen politischen Eklat: Anarchismus-Zitate im Programmheft erregten allerhöchsten Zorn am Ort.

Die »Stolperschwelle« (Biallas über seine »Anweisung"), die Nagel nun in den Weg gelegt wird, kann mithin kaum, auch wenn Biallas dies meint, allein der ökonomischen Reglementierung dienen; denn sechs Jahre lang schon schleppt Nagel Defizite durch die Saisons.

Das »ewige Loch« erklärt sich Nagel durch das zu hoch angesetzte Einspielsoll. Biallas freilich stößt sich weniger am Billett-Defizit als am Überziehen der jeweils festgelegten Etat-Posten -- auch an anderen Theatern Praxis.

So habe Nagel etwa, rechnet Biallas vor, den Etat-Plan für Regisseure und Bühnenbildner um 15 bis 20 Prozent überzogen, den für Reisekosten und Postgebühren um 20 bis 30 Prozent; prominente Regisseure fordern heute 25 000 Mark für eine Inszenierung, Peter Zadek gar um die 50 000.

Zadek, immerhin, arbeitet bis zu mehreren Monaten an einer Regie -- was dem Theater nochmals teuer zu stehen kommt: Für die Proben heischte cr eine Halle auf einem Filmgelände, die täglich 100 Mark Miete kostet; die Gast-Schauspieler, die er gerne mitbringt, müssen auch bezahlt werden.

Die Ausstattung (Bühnenbild, Kostüme für Zadeks nächste Inszenierung, Shakespeares »Wintermärchen«, kalkuliert Mathematik-Professor Biallas auf 100 000 Mark, reine Materialkosten: eine nicht mehr unübliche Summe im Zeitalter der Neuen Prächtigkeit. Nur: 100 000 Mark sind knapp ein Drittel des Geldes, das Nagel für die gesamte Ausstattung einer Saison zur Verfügung hat.

Die nächste Spielzeit, sagt Nagel, sollte eigentlich eine »sehr festliche« werden. Er wälzt große Projekte, das ehrgeizigste davon: Das »Theater der Nationen«, das internationale Bühnen-Festival, sollte erstmals in Deutschland, in Hamburg stattfinden. Der Bund hat schon 850 000 Mark Zuschuß garantiert, Hamburg hält mit der gleichen Summe noch hinterm Deich.

In den letzten Tagen waren die Fronten zwischen Nagel und Biallas absolut verhärtet. Der Intendant will lieber gehen, als sich die Kompetenzen beschneiden zu lassen. Und Biallas hält an seiner »Stolperschwelle« fest: »Die werde ich einbauen, und wenn Nagel das nicht will, dann geht er.«

Die Verhandlung um die Einstweilige Verfügung, auf letzten Mittwoch festgesetzt, mußte allerdings verschoben werden: Der Gerichtsbote hatte den Kultursenator Biallas nicht ausfindig machen können.

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