Zur Ausgabe
Artikel 52 / 63

SEX Stramme Pflicht

Das Handelshaus in Flensburg ist so alt wie das Grundgesetz: In 30 Jahren gewann Sex-Unternehmerin Beate Uhse rund zehn Millionen Kunden und einen Jahresumsatz von 70 Millionen Mark.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Als Frau Beate Rotermund, wohnhaft in Rüde bei Glücksburg, Ende der fünfziger Jahre beim Flensburger Tennis Club vorsprach, bedeuteten die Club-Oberen der sportlichen Blondine, daß sie für den weißen Sport zu schmutzig sei: »Sie? Nee!«

Die Unwürdige betrieb ein »Versandgeschäft für Ehehygiene«, verkaufte empfängnisverhütende Artikel und sexuelle Aufklärungsliteratur. Titel der alten Kundenbroschüre: »Stimmt in unserer Ehe alles?«

Zwei Jahrzehnte später, im Alter von 59 Jahren, hält die einst Verschmähte den Flensburger Meistertitel im Seniorendamendoppel, das Tageblatt bringt"s mit Photo -- und dabei ist alles viel schlimmer geworden.

Nun zeigt die Dame von Hamburg bis Saarbrücken die schärfsten Sexfilme der Republik (Titelbeispiel: »Gierig, geil und nimmersatt"); aus ihrem Versanddepot und drei Dutzend Sex-Boutiquen decken zehn Millionen Deutsche sich mit Pornovitäten ein. Titel des jüngsten Uhse-Brusttaschenkatalogs: »Entdecken Sie die Liebe neu!«

Da gibt es viel zu entdecken -- nicht nur in Magazinen ("Scharfe Photos machen auch Frauen heiß und willig") und Büchern ("Worauf Frauen wirklich anspringen").

Der 17 Zentimeter lange Orgasmus-Reizer »Muschi-Bär« soll »wilde, ekstatische Wonnen« bescheren wie der »Chinesische Lustfinger« oder ein »Asiatischer Gefühls-Rubber«. Der »Dritte im Bunde«, aus Latex, »liegt ganz weich in Ihrer Hand«.

Durch das Angebot von Drops und Dessous, Salben und Tropfen, Gliedstützen wie »Doc Johnson"s Liebeshelfer« und Spezialpräservativen mit so vielversprechenden Namen wie »Igel«, »Kamm« und »Krone« zieht sich wie ein Refrain die Aufforderung zu vermehrtem Konsum: »Steigern Sie Ihr intimes Vergnügen!«

Die siebenfache Großmutter Beate Uhse die nun Deutschland mit »Explosionen der Wollust« überziehen will und dennoch gesellschaftsfähig geworden ist, geht dabei »nur mit dem Trend«. Erkenntnis der Kauffrau: »Es hat sich gewandelt.«

Sie muß es wissen; ihr Gewerbe ist so alt, 30 Jahre, wie das Grundgesetz: Frau Beate, geborene Köstlin, verwitwete Uhse geschiedene Rotermund, ist Schlummermutter der Republik seit deren erster Stunde.

Als sie ihre kaufmännische Tätigkeit mit schüchterner Geburtenregelung und dezenter Aufklärung begann, kämpfte sie, »juristisch gesehen, andauernd ums Überleben«. Heute, da Frau Uhses Gewerbe schamlos den Verkauf frivoler Scherzartikel wie Plastikbananen, geschlitzter Schlüpfer und von Schmuckanhängern in Phallusform einschließt, »rollen die Banken die roten Teppiche aus«. Das »Handelsblatt« druckt regelmäßige Notierungen wie: »Beate Uhse kennt keine Flaute« oder: »Beate Uhse erwartet Rekordumsatz«.

Für 1979 rechnet die »Unternehmensgruppe« -- wie sie ihren Mischmasch-Multi, bestehend aus vier GmbH & Co KG und vier GmbH, nennt -- mit einem Jahresumsatz von 70 Millionen Mark. 36 Filialen und 13 Filmtheater sind »in besten Lagen« etabliert, in West-Berlin beispielsweise unmittelbar gegenüber der Gedächtniskirche.

Renommierte Rechtsanwälte wie der Strafverteidiger Dietrich Scheid und der FDP-Politiker Hermann Oxfort ließen die Marketenderin der Kissenschlachten noch alle rund 3000 Ermittlungsverfahren ohne rechtskräftige Verurteilung überstehen.

Der Name ihrer Firma, so ermittelte ein »Institut für psychologische Markt- und Sozialforschung« in 35 Ortschaften der Bundesrepublik, ist so bekannt wie der des Kanzlerkandidaten Albrecht: 87 Prozent aller Männer und Frauen kennen »Beate Uhse«. Sie sieht es so: »Uhse steht für Sex wie Weck fürs Einmachen.«

Gewandelt hat sich die Kundschaft. Frau Uhses schon immer hemmungsloseste Bezieher waren die Akademiker in großen Städten. Doch häufiger als noch vor fünf Jahren gehen nun die »longtime männercreme« oder ein Vibrator »Wunder der Nacht« auch aufs Land

-- bis hin ins schleswigsehe Fischerdorf Maasholm, wo Posthalter Arno Dethlefsen immer mal wieder mit Buster-Keaton- Miene ein »Kaffeepaket aus Flensburg« zustellen kann.

Dem Uhse-Slogan »Nicht immer nur hüh -- hott ist auch mal ganz schön« öffnet sich jetzt auch zunehmend weibliche Kundschaft. Bis zu 35 Prozent der Paketkunden sind Frauen, die ihren »Wonnespender« oder Sex-Leitfaden selber ordern.

Unter das Publikum der hauseigenen Kinokette »Blue Movie« wagen sich mittlerweile im Durchschnitt 20 Prozent, gelegentlich gar 40 Prozent Zuschauerinnen, um sich zum Beispiel anzusehen, wie Cathy Kaufmann es mit acht Männern auf einmal macht. »Wir haben«, sagt Uhse-Sohn Ulli, »das Porno-Kino gesellschaftsfähig gemacht, ein Kino, in das ein normaler Mensch mit seiner Frau reingehen kann.«

Mutter Beate hat »ja schon immer versucht, die Frauen anzusprechen« -- aus ihrer Sicht und persönlichen Erfahrung »der absolut aktive Teil« bei der gemeinsamen Herstellung von Lustgewinn.

Da sieht Oma Uhse sich in einer »jugendbezogenen Welt« stramm in die Pflicht genommen; entsprechende Aktivitäten tragen ihr immer wieder Schlagzeilen in den Bilderblättern ein.

Dieses Frühjahr ließ sie sich die Gesichtshaut liften -- und schluckte die Konkurrenz: Für vier Millionen Mark kaufte sie die sadomasochistisch orientierte Sexshop-Kette »Dr. Müller's«.

Letztes Jahr machte sie das goldene Sportabzeichen -- und erläuterte fröhlich dem Interviewer Wolfgang Menge in der TV-Talkshow »III nach neun«, was es mit einem »Trockenständer für Kondome« und dem »längsten Vibrator der Welt« auf sich habe.

1976 sprang sie aus 2000 Meter Höhe über dem US-Staat Massachusetts mit dem Fallschirm ab -- und begründete ihre inzwischen marktbeherrschende Kinokette, mit der sie andere Pornokinos zur Aufgabe zwang. Und so widerfuhr es oft genug auch den Männern in ihrem Leben.

Als sie sich (vor acht Jahren) bei einem Neger auf den Bahamas Lustgewinn verschaffte, entschloß sich der Kaufmann Ernst-Walter Rotermund zur Scheidung. »Ich halte«, klagte er, »Beates wahnsinnige Aktivität im Betrieb und im Bett nicht mehr aus.«

Aktiv war Beate schon als Backfisch gewesen; auch damals hatte sie keine Angst vorm Fliegen. Die ostpreußische Gutsherrentochter machte mit 17 den Flugschein, mit 19 doubelte sie Hans Albers in »Wasser für Canitoga«, mit 23 gehörte sie einem Überführungsgeschwader der Luftwaffe an.

Ihr Fluglehrer, der Nachtjäger Uhse wurde abgeschossen; Beate und Baby landeten in Schleswig-Holstein, wo die junge Kriegerwitwe aber nicht ewig Rüben hacken und Torf stechen wollte. Erst zog sie mit einem Wandergewerbeschein über die Höfe. Dann, als die ersten Heimkehrer ungewollten Vaterschaften entgegensahen, hatte sie die Idee ihres Lebens.

»Der Informationsstand der Deutschen war damals 'n Präser in der Brusttasche«, erinnert sie sich an die Zeit nach der Mutterkreuz-Ära. »Und die meisten dachten, da macht der Adolf auch noch Löcher rein.

So hektographierte sie die Knaus-Ogino-Lehre von der (wenig verläßlichen) Berechenbarkeit der Konzeptionstermine und vertrieb den Handzettel für zwei Reichsmark.

Ratsuchende bestürmten Frau Beate ("Der eine konnte seine Erektion nicht halten, Frauen wollten wissen, wie"s bei ihnen funktioniert"), und auch sonst bestand ersichtlich Mangel an Kenntnissen. »Der Mann war oben, die Frau war unten -- das war alles«, erinnert sich Frau Uhse. Vom Kaufmann Rotermund lernte sie schließlich das Versandgeschäft; ihre ersten Mitarbeiter waren ein Arzt, ein Apotheker, vor allem ein Jurist.

Erste Anzeigen und Anklagen handelte sie sich ein, als sie auch Unverheirateten Präservative anbot -- so etwas galt noch in den fünfziger Jahren als »Förderung der Unzucht«.

»Der Teufel war los«, als sie später Spezialkondome mit Noppen und Zacken anbot -- da wurden ihr Prozesse gemacht, weil sie für »widernatürliche Luststeigerung« sorgte. Die bizarren Überzieher, nach eigenem Design veredelt, machen auch heute noch ein Viertel des Uhse-Umsatzes aus.

Übertroffen wird das Geschäft mit den Gummis inzwischen vom Uhse-Buchverlag. Bestseller wie der Leitfaden »Sexuelle Technik in Wort und Bild« erreichen schnell eine Auflage von einer Viertelmillion. Gegen den Widerstand von Handel und Verlagen erkämpfte sich Frau Uhse auf der Frankfurter Buchmesse einen eigenen Stand -- die Pornoware soll um jeden Preis gesellschaftsfähig werden.

»Jeder soll sehen, was wir hier treiben«, erläutert Beate Uhse die Transparenz ihrer Flensburger Firmenzentrale, einer sechseckigen Funktionswabe mit großräumiger Bürolandschaft und IBM-Computer, in dem die Daten von 4,5 Millionen Versandkunden gespeichert sind.

Mehr Kundschaft als die Paketstelle ziehen mittlerweile die 22 Uhse-Shops zwischen Westerland und München an, deren Kette Frau Rotermund nun um die 14 »Dr. Müller's«-Domina-Shops verlängert hat.

Leder- und Gummi-Dessous, Peitschen und Hundehalsbänder fehlten noch in ihrem Bauch-Laden, der sonst alles enthält, was unter den Gürtel paßt: von Elixieren aus eigenem Labor bis zu Reizwäsche (aus der DDR); »Peep Show«-Etablissements gehören neuerdings auch dazu.

450 Mitarbeiter sind im Dienst der Sache tätig -- allen voran, nächst der Mutti, die Söhne Klaus, 36, Dirk, 35, und Ulli, 30. Alle drei posierten nackt für den Bildband »Söhne der Sonne«. Nach diesem Praktikum wurden sie mit Führungsaufgaben betraut.

Der Jüngste hat dabei den expansivsten Part erwischt: Ulli leitet, neben den Läden, auch die neue Großabteilung Film. »Seit dem 1. November 1976«, so verkündet er, »beherrschen wir den Pornomarkt mit besseren Filmen, professioneller Werbung und solidem Geschäftsgebaren. Wir haben mit 46 Pornofilmen in zwei Jahren 100 Millionen Mark umgesetzt, und das ist erst der Anfang.«

Uhse-Film vertreibt seine professionellen Porno-Importe nach Hollywood-Manier. Deutlich distanziert von groben Späßen wie »Laß jucken Kumpel« oder »Liebesgrüße aus der Lederhose«, werden »Pussy Talk«, »Träume junger Witwen« und »Engel der Lust« mit Galavorstellungen, Sektempfängen und Stehpartys ins Geschäft gebracht.

Für Pressekonferenzen im Interconti werden die leibhaften Nacktricen aus Paris oder San Francisco eingeflogen, und auf den Umschlagseiten der Filmfachblätter sind die Erfolgstelegramme wie zu Zeiten Ilse Kubaschewskis annonciert -- als ob der weiße Flieder wieder blüht.

Die Hamburger Pam-Betriebe bedankten sich für den Renner »Baby Face« telegraphisch: »Gegen Schneesturm und Holocaust entwickelte sich ein sensationelles Geschäft.« Das Kindergesicht schaffte in drei Tagen 400 000 Mark an.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 52 / 63
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren