FESTIVALS Strauß zum Heulen
Rut Brandt küßte er die Hand, Ursula Flick, der frisch geschiedenen Milliardärsgattin, die Wangen, Frau Vera Kreisky servierte er warme Schinkenfleckerl, hochgemut hob er sein Glas mit Rotem -- »na sdorowje": Mstislaw Rostropowitsch, 48, der beste Cellist der Welt, feierte in Wien »das große Fest meines Lebens
Der Meister der Kniegeige, Solschenizyn-Freund und seit einem Jahr Moskau-flüchtig, war, vorletzten Sonntag, endlich auf musikalischem Mutterboden fremdgegangen, um als Dirigent der »Fledermaus« von Johann Strauß die Wiener Festwochen, diesmal ganz dem Walzerkönig zugedacht, richtig zu eröffnen. Und schon hat er gedroht. »alles, was es an Musik gibt«, zu kapellmeistern; der »Scala« und der »Met«, seiner Stabführung bereits sicher, steht Arges bevor.
Denn der Cello-Virtuose, der nach der Premiere zum Start seiner »ganz großen Karriere als Dirigent« zwischen 400 Geladenen schlemmte, strahlte tatsächlich zu einem Leichensehmaus. Bestattet wurden »der musikalischste Schädel, der mir je untergekommen iSt« (so Wagner über Strauß), durch Rostropowitschs unbekümmerte Schlagtechnik einem Basiseinbruch erlegen, und die »Fledermaus«, durch Sturzflüge in philharmonische Untiefen auf den Brettern ihrer Uraufführung vor 101 Jahren (Theater an der Wien) zur Bruchlandung gezwungen. Auf dem Cello kann Rostropowitsch sein Publikum mit virtuosen Saitensprüngen verhexen, mit Bach-Suiten zu Tränen rühren. Sein Strauß war nur zum Heulen. Dabei wollte er »dieses Werk so auf die Bühne stellen, wie es ihm gebührt«, bei diesem Klassiker der Wiener Operette, so hatte er vor Tisch proklamiert, komme es »besonders auf die Interpretation an«.
Nichts stimmte. Nicht die Tempi, nicht das Parlando, nicht mal der Dreivierteltakt. Der Russe jubelte jede Pointe der Partitur zum Knüller hoch, die Bläser röhrten, was das Blechzeug hielt: »Polowetzer Tänze« an der schönen blauen Donau, fast vier Stunden lang-weilig. Lind wurde es mal besinnlich, dann sangen die Geigen nicht, sie schluchzten. »Strauß trieft von Musik«. schwärmte einst Brahms. Hier triefte die Musik.
Auch auf der Bühne Peinlichkeiten die Fülle. Eine ständig Whisky schlürfende, des Deutschen kaum, des Wohllauts überhaupt nicht mächtige Rosalinde (Elizabeth Harwood), schwerfällig wie ein Mannequin für Übergrößen. Der Prinz Orlofsky (Blanche Aubry) krächzte wie ein Sängerknabe nach dem pubertären Stimmknacks. Die Regie schuf ein Ohnsorg-Theater an der Wien. Die Kulissen wackelten.
»Die Wiener Festwochen haben es immer als ihre schönste Aufgabe angesehen«, so protzt Intendant Ulrich Baumgartner, »an Entdeckungen mitzuwirken.« Als jüngste Entdeckung ist anzumerken, daß Baumgartner der schönen Aufgabe kaum gewachsen ist. Gut, es gibt ein paar Ansätze im Programm, Johann Strauß vom Ruch des schmalzigen Walzerkönigs zu befreien. So paart man in den Konzerten etwa Mahlers Neunte Symphonie mit der »Schönen blauen Donau« oder Hindemith mit den »G'schichten aus dem Wienerwald«. Die Liaison Strauß neben den schweren Abendländlern hat zumindest den Reiz des Ungewöhnlichen.
Am Dienstagabend dann wurde. für knapp eine halbe Stunde, hörbar. was Wien aus seiner Strauß-Feier hätte machen können. Nach Mozart und Schubert spielte der Wiener Pianist Friedrich Gulda eine selbstgemachte Paraphrase aus »Fledermaus«, »Zigeunerbaron« und eigenen Golowin-Liedern. Ganz im Stil der großen romantischen Klavier-Virtuosen, doch um eine Spur Gulda origineller: Mittendrin zitierte der fingerfixe Spaßvogel ein paar melodische Kürzel von Mozart, Beethoven, Schubert und besang seine eigene Melange frei nach der »Fledermaus": »O Gott, wie rührt mich das!« Das war frech und fesch -- swinging Schani auf dem wohltemperierten Klavier.
Klaus Umbach