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ZEITSCHRIFTEN Streit gefunden

aus DER SPIEGEL 43/1966

Rudolf Streit, Chef des Münchner Scherz Verlages, bietet in diesem Herbst erstmals einen periodischen Scherz-Artikel feil: die »Streit-Zeit -Schrift«.

Die wunderliche Literatur-Revue, 28,5 Zentimeter hoch, 9,5 Zentimeter breit, ist allerdings keine Novität und ihr Titel auch keineswegs auf Rudolf Streits Namen gemünzt. Vielmehr suchte die Zeitschrift schon Streit, lange bevor Streit sie suchte und fand. Er ist bereits ihr dritter Verleger. Ihr erster: Victor Otto ("Vauo") Stomps, mittlerweile 69, Besitzer der »Eremiten-Presse« im Taunus-Ort Stierstadt (2612 Einwohner)

und Deutschlands wunderlichstes Literaten-Original.

In seinem Taunus-»Schloß Sanssouris« (deutsch: Schloß Ohnemaus), der einstigen Werkstatt eines Sargtischlers, hat Stomps seine publizistische »Narrenpritsche«, wegen ihres Formats auch »Literaturphallus« genannt, 1956 gegründet, auf seiner Schnellpresse hergestellt und herausgegeben. Anfangsauflage: 500 Exemplare.

Und das Streit-Objekt war nicht mehr aus der Welt zu schaffen: Während von den rund 400 literarischen Klein-Zeitschriften, die seit 1956 in der Bundesrepublik kreiert wurden, rund 400 nach kurzer Existenz wieder eingingen, hielt sich das Stomps-Werk zehn Jahre lang am Leben - wenngleich unter Schwierigkeiten.

Seither dichten, polemisieren, kritisieren, zeichnen, radieren und drucken in Deutschlands dauerhaftester und kuriosester Dichter-Postille deutsche, Schweizer und österreichische Schreiber und Graphiker, renommierte wie vor allem auch unbekannte, denen »Vauo« Stomps zum Zuge verhelfen wollte. Denn sein Credo lautet: »An Arrivierten habe ich kein Interesse.« Und: »Wenn ein Autor uns wegrennt, ist unser Ziel erreicht.«

Als Talentsucher und Starthelfer hat

sich der Stierstädter Presser zeitlebens bewährt. Stomps, im Ersten Weltkrieg Leutnant, im Zweiten Oberstleutnant, Knittel-Lyriker, Fabel-Dichter, Novellist und Essayist, ständig auf Linksaußen- und Abseits-Position, meist unrasiert und meist nicht ganz nüchtern, hatte schon 1926 in Berlin ein ähnliches Unternehmen eröffnet: Der ehemalige Bankangestellte und Ufa-Hilfsregisseur gründete die »Rabenpresse«, in der die Zeitschriften »Der weiße Rabe« und »Der Fischzug« erschienen.

Stomps publizierte erste und frühe Arbeiten von Werner Bergengruen. Oskar Loerke, Otto Rombach und Gertrud Kolmar, von Benn und Brecht, von Peter Huchel, Horst Lange und Günter Elch. Die »Rabenpresse«, rühmte 1932 das »Berliner Tageblatt«, sei in Deutschland die »einzig tätige Brutanstalt neuer Lyrik«.

Der »Völkische Beobachter« freilich beobachtete vier Jahre später an der poetischen Vauo-Brut eine »unzeitgemäße Abseitigkeit«. Grund: Auf seinem Jubelfest »Zehn Jahre Rabenpresse« hatte Stomps 1936 Arbeiten jüdischer Künstler und Autoren zur Schau gestellt. Er gab schließlich seine Firma auf und ging in die Innere Emigration

- zur deutschen Artillerie.

Nach dem Krieg setzte Stomps - nach »Rabenpresse«-Vorbild - seine »Eremiten-Presse« in Betrieb,um weiterhin junge Talente zu pflegen und Erstlingsbücher zu machen. Eine Art »weißer Rabe« kam gleichfalls wieder zustande: die »Streit -Zeit-Schrift«. Als Redakteur der Partisanen-Revue diente Horst Bingel, jetzt 33 und Autor von drei Gedichtbänden ("Wir suchen Hitler"), zwei Prosabüchern ("Die Koffer des Felix Lumpach") sowie Herausgeber mehrerer Anthologien.

Seit 1956 polemisierten Stomps, Bingel und »SZS«-Beiträger gegen Neonazismus und Literaturkritik, sie alberten über eigene Schreib-Unarten und über »Sexuelles Verhalten in der deutschen Literatur von heute«, untersuchten »Europäische Literatur und deutsche Teilung« und reflektierten über »Reflexion heute«. Lobte die »Sunday Times": »Wirklich erregend.«

Dabei machten Herausgeber, Redakteur und Autoren ihre »Streit-Zeit-Schrift« nicht nur honorarfrei: Sie dienten im Stierstädter »Schloß Sanssouris« außerdem als unbezahlte Setzer, Drukker, Buchbinder und Klischee-Ätzer - zumindest bis 1960, als Stompsens alter Typograph zusammenbrach.

Von da an übernahm die linksgerichtete Europäische Verlagsanstalt in Frankfurt Herstellung und Vertrieb des Vauo-Produkts, das inzwischen von einer Viertel- auf eine Halbjahres-Zeitschrift zusammengeschrumpft war. Seit Erscheinen des dreizehnten Heftes im Juli 1964 warteten 2000 »SZS«-Käufer gar vergebens auf die vierzehnte »Streit -Zeit-Schrift«. Sie wurden erst in diesem Herbst bedient - diesmal nicht mehr von Stomps und der Europäischen Verlagsanstalt, sondern vom Herausgeber Bingel und dem Scherz Verlag.

Denn mittlerweile hat Stomps, Fontane-Preisträger von 1965, seine Zeitschrift der Europäischen Verlagsanstalt geschenkt, die wiederum hat sie für 3000 Mark an- Scherz verkauft. Ein Scherz-Angebot über 10 000 Mark hatte Stomps zuvor in den Wind geschlagen. Begründung: »Unanständig viel.«

Neu-Herausgeber Bingel hat um sein Blatt vorerst keine Bange: Die Auflage seiner ersten Streit-Nummer zum Generalthema »Literatur und Politik« (2000 Exemplare) ist bereits verkauft, 1500 Hefte werden nachgedruckt. Ein Dreijahresvertrag mit Scherz sichert Bingel und seinen Autoren einen Honorar-Etat von 5000 Mark.

Und zusätzliche Honorare verspricht der Südwestfunk Baden-Baden: Er will fortan sämtliche Texte der folgenden »Streit-Zeit-Schriften« im voraus senden.

»Streit-Zeit-Schrift«

Scherz von Scherz

»Streit-Zeit-Schrift«-Gründer Stomps: Weißer Rabe in Schloß Ohnemaus

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