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MALEREI Strich am Bau

Für eine westfälische Berufsschule liefert der Maler Gerhard Richter zwei paradoxe Riesenbilder: abstrakt und photorealistisch zugleich.
aus DER SPIEGEL 24/1980

Dick und breit unterstreicht Gerhard Richter, daß Malerei noch immer möglich ist. Oder wird sie am Ende durchgestrichen?

Der Strich jedenfalls ist nicht zu übersehen. Er ist 20 Meter lang und auch noch doppelt vorhanden. Zweimal zieht sich's wie eine gelbe Pinselspur von Riesenhand über je vier Leinwände im Format 1,90 mal 5 Meter, von denen also jede schon für sich ein ziemlich großes Bild abgeben würde, die aber erst aneinandergereiht das ganze karge Motiv vor Augen führen. Richter hat für die beiden Striche ein halbes Jahr Arbeitszeit und dazu noch Fleiß und Talent eines Gehilfen eingesetzt.

Auf Richter, 48, kommt in Deutschland die Rede unausbleiblich, sobald die Chancen und Schwierigkeiten einer zeitgenössischen Malerei zur Diskussion stehen. Den Widerspruch zwischen der Lust am Malen (ihm ein Beweis für dessen Notwendigkeit) und der Bilderflut einer photographisch überversorgten Welt hat der Düsseldorfer Künstler konsequenter als jeder andere ausgekostet und vorgeführt.

Wie in immer neuen Experiment-Ansätzen wechselte Richter, seit er 1960 aus Dresden ins Rheinland umgezogen war, phasenweise seine Malart und machte einen Strich durch jedes ihm angehängte Stil-Etikett.

Östlichen Kunst-Lehren war er noch mit einem fünf mal 15 Meter großen Bild zum Thema des gesunden Lebens gerecht geworden, das er, als Diplomarbeit, an eine Wand des Dresdner Hygiene-Museums malte. Der sozialistischen Doktrin entflohen, verfiel er dann ins krasse Gegenteil.

Zusammen mit seinem damaligen Kollegen und heutigen Galeristen Konrad Fischer-Lueg arrangierte Richter 1963 in einem Düsseldorfer Einrichtungshaus eine Ausstellung durchschnittlicher, aber ironisch auf Sockel gestellter Alltagsmöbel. Die Künstler setzten sich selber in dieses Interieur und nannten das Ganze »kapitalistischen Realismus«.

Später, als Pop Art ins allgemeine Gerede kam, wurde Richter dafür in Anspruch genommen, bei Erscheinen des sogenannten Hyperrealismus nahm er sich wie ein Vorläufer dieser Richtung aus - und schlug dann prompt einen Haken.

Er produzierte weich-verschwommene Schwarzweißgemälde nach banalen Photovorlagen und setzte durch Zufall festgelegte Farbtöne in große Rasterbilder ein. Er kopierte Städte-Luftbildaufnahmen mit breitem Pinsel und stellte graue Flächen aus, die sich durch nichts als die Strukturen ihrer Oberflächen unterschieden. Er legte wilde Knäuel von Pinselkrakeln über die Leinwand und ahmte dann wieder mit Landschafts- und Wolkenbildern den Schmelz von Coloraufnahmen nach.

Als Richter 1972 allein den deutschen Biennale-Beitrag in Venedig bestritt, war die Schau trotzdem so abwechslungsreich, als hätten sich mindestens drei Künstler ins Zeug gelegt. S.203

Malen als Gegenstand der Malerei, Mißtrauen gegen jedes Bild von Wirklichkeit, Brechung des optischen Eindrucks durch die Medien - das sind auch Themen jüngerer, »abstrakter« Richter-Gemälde. Schlieren im Farbeimer oder spontan gemalte Skizzen sind da auf dem Umweg über photographische Reproduktion in räumlich wirkende bunte Schemen verwandelt worden. Und natürlich geht Richter auch mit dem großen Doppel-Strich seinen Dauerfragestellungen nach.

Er tut das, ausnahmsweise, in öffentlichem Auftrag. Das zweifache Kolossalwerk ist vom westfälischen Landkreis Soest für eine Berufsschule bestellt worden, die Ende des Sommers eingeweiht wird. Eine zweigeschossige Mehrzweckhalle des Neubaus hat in Höhe des ersten Stockwerks zwei Wandstreifen parat, an denen die Bilder - geschützt, aber von einem Umgang aus auch in nahen Augenschein zu nehmen - einander gegenüber hängen sollen.

Richter, der »die Idee, daß eine öffentliche Institution Verantwortung für ein Kunstwerk nimmt, sehr schön« findet, hält dennoch Distanz zu der realen Architektur. Die Soester Kunst-am-Bau-Stelle hat er nie aufgesucht, sondern sich nur nach den Plänen orientiert. Auch für einen bestimmten Platz gemalt, bleiben seine Werke Tafelbilder, die ohne Schwierigkeit wieder abgehängt und anderswo ausgestellt werden könnten.

Mit den zuständigen Kreispolitikern war der Künstler durch den Architekten, den Essener Wolfgang Schwartz, ins Gespräch gekommen. Er hatte zunächst an vielteilige Kompositionen gedacht, besann sich aber bald auf das elementare Mal-Motiv.

Zwei bescheidene, nur knapp einen Meter lange Pinselstriche über je zwei Schichten farbigem Grund genügten den Auftraggebern als Modell und dem Maler selbst als Vorlage - ein laut Richter relativ »gemütlicher« Strich, bei dem ein mattes Grün durchschimmert, und ein »aggressiver« auf blauroter Fläche.

Mit Bildwerfern vergrößert auf die Leinwand projiziert, wurden die Striche dann photorealistisch abgemalt, ein paradoxer Vorgang: Die expressive malerische Geste ist nur in der Skizze echt, im ausgeführten Werk aber ein mühsam herbeigeführter Augentrug. Denn Richters Methode, den »Anschein von Malerei« zu erwecken, ist selbst durchaus nicht »malerisch«, sondern, wie er sagt, »ökonomisch, technisch, unsensibel«.

Und so enthüllt sich, was von weitem wie der Inbegriff einer flotten Peinture aussieht, als »schrecklich im Detail«. Wenn man nämlich näher hinschaut, erblickt man ein Chaos pingelig abgegrenzter Puzzle-Formen.

Eine - unfreiwillige - Illusionsbrechung zusätzlich muß diese »Antimalerei« (Richter) gegenwärtig, bei ihrer öffentlichen Premiere, verkraften: Noch vor der Soester Schuleinweihung stellt von dieser Woche an das Essener Museum Folkwang die acht großen Tafeln aus*.

Weil aber keine Wand im Schausaal 20 Meter lang ist, gehen die Striche notgedrungen um die Ecke.

*Bis 3. August. Katalog 24 Seiten; 10 Mark.

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