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GHEZ UND GOTSCH Striche für den Gönner

aus DER SPIEGEL 47/1965

Sein Leben lang malte er im Verborgenen, und auf dem Dachboden seines Hauses im Nordsee-Badeort St. Peter-Ording stapelten sich seine Bilder.

In flackernden Farben und mit spitzig-holzschnitthaften Formen malte der Kokoschka-Schüler und Spätexpressionist in Schleswig-Holstein Friedrich Karl Gotsch, 65, viereinhalb Jahrzehnte lang, was seit viereinhalb Jahrzehnten wenig gefragt ist: Expressionismus.

Nun jedoch ist der Dachboden zu St. Peter leer. Im Oktober letzten Jahres reisten 1336 Gotsch-Werke per Lkw nach Genf. Ihr Empfänger und neuer Eigentümer: Oscar Ghez, 61, Kunstsammler und Präsident einer »Modern Art Foundation« (Stiftung für Moderne Kunst) mit Sitz im steuergünstigen Mini-Fürstentum Liechtenstein.

Der Genfer Ghez, ein gebürtiger Tunesier jüdischen Glaubens, der vor Jahren seine Industriellen-Laufbahn beendete - er verkaufte seine Kautschukfabriken -, hat für sich und seine »MAF« bereits Tausende von Bildern zusammengetragen und in Ausstellungen vorgeführt. Ein Ghez-Schloß bei Lyon beherbergt mehr als 1000 Gemälde.

Einen neuen Künstler nach seinem Geschmack glaubte Ghez entdeckt zu haben, als er im Haus seines Hamburger Geschäftsfreundes Otto A. Friedrich eine Kollektion von Gotsch-Arbeiten sah.

Dr. h.c. Friedrich, bis vor kurzem Vorsitzer im Vorstand der Harburger Phoenix Gummiwerke, seither persönlich haftender Gesellschafter der Friedrich Flick KG, hatte als Liebhaber der schönen Künste den Maler jahrelang unterstützt und unter anderem eine Hypothek auf Gotschens Haus abgelöst. Der dankbare Künstler schickte seinem Mäzen dafür 75 Bilder nach Hamburg, unter denen Friedrich wählen sollte.

Mit Friedrichs Billigung offerierte sich Ghez nun als noch generöserer Gotsch-Gönner. Gotsch ("Endlich von Sorgen frei!") stimmte zu.

Im Januar 1964 unterschrieb er einen Vertrag, in dem die »Modern Art Foundation, wohnhaft in Vaduz, Liechtenstein«, dem norddeutschen Künstler eine Vergütung von 80 000 Mark zusicherte; die Hälfte dieser Summe war an Friedrich auszuzahlen - um die Hypothek abermals abzulösen.

Die »MAF« verpflichtete sich ferner, Gotsch bis zu seinem Lebensende monatlich 1000 Mark plus 500 Mark für Materialkosten zu überweisen, und stellte außerdem am Ende eines jeden Jahres eine »Ermunterungsprämie« von nicht bezeichneter Höhe in Aussicht.

Dafür versprach Gotsch mit seiner Unterschrift:

- der »MAF« zu beliebigem Gebrauch alle seine bisherigen und künftigen Arbeiten zu übereignen;

- »Bilder entsprechend den Anforderungen zu schaffen, die an ihn durch die Foundation gestellt werden«;

- die »moralische Verpflichtung« zu übernehmen, »neben Zeichnungen, Aquarellen und anderen Arbeiten jeden Monat ein Minimum an Ölbildern zu malen, das 100 Punkten entspricht"*.

Der Vertrag war von beiden Parteien signiert, als dem Maler zu St. Peter »das ganze Desaster klarwurde«. Denn ähnliche Kontrakte zwischen Künstlern und Händlern (etwa zwischen Braque und der Galerie Kahnweiler, Chagall und der Galerie Maeght) waren und sind zwar in Frankreich, Amerika und England üblich, sie wurden und werden aber auch oft wieder gelöst. Der Gotsch-Vertrag hingegen sah keine Kündigung vor. Ghez zu Gotsch: »In dem Augenblick, wo Sie einen Strich machen, gehört er der Foundation.«

Dennoch unterschrieb Gotsch noch Ende letzten Jahres sechs Zusatzbriefe zum Vertrag, in denen er anerkannte, »daß ich kein Recht habe, über irgendeines der Werke, die noch bei mir hinterlegt sind, zu verfügen, selbst über die noch nicht geschaffenen nicht, und daß ich nicht das Recht habe, sie zu zerstören, selbst wenn es sich um einfache Studien oder Entwürfe handelt«.

Dann aber machte Gotsch-im-Glück plötzlich Lärm. Er alarmierte den Pfarrer von St. Peter, die Kieler Landesregierung und den Bundesaußenminister, schrieb an Museumsdirektoren und benachrichtigte den Ghez-Vermittler Otto A. Friedrich sowie seinen Lehrer Oskar Kokoschka, 79.

Der Alarm hatte Erfolg. Ernst Schlee, Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums, Günter Busch, Direktor der Kunsthalle Bremen, und Professor Alfred Hentzen, Direktor der Hamburger Kunsthalle, kamen dem Maler mit Petitionen und Vermittlungsvorschlägen zu Hilfe.

Kokoschka offerierte dem Schüler Gotsch seinen Luzerner Rechtsanwalt Walter Strebi und erbot sich, die Prozeßkosten zu tragen. Kostenlos kümmerten sich auch die Hamburger Rechtsanwälte Hans-Bernd Giesler und Professor Kurt Bussmann - Mitglied der Sachverständigen-Kommission des Bundesjustizministeriums für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht - um den »mit den guten Sitten nicht zu vereinbarenden Knebelungsvertrag«.

Anfang September folgte Ghez der Einladung der Rechtsanwälte Bussmann und Giesler sowie des Kunsthallen-Professors Hentzen zu einem Schlichtungsgespräch in Hamburg. Nach einer ganztägigen Mammutbesprechung am 8. September in der Hamburger Kunsthalle schienen sich die Ghez- und Gotsch-Parteien schließlich einig: Ghez sollte Gotschens Bilder, Gotsch Ghezens Gelder behalten. Und: »Herr Gotsch ist hinsichtlich seines künftigen Schaffens von allen Verpflichtungen gegenüber der Modern Art Foundation befreit.« Die Schlichtungsvereinbarung hat bislang allerdings nur Gotsch unterschrieben.

Ein Ghez-Gotsch-Friede würde bedeuten: Ghez hätte für 80 000 Mark plus 33 000 Mark Monatsgelder einen Bilderstapel erworben, dessen Handelswert bisher gering war, aber bei einiger Reklame steigen kann.

Den befreiten Künstler Gotsch hat mittlerweile sein geschäftliches Ungeschick bekannt gemacht. So will der Fleischfabrikant Hans Redlefsen aus Satrup bei Flensburg drei Gotsch-Bilder für 20 000 Mark erwerben.

* Nach der Standardberechnungstabelle, die auf dem französischen Kunstmarkt verwendet wird, entsprechen 100 Punkte Porträtmalerei einer Flache von 162X130 Zentimeter, bei Landschaften einer Fläche von 162X114 Zentimeter, bei Seestücken einer Fläche von 162X97 Zentimeter.

Maler Gotsch

Den Vertrag auf Lebenszeit ...

Gotsch-Mäzen Ghez

... nach einem Jahr gekündigt

Gotsch-Bilder »Ballett«, »Der endlose Kampf": Monatssoll 100 Punkte

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