Zur Ausgabe
Artikel 50 / 65

LUFTFAHRT / ZYPERN-UNGLÜCK Stunden gestrichen

aus DER SPIEGEL 18/1967

Sie hatten Wochen unbeschwerten Urlaubs hinter sich. Einige hielten die fremdartigen Souvenirs noch mit der Faust umkrampft, als sie aus dem blutgetränkten Schlamm am Unglücksort geborgen wurden.

126 Menschen kamen ums Leben, als die viermotorige Turboprop-Maschine vom Typ »Bristol Britannia« um 1.17 Uhr morgens am Donnerstag letzter Woche beim Anflug auf den zyprischen Flughafen Nikosia an einem Erdhügel zerschellte.

Es war eines der schwersten Unglücke in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Nie zuvor waren so viele deutsche Flug-Urlauber auf einmal tödlich verunglückt. Und kaum je zuvor hat sich so unmittelbar nach einer Flugzeugkatastrophe die Frage nach Schuld und Schuldigen aufgedrängt.

Die 120 Urlauber an Bord der Britannia hatten mit dem Pauschalpreis zwischen eineinhalb- und dreieinhalbtausend Mark für ihren dreiwöchigen Asien-Aufenthalt eine Beförderungsart erkauft, die den Flugunfall-Statistikern schon öfter unheimlich gewesen ist: Das Reisen mit Charter-Flugzeugen -- soweit sie nicht, wie etwa bei der Lufthansa-Tochter »Condor«, mit technischer Wartung und Flugpersonal an eine der großen internationalen Fluggesellschaften angeschlossen sind -- birgt ein erhöhtes Risiko.

Obwohl Charter-Flüge nur etwa den zwanzigsten Teil des Passagierluftverkehrs in der Welt ausmachen, registrierte die Internationale Organisation für Zivile Luftfahrt (ICAO) von 1960 bis 1966 den Absturz von 192 Flugzeugen im Charterverkehr -- nur sechs weniger, als im gleichen Zeitraum bei den Liniendienst-Gesellschaften verunglückten.

Bei einem Vergleich der Todesopfer ermittelten die ICAO-Statistiker: Das Risiko, tödlich zu verunglücken, ist offensichtlich für Charter-Passagiere etwa zehnmal so groß wie für Fluggäste der Liniendienste.

Als am Donnerstag letzter Woche die zyprische Luftfahrtbehörde mit den Nachforschungen über das Unglück begann, mußten sich die Experten auch die Frage stellen, ob eine Überforderung des Piloten zu dem Unglück beigetragen haben könnte.

Die ersten Berichte vom Unglücksort hatten noch Blitzeinschlag, den Flugkapitän Michael Muller, 43, angeblich in seinem letzten Funkspruch an den Flughafen Nikosia gemeldet hatte, als mutmaßliche Absturzursache genannt.

Noch bis vor wenigen Jahren hatten Piloten und Techniker geglaubt, Blitzschlag sei für ein Flugzeug in der Luft ungefährlich -- der metallene Flugzeugrumpf wirke als sogenannter Faradayscher Käfig, auf dem sich die elektrische Entladung gefahrlos verteile. Inzwischen ist erwiesen, daß unter unglücklichen Umständen ein Blitz doch Schaden anrichten kann, etwa wenn der elektrische Funke auf Benzindämpfe in den Einfüllstutzen der Tanks übergreift, wie es bei zwei Flugzeugabstürzen in Italien und in den USA wahrscheinlich geschah.

Dagegen war Ende letzter Woche deutlich, daß beim Unglück von Nikosia Blitzeinschlag nicht die unmittelbare Absturzursache gewesen ist. Die Maschine war offenbar danach noch flugtüchtig -- sie verunglückte erst beim zweiten Versuch eines Landeanflugs auf die Piste.

Flugkapitän Muller, so ließen seine Schweizer Dienstherren verlauten, zählte mit über 8000 Flugstunden zu den Erfahrenen seines Berufsstandes; in seiner britischen Heimat hatte er einst den Prototyp der viermotorigen »Britannia«-Flugzeuge gelenkt.

Gleichwohl übten renommierte Schweizer Zeitungen unmittelbar nach dem Unglück massive Kritik an den Geschäftspraktiken des Baseler Charter-Unternehmens, dem die Unglücksmaschine gehörte: Wenige Tage vor der Katastrophe war über die Charterfirma »Globe Air AG« Seltsames bekanntgeworden.

Seit 1961 ist das Baseler Unternehmen im Charterflug-Geschäft tätig -- offenbar mit beachtlicher Rendite. Globe Air gehörte, wie Ende 1964 die »FAZ« meldete, »zu den wenigen europäischen Unternehmen ihrer Art, die sich durch eine hohe Ertragskraft auszeichnen«. Hauptkunden von Globe Air: das Schweizer Gesellschaftsreiseunternehmen »Hotelplan« und Neckermann, Westdeutschlands größte Flugtouristikfirma, die ihre Fernreisen nach Afrika und Asien der Globe Air anvertraut hat.

Anfang dieses Monats kam es bei der expansionsfreudigen Schweizer Charter-Firma zum Eklat. Drei Mitglieder des Verwaltungsrates zogen sich unter Protest aus der Globe Air zurück. Und der Baseler Korrespondent des »Industriekuriers« berichtete, daß dieser Entschluß offenkundig mit »mangelhaften Auswahl- und Ausbildungsmethoden für das Kabinenpersonal und dessen Überforderung in bis zu 36stündigem Einsatz« zusammenhänge sowie mit einer »nicht über jeden Zweifel erhabenen technischen Unterhaltung des Flugzeugparks«.

Die Schweizer Staatsanwaltschaft nahm sich der Mängelrügen an. Und wirklich ergab schon eine erste Prüfung durch den Bezirksstatthalter Jan Krieger, daß die Globe Air »bei der Aufzeichnung der Flugstunden«, die dem Personal zugemutet worden waren, »Fälschungen begangen« hatte -- offenbar mit Grund:

Am Donnerstag letzter Woche wußte der Schweizer Nationalrat Helmut Hubacher, Chefredakteur der Baseler »Abend-Zeitung«, in einem kritischen Kommentar über die Mißstände bei Globe Air Einzelheiten mitzuteilen. Hubacher: »Ein Pilot erklärte uns letzte Woche unter Zeugen, er habe im ersten Vierteljahr 1967 zwei Ruhetage gehabt. Ein Angestellter im technischen Sektor wies uns in einem Monat über 200 Überstunden aus.«

Der Rat wußte noch mehr: Globe-Air-Direktor Karl Rüdin habe in mindestens einem Fall den Steuerknüppel eines mit Passagieren besetzten Globe-Air-Flugzeugs geführt, obwohl er keinen Pilotenschein, sondern nur einen Ausweis als Flugschüler besaß.

Wie viele Dienststunden Flugkapitän Muller, der Pilot der Unglücksmaschine, in den Tagen vor seinem letzten, siebzehn Stunden währenden Flug absolviert hatte, ist ungewiß. Der SPIEGEL fragte die Baseler Charterflug-Firma nach dem Dienstplan des verunglückten Piloten. Globe Air verweigerte die Auskunft.

Zur Ausgabe
Artikel 50 / 65
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren