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SODOM UND GOMORRA Suche unter Wasser

aus DER SPIEGEL 17/1960

Im Privatflugzeug des Königs Hussein von Jordanien kurvte der Direktor der jordanischen Zivilluftfahrt, Hauptmann Ibrahim Othmann, über der berüchtigten Zone zwischen der transjordanischen Hochebene und Jerusalem, in der ein Pilot ständig auf zweierlei achten muß: daß er außerhalb des Schußbereichs der nervösen israelischen Flak bleibt und daß er sich keinesfalls durch seinen Höhenmesser irritieren läßt. Denn das Instrument könnte kurioserweise hin und wieder Minuswerte anzeigen, weil der südliche Zipfel des Toten Meeres bis zu 390 Meter unterhalb des Wasserspiegels der Weltmeere liegt, auf den alle Flugzeughöhenmesser geeicht sind.

Hauptmann Othmann flog zwei englischsprechende Gäste spazieren, die mit Feldstechern emsig das Wasser des Toten Meeres absuchten: den kanadischen Professor Allen Vincent-Barwood, der an der amerikanischen Universität in Beirut lehrt, und einen Amerikaner namens Melville Rizzie, der im Nahen Osten als Mitarbeiter der United States Operations Mission und als Berater des jordanischen »Tourismus-Büros« tätig ist.

Diesmal allerdings waren Vincent -Barwood und Rizzie nicht dienstlich unterwegs, obschon ihre sonderbare Mission indirekt berufliche Gründe hatte. Der Kanadier hoffte auf eine wissenschaftliche Entdeckung ersten Ranges, die ihm Schlagzeilen und Weltruhm einbringen sollte; der Amerikaner hatte sich dem Unternehmen des Professors in der Erwartung angeschlossen, dem jordanischen Staat eine einmalige Touristen-Attraktion erschließen zu können: Mit Unterstützung König Husseins waren sie ausgezogen, Überreste der versunkenen legendären Sündenstätten Sodom und Gomorra aufzuspüren.

Berichte aus zwei verschiedenen Quellen hatten die beiden Ausländer von der Unrichtigkeit der vorherrschenden Archäologen-Auffassung überzeugt, »daß auch in Zukunft alles Suchen nach Sodom und Gomorra vergeblich sein wird« (Dr. Werner Keller in seinem Altertums-Bestseller »Und die Bibel hat doch recht"):

- Vor der Gründung des Staates Israel betrieben die Anwohner des Toten Meeres einen regelmäßigen

Fährverkehr über die Südgewässer. Die Beduinen-Boote verkehren seit über zehn Jahren nicht mehr, weil die jordanisch-israelische Grenze mitten über den Südzipfel des Toten Meeres verläuft, aber noch heute schwören die Fährmänner, sie hätten im Wasser häufig Gebäudereste und versteinerte Wälder erblickt.

- Piloten internationaler Luftlinien

und Angehörige der jordanischen Luftwaffe meldeten ähnliche Beobachtungen. Auch sie wollen im Süden des Toten Meeres unter Wasser Ruinenreste ausgemacht haben.

Die beiden Privatforscher kombinierten diese vagen Mitteilungen mit den einschlägigen Textstellen des Alten Testaments und kamen zu dem Schluß, die Unterwasserruinen müßten Überreste der biblischen Sündenstätten sein. Tatsächlich heißt es im 1. Buch Mose, das fruchtbare Tal Siddim mit den fünf Königsstädten Sodom, Gomorra, Adama, Zeboim und Zoar habe dort gelegen, »wo nun das Salzwasser (das Tote Meer) ist«.

Mithin mußte sich dort, wenn die Bibel recht hat, das Drama der Familie Lots und die große Katastrophe abgespielt haben. Nach ihrer Rückkehr aus Ägypten, so berichtet die Heilige Schrift, hatten sich Sems Nachfahren Abraham und Lot getrennt, »denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen«. Lot zog in die Gegend am Jordan - vor der Vernichtung ein blühender »Garten des Herrn, gleichwie Ägyptenland« - und errichtete eine Hütte in der Stadt Sodom, deren »Sünden sehr schwer« waren.

Allein, Lot wurde bald von zwei Himmelsboten vor einer Katastrophe gewarnt und gebot seinen Schwiegersöhnen: »Macht euch auf und geht aus diesem Ort, denn der Herr wird diese Stadt verderben.« Mit Weib und Töchtern verließ Lot die Stadt, und, so berichtet die biblische Legende weiter, »da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen ... vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra und kehrte die Städte um und die ganze Gegend ... und was auf dem Land gewachsen war«. Lot und seine Töchter blieben vom Unheil verschont; doch Lots Weib verstieß gegen die Order, sich auf der Flucht nicht umzudrehen, »sah hinter sich und ward zur Salzsäule«.

Ob die Sünden der Sodomiter der Art waren, wie sie heute mit dem Begriff Sodomie* umrissen sind, geht aus der Bibel nicht eindeutig hervor. Wissenschaftliche Thesen zu der Frage, worauf sich der sprichwörtliche Ruf der Stadt gründete, basieren zumeist auf der Annahme, daß Sodom keine israelitische Stadt war. Die Forscher knüpfen daran die Vermutung, die als Nomaden durch das Tal Siddim ziehenden Juden hätten den Wohlstand, die Völlerei und die Sitten der Sodomiter als sündhaft betrachtet.

In seiner Anthologie »Versunkene Städte« gibt der Archäologe Dr. Georg Schreiber eine noch präzisere Erklärung: »Der Priesterstand (in Sodom) genoß hohes Ansehen«, schreibt er, »und es wurde viel geopfert, nicht nur Tiere, sondern auch - und das dürfte das Entsetzen des biblischen Berichts mitverursacht haben - Menschen ... Die Fruchtbarkeitsgöttinnen spielten eine große Rolle; sie wurden meist nackt dargestellt, mit starker Betonung der Geschlechtsmerkmale, und in ihren Tempeln ging eine im Naturmythos begründete heilige Prostitution vor sich.«

Man könne sich vorstellen, meint Schreiber, »daß die durchziehenden oder als Fremde in solchen Städten weilenden Juden das, was den Sodomitern eine Art Gottesdienst war, als schlimmste Sünde, Götzenkult und Blasphemie ansahen«. Und: »Ein früher jüdischer Geschichtsschreiber mag den Untergang Sodoms gekannt und als Strafe für die Vertreibung einer jüdischen Familie angesehen ... haben; die religiöse Auswertung sieht dann umgekehrt aus. Gott beschließt die Vernichtung der Stadt und warnt den Auserwählten, das heißt, den einzigen Angehörigen des auserwählten Volkes.«

Daß Lot nicht vom gleichen Stamm war wie die Bewohner Sodoms, bestätigt auch der Bibeltext, demzufolge

»Leute der Stadt Sodom« zu Lots Haus kamen und ihn aufforderten: »Geh hinweg. Du bist der einzige Fremdling hier und willst regieren?«

Offen bleibt freilich, wie die Legende um den Erstarrungstod von Lots Weib zustande kam. Der Spezialist für versunkene Städte, Dr. Schreiber, versucht lediglich zu erklären, weshalb Lots Weib das Verlangen verspürt haben könnte, noch einmal gen Sodom zu blicken. Er vermutet, die Jüdinnen seien den frevelhaften Kulten der Sodomiter »mehr zugetan« gewesen als die jüdischen Männer.

Dagegen offerierte ein östlicher Wissenschaftler erst vor wenigen Wochen eine neue, allerdings reichlich phantastische Deutung des mysteriösen Todes von Lots Weib. Der Sowjetprofessor Agrest veröffentlichte eine an Science Fiction erinnernde Sodom-Theorie, die in der Behauptung gipfelt, Lots Weib habe bei dem verbotenen Blick auf die untergehende Stadt nichts anderes gesehen als eine Atomexplosion. Sie sei den Strahlentod gestorben.

Agrest glaubt, Palästina sei zu vorchristlicher Zeit hin und wieder von intelligenten Weltraumwesen besucht worden, die selbstverständlich über Raumschiffe und Atomtreibstoffe verfügt hätten. Die außerirdischen Wesen hätten vor der von ihnen geplanten Atomsprengung der Städte Sodom und Gomorra dem Lot dieselbe Anweisung erteilt, die heute jedes Luftschutzlehrbuch enthält - nämlich: die Augen vor dem atomaren Blitz zu schützen. Die Bibel beschreibe exakt den charakteristischen Atom-Rauchpilz: »Da ging ein Rauch auf vom Lande wie ein Rauch vom Ofen.«

Obgleich die Thesen des Sowjetmenschen erkennbar dem Utopia-Bereich entstammen, haben sich amerikanische Wissenschaftler ernsthaft bemüht, sie zu entkräften. Sie stützten sich dabei auf die im Westen vorherrschende Meinung, der Untergang der Sündenstädte sei längst hinreichend und für die Wissenschaft befriedigend erklärt:

Aufgrund eingehender Untersuchungen nehmen viele westliche Forscher an, die Katastrophe sei durch einen gewaltigen geologischen Einbruch im 19. vorchristlichen Jahrhundert (der Zeit Abrahams) ausgelöst worden. Das deutlichste Indiz: Im Nordteil ist das Tote Meer bis zu 400 Meter, südlich der auch in der Bibel erwähnten Halbinsel El-Lisan, also dort, wo vermutlich das Tal Siddim war, dagegen nur 10 bis 15 Meter tief.

»Eine sorgfältige Durchsicht der literarischen, geologischen und archäologischen Zeugnisse«, schrieb der amerikanische Nahost-Fachmann Jack Finegan, »führt zu dem Schluß ..., daß die Vernichtung der verderbten Städte durch ein großes Erdbeben vor sich ging, das wahrscheinlich begleitet war von Explosionen, von Blitzen, von dem Austritt von Naturgasen und von allgemeiner Feuersbrunst.« Während des Bebens sackte das Gebiet zwischen Sodom und Gomorra einige Meter tiefer und wurde vom Wasser des Toten Meeres überflutet.

Die beiden Sodom-Sucher Vincent -Barwood und Rizzie glauben, daß im flachen Wasser Ruinen erhalten sein müßten. Nach der Luftbesichtigung, die

ihnen das jordanische Tourismus-Büro vermittelt hatte, rüsteten sie jedenfalls unverzüglich zu einem Unterwasser -Vorstoß. Dabei kam dem kanadischen Professor der Umstand zugute, daß er zehn Jahre zuvor eine Froschmann-Ausbildung absolviert und sich seither häufig als Sporttaucher betätigt hatte.

Bei der Tauch-Expedition, die im letzten Dezember begann, mußte Vincent-Barwood freilich zunächst neue Techniken entwickeln, ehe er überhaupt bis zum Grund des Toten Meeres vorstoßen konnte. Das Wasser des Binnenmeeres ist nämlich wegen seines hohen Salzgehalts, der jedes Leben tötet, etwa 20 Prozent schwerer als das des Mittelmeeres: Menschen können darin schwimmen, ohne Arme und Beine zu bewegen. Die Lunge eines Tauchers wird im Toten Meer erheblich stärker als in anderen Gewässern zusammengepreßt, außerdem mußten sich die Sodom-Sucher, um untertauchen zu können, zehnmal mehr Bleigewichte umhängen als beim Sporttauchen üblich.

Erschwerend kam hinzu, daß während der Tauch-Unternehmungen am Toten Meer schlechtes Wetter herrschte. Vincent-Barwood konnte zwar unter Wasser uralte, vom Salz konservierte Bäume besichtigen, Reste der untergegangenen Städte aber vermochte er bisher noch nicht aufzuspüren. Der Kanadier hat deswegen die Sodom-Expedition vorerst abgebrochen, um bessere Wetterbedingungen abzuwarten. Noch in diesem Monat will er die Suche wiederaufnehmen.

Inzwischen ist seinem Unternehmen Konkurrenz erwachsen: Der amerikanische Baptistenpfarrer Dr. Baney, ein Fachmann der Ozeanographie, ist mit dem Amateur-Taucher Dean Ryther ebenfalls in Jordanien eingetroffen, um Sodom und Gomorra zu suchen. Die jordanischen Behörde haben auch ihm materielle Hilfe zugesagt - offenbar in der Hoffnung, ein schlagzeilenträchtiges Wett-Tauchen nach den Sündenstädten werde bald Ergebnisse zeitigen und darüber hinaus den Tourismus heben: Das Sporttauchen ist beliebtes Hobby wohlhabender Amerikaner und Europäer.

* Sodomie: Unzucht mit Tieren, aber auch Homosexualität.

Tauchende Wissenschaftler Ryther, Baney: Sündenstädte auf dem Meeresgrund?

Untergang Sodoms und Gomorras (Lucas-von-Leyden-Gemälde, um 1527): Erdbeben oder Atomexplosion?

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