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MUSIK Süchtig ins Gewölbe

Mit bislang verschollenen Werken aus Klassik und Romantik -- darunter von Mozart und Weber -- verschafft sich das »Consortium Classicum« weltweit Gehör.
aus DER SPIEGEL 20/1978

Würdig stehen sie da, im FrackSchwarz ihrer Zunft, blasen Kulturgüter vor sich hin und nennen sich auch »Consortium Classicum« -- ein Herrenzirkel, wie"s scheint. nach altdeutscher Art.

Doch das Bläser-Ensemble, dessen 14 Stamm-Mitglieder, in wechselnder Besetzung, an die 130 Konzerte im Jahr geben, macht nicht nur Wind für die seriöse Unterhaltungsmusik, sondern »pustet«, so rühmt sich »Consortium«-Leiter Dieter Klöcker, »auch gern ein wenig Staub von der Musikwissenschaft«.

Zwar haut auch das., Consortium Classicum«, laut Klöcker »ein dufter Haufen wie die Comedian Harmonists«, sein Basis-Repertoire vorwiegend aus den populären Bläserstücken der Klassik und Romantik, die es mit ausgefeilter Technik und mustergültigem Klangsinn vorträgt. Aber zwischen Haydn-Stündchen und Mozart-Serenaden. »Salz aller Bläser« (Klöcker), streut es immer wieder Spezialitäten -- Kompositionen, die seit ihrer Uraufführung nicht mehr erklungen sind und meist als verschollen galten, bis Klöcker sie wieder ausgrub.

Originalität und Perfektion der Darbietung brachten dem »Consortium Classicum« längst ein weltweites Echo ein. Die Gruppe gastierte in nahezu allen westeuropäischen Staaten. in Nord- und Südamerika, Fernost, Afrika und Australien. Soeben kam sie von einer ersten Tournee durch die Sowjet-Union zurück, wo sie gleich zu einer zweiten eingeladen wurde.

Zum Eröffnungskonzert des Deutschen Katholikentages in Freiburg wird das Solisten-Kollektiv ebenso erwartet wie, während einer England-Tournee, zur Einweihung des neuen Goethe-Instituts in London, »Nachdem wir im kriegsüberzogenen Vietnam gespielt haben, als die Raketen in den Vorgarten schepperten«, versichert der Berliner »Consortium«-Manager Werner Blanke, »haben wir auch einen Auftritt in Belfast zugesagt.« Selbst die Rot-Chinesen sind neuerdings an dem abendländischen Export-Schlager durchaus interessiert.

Auch auf seinen über 100, mit Katalog-Premieren gespickten Langspielplatten -- allein letztes Jahr erschienen 24 -- jubelt das »Consortium« dem Publikum neben vertrauten auch vergessene Weisen unter. So drehen sich seine Renommier-Kassetten jeweils um Haydn, Mozart, Beethoven und deren »Freunde und Schiiler«. Diese »philologisch so klugen wie musikantisch vergnüglichen Diskussionsbeiträge« ("Die Welt") bewertet Klöcker als »Beweisstücke. daß auch die sogenannten Kleinmeister Hervorragendes geschaffen haben«.

Den ungewöhnlichen Anklang. den stilvolle Blasmusik. an höfischen Tafeln einst nobler Brauch und weitaus populärer als etwa das Streichquartett, heute wieder findet, schreibt Klöcker manchen Produktionen der Musik-Moderne zu: »Unter den sogenannten Avantgardisten sind so viele Scharlatane, daß Interpreten und Hörer immer weiter in eine harmonische Vergangenheit flüchten.«

Diesen nostalgischen Neigungen des Publikums kommt der Klarinettist Klöcker, 41, gern entgegen. Eigentlich wollte der gebürtige Wuppertaler, den sein Vater, ein Trompeter, als Kind in eine Blaskapelle gesteckt hatte ("Immer kräftig mit den Fingern draufdrücken, dann lernst du ausdrucksvoll spielen"), Archäologe werden.

Doch noch während seines Musikstudiums fiel hrn auf, daß auch in der Tonkunst Schätze zu heben waren. »Wie ein Süchtiger« durchstöberte er fortan Klöster, Bibliotheken und Archive, photokopierte »alles Blasbare, was mir unter die Finger kam«, und gründete 1965 das »Consortium Classicum« als Premieren-Ensemble für seine wertvollsten Fundstücke.

Je erfolgreicher diese Kammermusiker, bis auf Klöcker feste Mitglieder bundesdeutscher Orchester, die Trouvaillen verbreiteten, um so »fiebriger« ging der Primbläser auf neue Suche.

In der Sammlung der Augustiner in Alt-Brünn entdeckte er ein Mozart-Oktett, das er mittlerweile unter die »Kostbarkeiten der Klassik« rechnet. In der fürstlichen Hofbibliothek zu Wertheim fand er »unter jeder Menge gedrucktem Plunder« ein bis dato unbekanntes »Concertino für Oboe«. Komponist: Carl Maria von Weber.

Bei einer Mormonengemeinde im US-Staat North Carolina stieß Klöcker auf das Autograph eines Sextetts von Joseph Haydn, allerdings ohne die zweite Hornstimme. Die stöberte er Jahre später im Mährischen Museum Brünn auf.

Im vergangenen Mai durfte der Notengräber erstmals in die Gewölbe des Schlosses Esterházy in Eisenstadt, Haydns langjähriger Wirkungsstätte. Dort förderte er, »in Eiseskälte und schauerlicher Nässe«, gleich über 100 »wertvolle« Kompositionen aus klassischer Zeit zutage. Inzwischen hat er in seinem Kirchzartner Haus rund 15 000 Kompositionen registriert oder auf Mikrofilm·. »Bis zu meinem Lebensende habe ich mit Erstaufführungen ausgesorgt.«

Bei seinen Expeditionen kommt Klöcker allerdings nicht nur musikalischen Wertpapieren, sondern auch Fälschungen auf die Spur. So entlarvte er eine »Parthia ex Dis« und eine Bläser-Kassation in Es-Dur, beide von Fachletiten Mozart zugeschrieben, als Werke der Mozart-Zeitgenossen Pleyel und Lickl.

Dieses Treiben des »Consortium« -- Leiters ist den deutschen Musikgelehrten nicht recht geheuer. »Wenn irgendwo ein neuer van Gogh auftaucht«, sieht Klöcker »die halbe Welt durchdrehen. Bei unseren Funden kräht kein Hahn«. Im Gegenteil: Augsburger Exegeten, von Klöcker schon mehrfach um Fachrat gebeten, stellten sich bislang taub.

Während die Wissenschaft wohl mit Zweifeln ringt, bläst das »Consortium Classicum« munter drauflos. Klöcker: »Ob Mozart oder ein sogenannter Kleinmeister, Hauptsache, die Musik ist gut.«

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