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POPMUSIK Sweet Home Georgia

Bei Jimmy Carters Wahlfeldzug gelangten Rockbands aus den US-Südstaaten zu nationaler Prominenz. Jetzt wurde »Straight Southern Rock« auch in der Bundesrepublik präsentiert.
aus DER SPIEGEL 48/1976

Bevor die Elektrogitarren losdröhnten, gab der Kandidat, vor 20 000 Fans in Providence, Rhode Island, ein 30-Sekunden-Statement ab: »Heute ist ein Abend für Musik und nicht für Politik, aber ich habe vier Dinge mitzuteilen. Erstens: Ich heiße Jimmy Carter und kämpfe um die Präsidentschaft. Zweitens: Ich habe nicht die Absicht zu verlieren. Drittens: Ich brauche eure Hilfe. Viertens: Jetzt spielen meine Freunde, die Allman Brothers.«

Wie kein Präsidentschaftskandidat vor ihm hat Carter in seinem Wahlkampf auf die Kraft der Rockmusik gesetzt. Anders als Kennedy, für dessen Kampagne 1960 Entertainer wie Frank Sinatra und Andy Williams die Stimmbänder strapazierten, anders auch als George McGovern 1972, für den milde Pop-Stars à la Barbra Streisand, Paul Simon und Art Garfunkel auf den Wahl-Zug kletterten, ließ sich der Erdnußfarmer aus Georgia vom Klang seiner Heimat nach oben tragen: hartem Südstaaten-Rock"n"Roll.

Noch bevor er die ersten Vorwahlen gewonnen hatte, in der finanziell problematischen Startphase der Kampagne, tingelte etwa die Charlie-Daniels-Band aus Nashville, Tennessee, in Benefizkonzerten für die Carter-Kasse. Später wurden die Shows immer aufwendiger, der Erlös immer saftiger.

Von 30 000 Zuhörern in Jacksonville, 11 000 in Nashville, 8000 in Atlanta und vielen weiteren in den ganzen USA kassierten unter anderen die Charlie-Daniels-Band, die Marshall-Tucker-Band und die Allman Brothers insgesamt mehr als eine halbe Million Dollar für den Carter-Fonds.

Den »Straight Southern Rock« (Tournee-Slogan) haben die Marshall-Tucker-Band aus Spartanburg, South Carolina, die Gruppe Grinderswitch aus Macon, Georgia, und die Sängerin Bonnie Bramlett letzte Woche -- nach gewonnener Carter-Wahl -- nun auch

* Oben: Mit Gitarrist Gregg Allman von der Allman Brothers Band; unten: mit Band Grinderswitch in Hamburg.

in der Bundesrepublik bekanntgemacht. Es ist ein rustikaler, unkomplizierter, folklorenaher Rock"n"Roll, der im übertechnisierten Tourneezirkus wie eine frische Brise wirkt.

Die Rock-Hillbillies aus dem Baumwollgürtel verschmähen Lichtshows, Dia-Einblendungen, Glamour-Maskeraden und Make-up; sie musizieren in Cowboyhüten und in Jeans. Neben schwarzen Musik-Tagelöhnern aufgewachsen, brennen sie ihre Gitarrensoli mit Blues-Intensität und Gospel-Inbrunst ab. Sie sind stolz auf den alten Süden: In Konzerten der Band Lynyrd Skynyrd wird zum Beispiel beim

Sang »Sweet Home Alabama« eine Konföderierten-Flagge aus dem US-Bürgerkrieg entrollt.

Aber es ist ein gewandelter, mählich liberalisierter, durch abflauende Rassenspannungen und gewaltiges Wirtschaftswachstum geprägter Süden (SPIEGEL 31/1976), für den sie einstehen -- jener Süden, den auch Jimmy Carter repräsentiert.

Carter war, 1973, noch Gouverneur von Georgia, als er seinen Flirt mit einheimischen Rockmusikern und der Musikindustrie begann.

In T-Shirt, Tennisschuhen und Jeans ließ er sich beim Barbecue der Plattenfirma Capricorn sehen, stülpte sich bei einer Plattenproduktion des Gitarristen Dicky Betts Kopfhörer über die Ohren und lud Bands in den Gouverneurspalast ein. Und als ihm einmal am Charlotte-Airport die Marshall-Tucker-Band über den Weg lief, begrüßte er jeden Musiker mit Namen.

Bob Dylan, sagt Carter, habe wesentlich sein Verständnis dafür geprägt, »was gut und was schlecht ist in unserer Gesellschaft«. Seit er dem Rock-Star nach einem Konzert 1974 im Regierungshaus von Atlanta einen Empfang gab, rühmt er sich Dylans Freundschaft und zitiert bei Ansprachen aus dessen Songs: »Wir haben ein Amerika, das, mit Dylans Worten, damit beschäftigt ist, geboren zu werden, nicht damit, zu sterben« -- so auf dem Konvent der Demokraten im Juli dieses Jahres.

Die Plattenindustrie ließ sich solche Popmusik-Reklame etwas kosten. In rund 500 Briefen bat Carter-Freund Phil Walden, Chef der führenden Southern-Rock-Marke Capricorn Rekords, seine Kollegen um Unterstützung für den Kandidaten. Mächtige Plattenbosse wie Joe Smith (Elektra/Asylum) in Los Angeles und Larry Uttal (Private Stock) in New York stellten daraufhin ihre Bands für Carter-Benefizkonzerte frei. Erlös einer einzigen Private-Stock-Show in New York: 38 000 Dollar.

Im Gegenzug versprechen sich die Platten-Macher Carter-Unterstützung bei der Steuergesetzgebung, bei Copyright-Problemen, im Kampf gegen Musikpiraten sowie einen Renommee-Gewinn für die Branche. »Wenn Jimmy Carter bei einem Popkonzert erscheint«, sagt Joe Smith, »erhöht sich das Ansehen der Popmusik. Dwight Eisenhower war ein Golfer, das hat das Verhältnis zum Sport in diesem Land gewaltig verbessert.«

Besonders für den Südstaaten-Rock und vor allem für die Bands des Capricorn-Labels hat sich die Teilnahme an der Carter-Kampagne schon jetzt bezahlt gemacht. Vordem kaum bekannte Gruppen wie die Charlie-Daniels-Band, die Marshall-Tucker-Band und Grinderswitch zählen neuerdings zur nationalen Rock-Prominenz. Jubelt Charlie Daniels: »Bis vor kurzem wollte kaum jemand etwas von uns wissen. Jetzt hat uns Jimmy Carter nach Washington eingeladen. Es gibt Rock"n"Roll im Weißen Haus.«

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