PREISER-RECORDS Tamtam am Teppich
Bereits in der achten Minute schlief
Schallplattenproduzent Otto Preiser, 45, ein. Er schlief bis zum Ende der eigens für ihn arrangierten Probelesung des Herrn Karl«. Doch beim Schlußwort schlug er die Augen auf und entschied: Diese Platte mache ich, das wird ein Bestseller.«
Und »Der Herr Karl« - eine Satire auf den wandlungsfähigen Österreicher, gesprochen vom Wiener Kabarettisten Helmut Qualtinger - wurde tatsächlich Bestseller der Wiener Preiser-Records. Bisherige Auflage: über 30 000 Exemplare.
Mit ähnlich skurrilen Schallplatten - begehrte Raritäten für ein Kenner-Publikum - hatte der Branchen-Außenseiter Preiser ("Man muß verrückte Ideen haben") immer schon Erfolg. So produzierte er beispielsweise
- die erste surrealistische Platte mit
dem Wiener Mäusefreund und Maler Helmuth Leherb ("Ich bin der Besitzer des göttlichen Irrsinns");
- die erste Horoskop-Platte, auf der
eine deutsche Astrologin allen zwölf Tierkreiszeichen viel Glück und wenig Unglück verheißt;
- die erste Dialektübersetzung von Villons Ganovenpoesie, die Helmut Qualtinger wienert;
- die einzige Plattenaufnahme vom
Kammermusikwerk des 1939 gestorbenen Wiener Komponisten und Hofrates Franz Schmidt ("Notre Dame");
- die einzige Platte mit der eifernden
Stimme des Literaten Karl Kraus. Zwei weitere, kostspielig hergestellte Kuriosa für die Preiser einen »großen Hörerkreis erwartet hatte, sind bis heute indes unverkäuflich: eine mit dem »Preis der deutschen Schallplattenkritik« ausgezeichnete Sprechplatte mit dem Hofmannsthalschen »Rosenkavalier«-Text ("Die Welt": ,Ein Phänomen erster Ordnung") und eine Platte mit dem Titel »31. Dezember 1932«.
Unter diesem Datum bietet Preiser eine gespenstische Silvesterfeier an, die er aus Marlene-Dietrich-Schlagern und Richard-Tauber-Liedern. Weill-Songs, Goebbels- und Hitler-Reden, Wagners »Götterdämmerung«, der Internationalen und SA-Marschtritten montiert hat.
Nicht zuletzt um die Verluste bei derlei kostspieligen Produktionen (Preiser: »Ich würde sie sofort wieder machen, weil sie gemacht werden mußten") ausgleichen zu können, betreibt Preiser auch einen gutgehenden Handel mit englischen Spannteppichen. Preisers Teppich- und Plattenbüro im Wiener Textilviertel dürfte denn auch ohne Parallele in der Schallplattenbranche sein: Neben Teppichrollen und Fasermustern lagern die Longplays. Der Weg zu Franz Schmidt beispielsweise führt über einen Axminster, der zu Joseph Haydn - bevorzugter Preiser-Komponist - über einen Wilton.
Mit Haydns Musik-Schöpfung hat sich Preiser schon früher intensiv beschäftigt. Als der ehemalige Textilschüler 1948 aus der Emigration nach Wien zurückkehrte, machte er sich sofort daran, eine 60bändige kritische Gesamtausgabe des Haydn-Werkes zu verlegen. Als ihm nach Erscheinen des vierten Bandes das Geld ausging, ließ er von der Enzyklopädie ab und gab Haydn -Musik auf Schallplatten heraus.
Mit dem Gewinn aus Frühsymphonien und der »Mariazellermesse«, aus »Schöpfung« und »Jahreszeiten« konnte Preiser dann endlich die Platten produzieren, die er für »sehr wichtig« hält - Platten, mit denen er vor allem befreundeten Künstlern eine Freude machen wollte: Weil er den Schriftsteller Robert Neumann schätzt, ließ er ihn aus eigenen Werken lesen (Preiser: »Zugegeben, schreiben kann er besser"); dem Pianisten Walter Kamper zuliebe nahm er Pfitzners Sextett opus 55 auf; seiner Vorliebe für einige zweitrangige Wiener Sänger wegen wurden unbekannte Volkslieder-Varianten von Beethoven gesungen.
Und als ihm kürzlich der Afrika-Forscher' Max Lersch begegnete und imponierte, ließ er auf eine Langspielplatte aufnehmen, was kaum ein Platten-Spieler so lange hören will: das große Tamtam von Negerstämmen.
Preiser: Hätten denn die Originalbänder ungehört verstauben sollen?«
»Herr Karl«-Sprecher Qualtinger
Silvester mit SA