THEATER / SPURLING Tanz der Guerrilleros
Ernesto Che Guevara soll nicht sterben. Zwei Jahre nach seiner Ermordung in einer bolivianischen Dorfschule tritt er im Theater immer wieder auf und ab.
Im Frühjahr 1969 brachte ihn der Underground-Autor Lennox Raphael in New York als nackten, obszönen Sex-Kämpfer auf die Bühne und ließ ihn, symbolisch, mit einem gleichfalls nackten Uncle Sam schwadronieren (SPIEGEL 15/1969).
Im Sommer erschien er zu Amsterdam im Musiktheaterstück »Rekonstruktion« als überlebensgroßes Idol (SPIEGEL 28/1969).
Jetzt, im Herbst, kommt er auch den Deutschen: Letzte Woche hatte »MacRunes Guevara«, ein Schauspiel des Engländers John Spurling, 33, in Stuttgart Premiere. 16 Szenen lang gab es Mutmaßungen über Che. Denn Che, das ist bei Spurling nur das Hirngespinst eines Dichters und eines Malers. MacRune, ein Spezialist für Wirtshausschilder und Blumenbilder, hat Ches Heldentaten kurz vor seinem Hungertod auf den Wänden seiner Bude in unzähligen Skizzen verewigt, der Literat Hotel macht ein Stück daraus, und das ist nun wirklich kein Beitrag zum Dokumentartheater.
Da tanzt der Freiheitsheld vor glitzernder Pop-Wand und singt von seinem Leben und Sterben. Er blättert in den »Blumen des Bösen«, raucht »Monte Cristo No. 4« und spricht, nachdem er eine Kampfgefährtin geküßt hat: »Für einen, der Hemingway las, benehme ich mich wie ein Idiot.« Und seine Guerrilleros jubeln im Chor und schwingen dabei die Beine wie in einer Broadway-Show.
Nein, mit Politik hat Spurling nicht viel im Sinn. »Mit praktischer Politik«, gesteht er, »kann ich nichts anfangen.« Da philosophiert er lieber über die Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit und »die Unmöglichkeit zu wissen, wie jemand im Leben wirklich war, wie eine lebende Person für die übrige Welt beinahe zur Theaterfigur wird«.
Beim studierten Juristen und einstigen BBC-Sprecher Spurling wirkt sie theatralisch genug. Der Autor liefert Theater im Theater, strapaziert V-Effekte, verblüfft mit Rollentausch und Geisterspuk, und immer wieder unterbrechen Spurlings Darsteller ihr Spiel und fragen nach Sinn und Form des Spektakels.
An dieser Frage wäre der Stuttgarter »Guevara« schon vor der Premiere beinahe gescheitert. Regisseur Peter Palitzsch, der das Stück zunächst inszenieren wollte, gab seinen Plan nach Protesten aus dem Ensemble auf: Sein Versuch, Spurlings Spiel durch eine Che-Dokumentation politisch auf zuwerten, erschien den Akteuren zu radikal.
Schließlich sprang Stuttgarts Chefdramaturg und Spurling-Übersetzer Jörg Wehmeier ein. Er vermied, wie er glaubte, jedes Risiko, inszenierte, ganz nach dem Willen des Autors, den »Guevara« »wie eine Kunstausstellung« und brauchte für den Spott nicht zu sorgen.
Am Premierenabend machte zunächst die Apo Radau, die Bürger gähnten. Zum Schluß einigten sich beide Parteien auf ein vielstimmiges Buh.