Theater Tarnen und Täuschen
Unter New Yorker Theaterfreunden kursiert ein gemeines Bonmot über David Mamets neues Stück »Oleanna": »Man kommt als Paar und geht als Single.«
Selbst glückliche Ehen, so lautet die Legende, seien an Mamets Stück zerbrochen. Dem Erfolg tat dieser Effekt allerdings keinen Abbruch: Seit genau einem Jahr begeistert - oder empört - »Oleanna« die Zuschauer im New Yorker East Village.
Nach seinem bisher größten Coup mit »Glengarry Glen Ross« ist es dem Dramatiker und Regisseur Mamet, 46, damit zum erstenmal gelungen, einen Skandal zu provozieren und sein Publikum zu spalten. Den einen gilt sein neues Stück als bittere Abrechnung mit Tabus der Linken und Liberalen, den anderen als antifeministisches Machwerk.
Die deutschsprachige Erstaufführung von »Oleanna«, am Donnerstag vergangener Woche im Wiener Akademietheater, enttäuschte allerdings jene, die nur auf ein dumpfes Krawallstück spekuliert hatten. Zu besichtigen war ein elegant gebautes, glänzend gespieltes Zwei-Personen-Drama, das sich des in den USA so hoch gehandelten Reizthemas »political correctness« bloß bedient, um die modernen Mechanismen der Macht zu entblößen, das Täuschen und Tarnen mit Sprache.
Zunächst scheint alles ganz eindeutig. Carol, eine naive und etwas dümmlich wirkende Studentin, beklagt sich bei ihrem Dozenten darüber, daß sie seinem hochgestochenen Seminar-Ton nicht folgen könne. Der smarte John gibt sich generös, ja gönnerhaft und schwafelt beschwichtigend im arroganten Jargon der Intellektuellen von der Ostküste: Chauvinismus als ratternde Rhetorik, Hilflosigkeit als Geschwätz.
Die beiden reden aneinander vorbei, finden keinen gemeinsamen Ton, lassen ihre Sätze unvollendet. Zwischen dem so unbeholfenen Stammeln des Mädchens und der schmierigen Geläufigkeit des akademischen Aufsteigers gibt es keine Brücke. Das Mitgefühl des Mannes entpuppt sich als bloße Attitüde - selbst als er der weinenden Studentin den Arm tröstend um ihre Schultern legt.
Denn wirklich wichtig ist ihm etwas anderes: Er will sich ein Haus kaufen, immerhin soll er demnächst Professor auf Lebenszeit werden. Der Mann wähnt sich längst auf der sicheren Seite - und genau das ist sein verhängnisvoller Fehler.
Carol wehrt sich gegen die Bevormundung mit den gerade aktuellen Mitteln einer Frau. Sie denunziert John bei der Berufungskommission: Er sei »sexistisch und elitär«, habe sie gar sexuell belästigt.
Im altmodischen Glauben an die Kraft der Worte will John die Studentin »zur Vernunft« bringen, nun will er sich wirklich für die Sorgen und Nöte des Mädchens interessieren - doch zu spät: »Was ich fühle, spielt keine Rolle«, entgegnet sie schroff. Carol bricht das Gespräch ab, geht. Und John zerrt sie mit Gewalt auf den Stuhl zurück.
Unverzeihlich. Jedenfalls im postpuritanischen Amerika, wo gerade die Rollen von Tätern und Opfern neu definiert werden. Im Wiener Programmheft wird dazu der merkwürdige Fall eines Mannes zitiert, dem eine korrekte Kellnerin in Berkeley das Menü verweigerte, weil dieser den Playboy las.
In Mamets Stück bezichtigt die Studentin den Dozenten John der versuchten Vergewaltigung. Sie hält das für eine »erwiesene Tatsache«. Johns Job ist dahin, sein Haus perdu.
»Für mich ist das ein Stück über den Gebrauch und Mißbrauch von Macht«, erklärt der Autor. Dabei interessiert sich Mamet nicht wirklich für diese oder ähnliche Schicksale, so wie sie derzeit auf fast jedem amerikanischen Campus entschieden werden.
Mamet will die politischen Positionen im Hintergrund aufdecken, will jene linksliberalen Dogmatiker vorführen, die glauben, daß die bösen Dinge des Lebens einfach verschwinden, wenn man sie nicht mehr beim hergebrachten Namen nennt.
So wurden über Nacht aus Indianern »ethnische Ureinwohner« - was die Lebensbedingungen der Indianer nicht eben verbessert hat. In diesem, von Sprachpolizisten geregelten Verbalverkehr mutiert - so Mamets Erkenntnis - eine hilflose Umarmung mal eben zur sexuellen Belästigung.
»Oleanna« - der Titel spielt auf einen amerikanischen Folksong an - lebt von solchen Mißverständnissen. Regisseur Dieter Giesing freilich erweist sich als Spielverderber. Er verweigert seinem Publikum die plumpe Provokation und schildert das Verhalten von Mann und Frau als gleichermaßen fragwürdig.
Das entspricht durchaus der ursprünglichen Intention Mamets: »Ich stehe zu dem, was sie sagt - aber auch zu dem, was er sagt«, erklärte der US-Autor in einem Interview. »Sie mag ein paar Sachen machen, die nicht anständig sind, aber das tut er auch.«
Seine New Yorker Inszenierung löste beim Publikum allerdings heftigste Emotionen aus: Feministinnen störten mehrfach die Aufführungen, Machos applaudierten ihrem Spiegelbild auf der Bühne. In Wien wird aus dem Reißer ein ernsthaftes Kammerspiel. Der grausame Geschlechterkampf findet nicht mehr statt, die vordergründige Hinrichtung des intellektuell überlegenen Mannes durch eine stalinistische Feministin unterbleibt.
Susanne Lothar und Ulrich Mühe illustrieren mit perfekter Bosheit Mamets These, daß die Sprache mutwillig um ihre Verbindlichkeit gebracht wurde. In den Zeiten von »political correctness« verändern nicht Taten, sondern Worte die Welt.
Diese Erkenntnis legt eine bisher verborgene Schicht des Mamet-Stücks frei.
Die Wiener Version nimmt dem Stück die vordergründige Schärfe, selbst der Höhepunkt des Geschlechterstreits führt nicht zum Eklat. Als John vom Vorwurf der Vergewaltigung erfährt, dreht er zwar durch, schlägt Carol zusammen. Doch sie läßt am Ende ganz entspannt die Beine von seinem Schreibtisch baumeln und hebt an zur großen Inquisition:
Aus einem Plastikordner fingert sie eine Aufstellung von Titeln, die sie und ihre Freunde aus dem Literaturkanon der Uni streichen wollen. Das wissenschaftliche Hauptwerk Johns steht an erster Stelle.
John soll diese Liste akzeptieren, im Gegenzug will Carol ihre Anschuldigungen ein wenig mildern. Allerdings müsse er sich zuvor vor der versammelten Studentenschaft zu seinem Fehlverhalten bekennen - das traurige Ende einer atemraubenden Feindschaft. Y